7. A sunny mystery

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Katrinas Gedanken überschlugen sich förmlich, während sie versuchte eine Antwort auf diese einfache Frage zu finden, die Christine ihr gestellt hatte.

Fieberhaft überlegte sie was sie nun sagen sollte. Die Wahrheit?

„Hallo, ich bin Katrina. Eigentlich bin ich tot, doch die Muse der Tragödie und die Göttin der Nacht haben mich zurück in die Welt der Lebenden geschickt, um den Lauf der Dinge zu verändern und dem legendären Phantom der Oper zu seinem Glück zu verhelfen."

Nein, das war einfach zu unglaublich, das würde sie ihr niemals abnehmen. Sie konnte es ja selbst kaum glauben. Abgesehen davon, war die junge Sängerin die letzte, der sie das erzählen würde.

Was also tun?

Unschlüssig kaute Katrina auf ihrer Unterlippe herum. Dann seufzte sie schicksalsergeben. Für den Anfang war es sicher nicht verkehrt, wenn sie sich zumindest teilweise an die Wahrheit hielt.

„Mein Name ist Katrina." meinte sie schließlich schlicht und erwiderte Christines misstrauischen Blick voller Ruhe.

„Und was machst du hier in meiner Garderobe?"

Eine berechtigte Frage. Und erneut war Katrina ratlos, was sie darauf erwidern sollte. Doch dieses Mal ließ sie sich ihre Verunsicherung nicht anmerken. Eine spontane Idee formte sich in ihrem Kopf und so selbstsicher wie möglich versuchte sie diese umzusetzen.

Sie schürzte verstimmt die Lippen und hob tadelnd eine Augenbraue. „Meine Anwesenheit hier hat dich nicht zu kümmern, Christine Daaé. Du solltest dir deinen hübschen Kopf nicht über Dinge zerbrechen, die du nicht einmal ansatzweise verstehen kannst." Ihr Tonfall war ziemlich herablassend, aber das kümmerte sie nicht. Schließlich wollte sie sich nicht mit der jungen Frau anfreunden, da war es gleich wie sie mit ihr sprach.

Christine erblasste bei ihren harschen Worten und starrte sie mit großen blauen Augen. „Woher kennst du meinen Namen?" hauchte sie beinahe schon ängstlich. Genau so musste das sprichwörtlich verschreckte Reh aussehen.

Katrina seufzte innerlich. Wieso nur musste diese Person genau die Fragen stellen, die sie nicht beantworten konnte?

„Ich weiß mehr als du ahnst", erwiderte sie ausweichend und betrachtete betont gelangweilt ihre kurz geschnittenen Fingernägel.

Doch Christine bohrte unbeirrt weiter, obwohl ihr immer noch sichtlich unbehaglich zumute war. „Ich habe dich noch nie zuvor hier in der Oper gesehen. Woher kommst du?" fragte sie.

Allmählich wurde Katrina ärgerlich. Sie hasste es derart ausgefragt zu werden. Ihre blau-grauen Augen erinnerten an die von Sturm gepeitschte Gischtauf hoher See, als sie der jüngeren Frau einen vernichtenden Blick zuwarf.

„Du hast deine Geheimnisse, ich die meinen. Belassen wir es dabei, einverstanden?" meinte sie mühsam beherrscht und funkelte Christine drohend an.

Deren Augen wurden noch ein Stück größer, als sie die versteckte Warnung hinter ihren Worten erfasste. „Einverstanden", flüsterte sie leise und senkte den Blick.

Katrina seufzte, als sie sah wie furchtsam die Brünette zu Boden starrte. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen die mysteriöse Fremde zu spielen und sie damit zu verängstigen. Jetzt tat sie ihr irgendwie leid.

Aus einem Impuls heraus trat sie näher und ergriff Christines kalte Hände. „Verzeih bitte, wenn ich unfreundlich war, aber es ist wichtig, dass niemand davon erfährt, dass ich hier bin. Versprich mir, dass du niemanden von mir erzählst, dann werde auch ich über deine Gesangsstunden Schweigen bewahren."

Beschwörend sah sie der jüngeren Frau in die Augen. Christine erwiderte ihren Blick voller Ernsthaftigkeit und nickte schließlich. „Ich verspreche es."

Katrina schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln. „Ich danke dir."

Christine erwiderte ihr Lächeln zögernd und Katrina musste neidlos zugeben, dass sie umwerfend aussah, wenn sie lächelte. Wieder einmal wurde ihr bewusst wie schwer es werden würde das Bild der schönen Sängerin aus Eriks Herzen zu verdrängen.

