Katrina trieb in vollkommener Dunkelheit, die Finsternis umhüllte sie wie eine große samtene Decke, allgegenwärtig und undurchdringbar. Sie hatte das Gefühl sich darin zu verlieren, wenn es ihr nicht gelang sich daraus zu befreien.
Verstört versuchte sie sich zu bewegen, doch ihre Gliedmaßen wollten ihr nicht gehorchen. Ein Schrei der Panik entrang sich ihrer Kehle, der jedoch stumm verhallte. Blicklos starrte sie in die unendliche Schwärze, am Rande der Verzweiflung, hilflos umher treibend.
Was geschah mit ihr?
Sie konnte nicht richtig denken, geschweige denn sich entsinnen, was mit ihr passiert war. Selbst an ihren eigenen Namen konnte sie sich nicht erinnern und das machte ihr Angst.
Irgendetwas ging hier vor, etwas, dass sie nicht verstand und dass keinen Sinn zu ergeben schien. Es fühlte sich falsch an hier zu sein, mitten im Nirgendwo. Sie hatte das Gefühl, dass sie woanders besser aufgehoben wäre. Dass sie gebraucht wurde.
Eine bleierne Müdigkeit bemächtigte sich ohne jegliche Vorwarnung ihrer und drohte ihr das Bewusstsein zu rauben. Mühsam kämpfte sie den Drang nach Schlaf nieder, instinktiv spürend, dass es verheerende Folgen haben würde, wenn sie ihm nachgab.
Plötzlich durchbrach ein Gefühl den Zustand ihrer Lethargie, das Gefühl einer kühlen Hand auf ihrer Stirn. Diese Berührung war wie ein Impuls und half ihrem benebelten Verstand jäh zurück in die Realität zu finden.
Katrina schlug die Augen auf und war einen Moment lang geblendet von dem hellen Licht in dem kleinen Zimmer, in dem sie sich befand. Nach und nach registrierte sie mehr von ihrer Umgebung und begann sich langsam zu erinnern.
Sie befand sich in einem schmalen Bett in einem spärlich möblierten Zimmer. Neben ihr saß eine fremde Frau ganz in Weiß gekleidet, die sie freundlich an lächelte und offenbar ihre Temperatur geprüft hatte. „Wie schön, Sie sind endlich aufgewacht“ sagte sie und griff nach dem Blutdruckmessgerät auf dem kleinen Schränkchen neben dem Bett.
Widerstandslos ließ Katrina sich die Manschette um den Oberarm legen und sah fast schon teilnahmslos zu wie die Fremde diese wenig später aufpumpte. Ihr Blick wanderte ihren bloßen Arm entlang und blieb an dem Zugang in ihrer Armbeuge hängen, der mit einem Tropf verbunden war.
Sie riss die Augen auf, als sie in ihrer Benommenheit endlich begriff, was das alles hier zu bedeuten hatte. Die Erinnerungen, die zunächst nur vage hin und wieder in ihrem Geist aufgeblitzt waren, nahmen an Intensität zu und wurden klarer und deutlicher.
Das Gesicht eines Mannes schob sich vor ihr inneres Auge. Er verbarg sein entstelltes Antlitz hinter einer weißen Halbmaske und sah sie mit seinen unvergleichlichen grünen Augen derart schmerzerfüllt an, dass es ihr den Atem nahm.
Erik.
Wo war er? Sie musste zu ihm! Er brauchte sie doch! Sie beide gehörten zusammen. Für immer. Und nichts und niemand durfte sie trennen.
Ein Schluchzen entschlüpfte ihrer Kehle, als sie begriff, dass es dafür bereits zu spät war. Das Schicksal war grausam gewesen und hatte sie unbarmherzig auseinander gerissen. Erik war im Jahre 1879 geblieben, während sie wieder in ihre Zeit zurückkehrt war den modernen Geräten hier im Krankenhaus nach zu schließen.
Er war demnach schon lange tot.
Diese Erkenntnis ließ sie vollends zusammenbrechen. Verzweifelt barg sie ihr Gesicht in den Händen und begann bitterlich zu weinen. Sie hatte so viel riskiert und doch alles verloren. Ihnen beiden war nur ein flüchtiger Moment des Glücks vergönnt gewesen, dabei hätten sie die Ewigkeit miteinander verbringen müssen.
Es war nicht fair.
Sie wollte das nicht. Alles was sie wollte, war Erik, doch nun war er für sie für immer verloren. Hier in ihrer Zeit existierte er schon lange nicht mehr, war nur noch eine Legende, ein unvergessener Mythos.
Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass er der Mann war, den sie über alles liebte.
