20. Can't hide from the feeling

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Die Zeit verging wie im Fluge. Erik schrieb diverse Briefe, die er in Loge Nummer 5 deponieren wollte, wo sie von Madame Giry gefunden und an den jeweiligen Adressaten überbracht werden sollten.

Katrina hatte sofort die Szene aus dem Film vor Augen und sie musste eilig ein Kichern als Niesen kaschieren, als sie an die empörten Operndirektoren dachte und an Carlotta, die vor Wut förmlich schäumte bei dem Gedanken daran, dass Christine die Rolle der Gräfin in „Il Muto" auf Verlangen des berühmten Operngeistes singen sollte.

Dann wurde sie wieder ernst und sehr nachdenklich. Während Erik davon eilte, um die Briefe zu hinterlegen und aus dem Verborgenen heraus die Reaktionen der jeweiligen Empfänger zu beobachten, blieb Katrina allein zurück und dachte nach.

Der heutige Abend würde sehr turbulent werden. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihr breit, als sie daran dachte, dass Erik an diesem Abend einen Mord begehen würde. Nur zu deutlich stand ihr das Bild des gehängten Josephs Buquets vor Augen.

Ob sie irgendwie verhindern konnte, dass Erik sich den Tod dieses entsetzlichen Mannes auf sein Gewissen lud?

Sie seufzte schwer und legte ihr kleines Köpfchen auf die Vorderpfoten. Auch wenn der Gedanke an den bevorstehenden Mord des Bühnenarbeiters ihr schwer zusetzte, so gab es ein Ereignis, dass ihr noch weitaus mehr Sorge bereitete: Die Szene, die darauf folgte.

Christine und Raoul, wie sie sich auf dem Dach der Oper ihre Liebe schworen, nicht ahnend, dass sie nicht allein waren. Erik würde verborgen im Schatten alles mitanhören und das würde ihm das Herz brechen. All seine Träume und Hoffnungen würden in jenem verhängnisvollen Moment erbarmungslos zerschlagen werden.

Es sei denn sie wäre dort oben bei ihm und würde ihm zeigen, dass er dieses kleine Chormädchen und ihre Liebe nicht brauchte. Nicht, wenn er etwas viel Wertvolleres bekommen konnte. Die Liebe einer Frau, die ihn so annahm wie er war und nicht vor seiner Berührung zurückschreckte.

Je länger sie darüber nachdachte, umso besser erschien ihr diese Idee. Es war riskant, da er sie vergangene Nacht in maßlosem Zorn davon geschickt hatte, doch sie sah keine andere Möglichkeit um ihm zu helfen. Nie im Leben würde es ihr gelingen all die anderen Ereignisse zu verhindern, die diesem Moment auf dem Dach voraus gingen und die eng miteinander verknüpft waren.

Und so begann sie sich in ihrem Kopf eine Strategie zurecht zu legen.

Sie wusste nicht wie lange sie regungslos da gelegen und ihren Gedanken nachgehangen hatte. Als Erik zornentbrannt zurück ins Gewölbe stürmte, sprang sie alarmiert auf ihre vier Pfoten und eilte ihm mit einem fragenden Maunzen entgegen.

„Diese ignoranten Narren! Diese verblendeten Einfaltspinsel! Wie können sie es wagen sich meinen Befehlen zu widersetzen! Sie lassen lieber diese grässliche Schnepfe singen und verhunzen damit die gesamte Oper, als meinem Rat zu folgen und Christine einzusetzen! Unfassbar!"

Wütend fegte er einen Stapel sorgfältig geordneter Notenblätter von der Orgel, ehe er sich schwer atmend darauf stützte, bebend vor unterdrückter Wut.

Katrina sprang leichtfüßig hinauf auf das gewaltige Instrument und näherte sich ihm bedächtig. Sie miaute leise und rieb ihr Köpfchen zärtlich an seinem Arm.

Seine Finger kraulten sanft ihr weiches Fell und allmählich beruhigte er sich wieder. Seine Atemzüge wurden wieder gleichmäßig und das gefährliche Funkeln in seinen Augen wich einem Ausdruck der Erschöpfung.

