10. The great rehearsal

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Einige Stunden später hockte Katrina als Ayesha hoch oben über der gigantischen Bühne des Opernhauses auf einem der Querbalken, welche die Stege für die Bühnenarbeiter stützten, die den Vorhang bedienten und die riesigen Bühnenbilder wechselten. Von ihrem Platz im Schatten war sie so gut wie nicht zu sehen und konnte bequem das bunte Treiben unten verfolgen ohne befürchten zu müssen entdeckt zu werden.

Ihr kleiner Körper kribbelte vor lauter Aufregung, als ihr bewusst wurde, dass nun all das was sie aus dem Film kannte eintreten würde. Wenn sie daran dachte, was in dieser Nacht geschehen würde, wurde ihr ganz anders zumute. Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Und sie hatte noch keine Ahnung wie sie verhindern sollte, dass Erik Christine mit in sein unterirdisches Reich nahm.

Sie hätte gerne geseufzt, wagte es aber nicht, weil Buquet und die anderen Bühnenarbeiter hin und wieder ziemlich nahe an ihrem Versteck vorbei kamen. Sie waren gerade dabei das Bühnenbild für die Szene aus „Hannibal" hoch zu ziehen.

Ihre Augen ähnelten schmalen Schlitzen, während sie Joseph Buquet näher betrachtete. Er schien so etwas wie der Vorarbeiter zu sein und hatte etwas an sich, dass ihr nicht behagte. Kurzum er war ihr auf Anhieb unsympathisch. Wieso konnte sie gar nicht so genau benennen. Vielleicht weil er dieses verschlagene Grinsen hatte und ein beunruhigendes Funkeln in seinen Augen lag, sobald er nach unten auf die leicht bekleideten Mädchen des Balletts starrte.

Sie war froh, als er und die anderen sich wieder entfernten.

Als nun das Orchester unter der Leitung von Monsieur Reyer zu spielen begann, legte sie ihr kleines Köpfchen auf die Vorderpfoten und spitzte gespannt die Ohren. Es war eine wahre Freude den prächtig kostümierten Darstellern beim Aufmarschieren auf die Bühne zu zusehen. Auch der Gesang des Chors war herausragend.

Bis La Carlotta zu singen begann.

Katrina zuckte zusammen bei den ersten Tönen aus dem Mund der Primadonna und hätte sich am liebsten die Ohren zu gehalten, so schrecklich klang es. In diesem Moment hätte sie alles dafür gegeben nicht so ein empfindliches Gehör zu besitzen wie sie es in dieser Gestalt hatte.

Gott, war das grauenhaft! Carlottas Stimme war viel zu schrill und gekünstelt, es fehlte die Wärme darin und jegliches Gespür richtig damit umzugehen. Überhaupt kein Vergleich zu Christines gefühlvollem Gesang, welchen sie die letzten Abende immer heimlich gelauscht hatte.

Katrina war ungemein erleichtert, als Carlottas Part endete und der rundliche Piangi in der Rolle des Hannibal nach vorne trat. Doch offenbar war Monsieur Reyer mit seiner Darbietung nicht sonderlich zufrieden, denn er unterbrach die Probe an dieser Stelle und bat leicht verärgert um mehr Konzentration, da Teile des Chors zu kichern und schwatzen begonnen hatten.

Als das Getuschel und Gemurmel unter den Darstellern immer lauter wurde, schweifte Katrinas Blick zum Bühneneingang, den drei wohlhabend gekleidete Männer mittleren Alters hinauf schritten. Sie wusste natürlich sofort wer die drei waren: der jetzige Operndirektor Monsieur Lefèvre und seine beiden Nachfolger Monsieur Firmin und Monsieur André.

Ihr Blick wanderte weiter zu Madame Giry, die zu ihrer Überraschung exakt genauso aussah wie die Madame Giry, die sie aus dem Film kannte. Verblüffend! Sie trug eine strenge Miene zur Schau und strahlte Ruhe und Autorität aus, was ihr hoch geschlossenes schwarzes Kleid nur noch betonte.

Als Katrina weiter schaute konnte sie auf der anderen Seite der Bühne auch Meg und Christine ausmachen, die recht freizügige Sklavinnen Kostüme trugen und auf den Einsatz des Balletts warteten.

Monsieur Lefèvre räusperte sich einmal vernehmlich, woraufhin alle Anwesenden nach und nach verstummten. Als schließlich Stille eingekehrt war, richtete er das Wort an seine Leute. „Wenn Sie mir einen Moment Ihrer Aufmerksamkeit schenken würden, Mesdames et Messieurs. Danke sehr!" Abwartend wurde er von allen Seiten betrachtet, als er nun weiter sprach. „Die Gerüchte über meine bevorstehende Abdankung kursieren ja bereits seit einigen Wochen. Ich darf Ihnen nun mitteilen, dass diese der Wahrheit entsprechen."

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