Doch ganz gleich wie schwierig es noch werden würde, sie musste es einfach schaffen. Sonst war er zu einem Leben in ewiger Finsternis verdammt und das konnte sie nicht zu lassen.

„Ich muss jetzt gehen", sagte Katrina schließlich und ließ Christines schmale Hände wieder los. Sie setzte sich die Kapuze ihres Umhangs auf und verbarg ihr langes schwarzes Haar geschickt darunter. Dann wandte sie sich zur Tür.

Doch ehe sie ohne ein weiteres Wort verschwinden konnte, hielt Christine sie zurück. „Sehe ich dich wieder?" fragte sie leise und blickte sie hoffnungsvoll an. „Es wäre schön einmal mit jemanden zu reden, der über ihn und meinen Unterricht Bescheid weiß."

Verblüfft erwiderte Katrina ihren flehenden Blick. Christine wollte sie wiedersehen um mit ihr über Erik zu sprechen? Na so etwas! Damit hätte sie nicht gerechnet.

Aber wenn sie so darüber nachdachte, war das eigentlich keine schlechte Idee. Wenn sie hin und wieder Zeit mit der jungen Sängerin verbrachte, konnte sie herausfinden wie es um ihre Gefühle zu Erik stand. Vielleicht konnte sie so bereits Einfluss auf ihre Handlungen nehmen. Einen Versuch war es allemal wert.

„Wenn du es wünschst, dann komme ich dich gerne wieder besuchen", sagte sie und lächelte freundlich.

Dann winkte sie ihr noch einmal zum Abschied, ehe sie hinaus auf den Gang trat. Hastig huschte sie über den verlassenen Flur in der Hoffnung keiner Menschenseele zu begegnen. Darauf erneut jemanden erklären zu müssen wer sie war und was sie hier wollte, hatte sie nämlich absolut keine Lust.

Unbemerkt gelangte sie schließlich zu einer kleinen Abstellkammer. Sie schlüpfte hinein und tastete sich in der Finsternis bis zu einem Wandleuchter in einer der Zimmerecken vor. Vorsichtig zog sie daran und lächelte leicht, als sich ein schmaler Durchgang genau vor ihr öffnete. Sie trat ein und wartete bis sich die gut in der Mauer getarnte Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, ehe sie zügig voran schritt.

Nach mehreren Wegbiegungen und endlos scheinenden Treppen, die hinab in die Katakomben führten, war sie beinahe an ihrem Ziel angelangt.

Aus der Ferne konnte sie schwach die Klänge der Orgel ausmachen. Er war also da.

Sie verlangsamte ihren Schritt und ließ sich schließlich in einer Nische nieder. Nachdenklich stütze sie ihr Kinn auf ihre angewinkelten Knie und lauschte versonnen den zarten Tönen, die den Weg zu ihr fanden.

Sie überlegte wie sie weiter vorgehen sollte. Ob er ihren Brief schon gefunden hatte? Wie hatte er wohl reagiert, als er die vier kurzen Zeilen las, die so vieles ausdrückten und dabei nicht einmal ansatzweise das beschrieben, was sie tatsächlich empfand?

Wie gerne wäre sie in jenem Moment an seiner Seite gewesen um seine Reaktion zu beobachten. Sie hoffte sehr, dass er den Brief gut aufgenommen hatte, denn sie hatte jedes Wort ernst gemeint.

Wohlige Mattigkeit senkte sich über Katrinas Glieder, während sie der leisen Melodie lauschte, die an ihr Ohr drang, und sie unterdrückte ein herzhaftes Gähnen. Sie durfte jetzt doch nicht einschlafen, hier, wo er sie jeden Augenblick finden konnte.

Mühsam rappelte sie sich auf und wankte schläfrig zu einer kleinen Höhle, die grob aus dem Stein heraus gehauen worden war. Vom Gang aus war sie nicht einsehbar und bot so die perfekte Möglichkeit um sich ungestört zurück zu ziehen. Hier würde er sie bestimmt nicht vermuten.

Katrina schlüpfte hinein und ließ sich müde zu Boden sinken. Sie musste sich ein wenig Ruhe gönnen, damit sie sich den Herausforderungen des nächsten Tages stellen konnte. Sie rollte sich zusammen und zog den warmen Umhang wie eine Decke über ihre Gestalt.

Kaum hatte sie die Augen geschlossen, trug sie seine sanfte Musik ins Reich der Träume und sie schlief ein.


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