„Ach, Ayesha" seufzte er müde. „Wieso muss momentan alles so schrecklich kompliziert sein?" Er bückte sich und begann die in wilder Unordnung verstreuten Noten wieder aufzuklauben. Sorgsam legte er sie zurück an ihren Platz und ließ sich dann merkwürdigkraftlos auf den Hocker vor der Orgel sinken.

Katrina spürte den Kummer, der ihn umhüllte wie eine dunkle Wolke, und hüpfte auf seinen Schoss, wo sie sich behaglich schnurrend zu einem weichen Fellknäuel zusammenrollte. Er lachte wie erhofft leise ob ihres Übermuts und belohnte sie mit den ersehnten Streicheleinheiten. Sie genoss seine Nähe und hoffte ihn ein wenig aufgeheitert zu haben.

Immer wenn sie bei ihm war und er sie mit seinen Zärtlichkeiten verwöhnte, fühlte sie sich so wunderbar geborgen. Es war sehr angenehm und seltsam hypnotisierend, wenn er sie mit derart gleichbleibenden Bewegungen streichelte wie jetzt. Gegen ihren Willen döste sie kurz ein.

Der Klang seiner Stimme weckte sie jedoch augenblicklich wieder. Zunächst noch etwas schläfrig lauschte sie seinen Worten, doch als sie merkte wovon er da sprach, wurde sie jäh hellhörig. „Ich hatte gehofft, wenn ich ihr zeige wer ich bin und was ich fühle, würde sie mich akzeptieren, mich verstehen, doch ich befürchte, das war reines Wunschdenken meinerseits. Als ich ihr meine Musik der Nacht vorsang, war sie zwar ohne jeden Zweifel fasziniert, doch die ganze Zeit über konnte ich spüren, dass sie sich immer noch vor mir ängstigte. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, weißt du was ich meine?"

Atemlos hörte Katrina ihm zu. Das klang ja beinahe so, als hätte er Zweifel! Ihr Herz klopfte wie verrückt. Durfte sie tatsächlich hoffen, dass er sich von der Idee Christine für sich zu gewinnen zu wollen allmählich zu lösen begann? Dass er anfing zu begreifen, dass die junge Sängerin zu schwach für ihn war?

Eriks Hand ruhte vergessen auf ihrem Rücken, während er gedankenverloren die flackernden Kerzen betrachtete. „Und dann ist da noch... sie. Diese mysteriöse Frau, die mir nachstellt und nicht die geringste Furcht vor mir zu haben scheint. Sie ist so anders als Christine, so mutig und sinnlich. Wenn ich mir nicht so sicher wäre, dass da irgendein grausamer Scherz dahinter steckt, dann... ja, dann könnte ich vielleicht den Mut aufbringen mich auf sie einzulassen."

Katrina hatte das Gefühl ihr Herz würde jeden Augenblick stehen bleiben bei diesem unglaublichen Geständnis aus seinem Mund. Ungläubig starrte sie über den See, dessen Wasseroberfläche sich leicht kräuselte. Ein ungeahntes Glücksgefühl durchflutete sie und sie hätte laut jubeln mögen vor Freude. Er begann sich nicht nur von seiner Besessenheit für Christine zu lösen, er fing sogar an sich einzugestehen, dass er sie, Katrina, anziehend fand.

Dieses Wissen bestärkte sie darin heute Nacht für ihn da zu sein, wenn er mit der Erkenntnis konfrontiert wurde, dass Christine ihre Liebe bereits einem anderen geschenkt hatte. Wenn es ihr gelang seine Zweifel zu zerstreuen und sein Vertrauen zu gewinnen, dann könnte sie ihn für sich gewinnen.

Sie schnurrte zufrieden. Gewiss sah sie in diesem Moment wie die sprichwörtliche Katze aus, die den Sahnetopf leer geschleckt hatte, doch das war ihr gleich.

Die Hoffnung sein Herz in Kürze erobern zu können, gab ihr neue Kraft und sie würde alles daran setzen, dass es tatsächlich so weit kam.


Die Zeit bis zum Abend verging rasend schnell. Katrina versuchte es Erik gleich zu tun und sich ein wenig Ruhe zu gönnen, doch in ihrer Nervosität war sie nicht in der Lage Schlaf zu finden.

Als es schließlich kurz vor Sonnenuntergang war, stahl sie sich heimlich davon, beseelt von dem Wunsch, dass ihr Vorhaben von Erfolg gekrönt war.


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