Katrina wählte eine in einer kleinen Kammer abgelegene Geheimtür, die nahe der Tür zu Christines Garderobe lag, um die versteckten Gänge zu verlassen und in das turbulente Treiben innerhalb des Opernhauses einzutauchen. Erst als sie ganz sicher war, dass niemand sie beim Verlassen sehen würde, schlüpfte sie hindurch und schloss die verborgene Tür sogleich wieder.
Kaum trat sie hinaus auf den Gang, war sie umringt von Menschen. Entschlossen drängte sie sich an kichernden Ballerinen, schwatzenden Darstellern und laut lachenden Bühnenarbeitern vorbei. Sie hatte keine Zeit um sich leise und vorsichtig im Schatten voran zu bewegen wie sonst. Zu viel stand auf dem Spiel.
Sie konnte nur hoffe, dass sie in der Masse an Menschen, die sich überall tummelten, nicht weiter auffallen würde.
Endlich hatte sie die Garderobe des neuen Stars der Pariser Oper erreicht. Christines überwältigender Erfolg war das Thema Nummer eins unter den Mitarbeitern des Opernhauses und ganz gleich an wem sie vorüber geeilt war, alle sprachen ohne Ausnahme über ihre unvergleichliche Stimme und ihren triumphalen Auftritt.
Katrina schaute sich um und als sie sicher war, dass niemand ihr Beachtung schenkte, drückte sie die Klinke hinunter und huschte in den Raum. Hastig schaute sie sich um, doch Christine war nicht da.
Aber jemand anderes war bereits hier gewesen und hatte ein Zeichen seiner Anerkennung da gelassen. Grimmig starrte Katrina auf die blutrote Rose, die mit einem schwarzen Band aus Satin verziert war.
Solche Bänder waren es gewesen, mit denen er sie an sein Bett gefesselt hatte.
Ihr Puls begann nervös zu flattern, als sie daran dachte wie nahe er sich über sie gebeugt und was das in ihr ausgelöst hatte. Sein Atem kitzelte ihre Wange, seine Finger strichen aufreizend langsam an ihrer Kehle entlang, der Blick seiner grünen Augen hielt den ihren gefangen...
Sie blinzelte ein paar Mal hektisch um diese aufwühlenden Bilder zu verscheuchen. Um in angenehmen Erinnerungen zu schwelgen war nun wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.
Da Christine noch nicht in ihrer Garderobe weilte, konnte das nur bedeuten, dass sie sich noch mit Meg in der kleinen Kapelle der Oper befand und dort eine Kerze für ihren verstorbenen Vater entzündete. Wenn sie schnell genug dort war, konnte sie vielleicht verhindern, dass Christine überhaupt in die Reichweite des Spiegels gelangte.
Sie hatte zwar nicht die geringste Ahnung wie sie die junge Sängerin aufhalten sollte, aber ihr würde gewiss etwas einfallen, wenn sie diese erst einmal gefunden hatte. Und zur Not hatte sie immer noch die Möglichkeit die junge Sängerin anderweitig außer Gefecht zu setzen. Das wäre nicht gerade die feine englische Art, aber sehr effektiv.
Katrina raffte ihre Röcke und eilte flink aus der Garderobe in Richtung Kapelle. Sie hoffte sehr, dass sie nicht gezwungen war auf solch rabiate Mittel zurück greifen zu müssen. Es musste reichen, wenn sie Christine derart einschüchterte, dass sie sich nicht mehr in ihre privaten Gemächer wagte.
Als der Gang sich gabelte und sie schwungvoll nach links abbiegen wollte, rannte sie in jemanden hinein. Sie gab einen erschrockenen Laut von sich und wäre beinahe gestürzt, wenn zwei Arme sie nicht festgehalten hätten.
„Nicht so stürmisch, Mademoiselle!" hörte sie eine wohlbekannte Stimme. Sie blickte hoch und sah in die freundlich blickenden Augen von Raoul, dem Vicomte de Chagny.
Ihr Verstand arbeitete fieberhaft und dann hatte sie eine spontane Eingebung. Falls sie Christine verpasste, musste sie sich irgendwie absichern. Da konnte es nicht schaden den Vicomte auf die drohende Gefahr für seine Angebetete aufmerksam zu machen.

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No backward glances
FanfictionEin Mann, gezeichnet von einem grausamen Schicksal, gefangen in unendlicher Einsamkeit. Eine Frau, die alles zu tun bereit ist, um ihn aus diesem Elend zu befreien und ihm den Weg ins Licht zu weisen. Göttliche Einmischung, die alles durcheinander w...