Die Krankenschwester tätschelte mitfühlend ihre Hand. „Weinen Sie nicht, meine Liebe. Ich weiß, dass Sie viel verloren haben, aber zumindest sind Sie noch am Leben.“
Überrascht sah Katrina sie an. „Wie... wie meinen Sie das?“ schniefte sie und fuhr sich mit der Hand über die Wangen, um die Tränenspuren wegzuwischen.
Einen kurzen Moment lang dachte sie wirklich, dass die Schwester über Erik sprach, doch diese aufkeimende Hoffnung wurde jäh wieder zerstört, als sie ihr antwortete. „Oh, das können Sie ja noch gar nicht wissen! Ihre Wohnung ist komplett ausgebrannt und alles was sich darin befand ist in dem Feuer vernichtet worden. Tut mir wirklich leid für Sie. Das alles muss Sie sehr mitnehmen. Ich kann gut nachempfinden wie Sie sich jetzt fühlen müssen.“
Katrina wagte zu bezweifeln, dass sie das tatsächlich konnte, schenkte ihr aber ein schwaches Lächeln. „Danke... das ist sehr nett von Ihnen“, zwang sie sich höflich zu erwidern. Sie dachte an all die Dinge in ihrer Wohnung, die ihr lieb und teuer gewesen waren, doch deren Verlust war nichts im Vergleich zu dem Verlust des einen Menschen, der ihr einfach alles bedeutet hatte.
Erneut stiegen ihr die Tränen in die Augen und der Schmerz drohte sie zu überwältigen. Sie rang um Fassung und starrte auf ihr bandagiertes Handgelenk. Darunter konnte sie deutlich das leichte Brennen des Schnittes spüren, den Nadir ihr beim Ritual des Handfastings zugefügt hatte. Ihr Blick fiel auf den wunderschönen Ring mit den zwei ineinander verschlungenen Diamanten. Als sie daran dachte, was Erik bezüglich der Bedeutung dieses Ringes gesagt hatte, konnte sie die mühsam unterdrückten Tränen nicht länger zurückhalten.
Sie schluchzte leise, während sie zart die Konturen der im Licht funkelnden Diamanten mit den Fingerspitzen nach fuhr. Da wo ihr Herz saß verspürte sie ein taubes Gefühl in der Brust und sie wusste, dass es dafür keine Linderung geben würde. Mit Erik war ein Teil ihres Herzens unweigerlich verloren gegangen und das hatte ein Loch hinterlassen, dass nichts und niemand je ausfüllen würde können.
Plötzlich wurde ein Taschentuch in ihr Sichtfeld gehalten. Dankbar ergriff sie es und putzte sich die Nase. „Danke“ murmelte sie dann und schenkte der netten Schwester ein flüchtiges Lächeln.
„Geht es wieder? Oder möchten Sie vielleicht ein Schlafmittel für die Nacht? Baldrian für die Nerven?“
Katrina schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Es... es wird schon gehen, denke ich.“
„In Ordnung.“ Die Schwester erhob sich und sammelte ihre Utensilien wieder ein. „Ich werde jetzt gehen, aber zögern Sie nicht mich zu rufen, wenn etwas sein sollte. Da vorne ist der Klingelknopf.“
Katrina nickte brav und lehnte sich zurück. Sie wartete bis die Schwester ihr eine Gute Nacht gewünscht und vollends gegangen war, ehe sie sich so gut es ging auf die Seite drehte und sich wie ein Igel unter der Decke einrollte.
Sie versuchte sich nicht von dem Schmerz übermannen zu lassen, doch das war auf Dauer unmöglich, also gab sie sich ihm hin und weinte in das Kissen. Wie sehr sie doch wünschte, das ganze wäre lediglich ein schrecklicher Alptraum, aus dem sie jeden Moment erwachen würde, um sich dann Trost suchend in Eriks Arme zu schmiegen. Doch dem war nicht so. Es war die bittere Realität und sie würde sie früher oder später akzeptieren müssen.
Was sollte sie nun nur ohne Erik tun? Wie sollte sie ohne ihn weiterleben?
Ihre Finger zitterten, als sie nach der Flasche auf dem kleinen Tisch griff, um sich ein Glas Wasser einzuschenken. Beim Zurückstellen der Flasche stach ihr etwas ins Auge, dass sie zuvor in ihrem Kummer überhaupt nicht wahr genommen hatte und sie keuchte vor Überraschung auf. Ihre Hand bebte, als sie danach griff und es näher in Augenschein nahm.
Es war eine dunkelrote Rose versehen mit einer Schleife aus schwarzem Satin.
tbc
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No backward glances
FanfictionEin Mann, gezeichnet von einem grausamen Schicksal, gefangen in unendlicher Einsamkeit. Eine Frau, die alles zu tun bereit ist, um ihn aus diesem Elend zu befreien und ihm den Weg ins Licht zu weisen. Göttliche Einmischung, die alles durcheinander w...
