Aufmerksam sah Erik mit an wie der Vicomte mit sich selbst rang und versuchte das alles zu verstehen. In gewisser Weise konnte er ihm nicht einmal einen Vorwurf daraus machen, dass er Zweifel an der ganzen Geschichte hegte, denn er selbst fand es immer noch unbegreiflich, dass er in Katrina den einen Menschen gefunden hatte, der tatsächlich an seiner Seite bleiben wollte.
Ein Gefühl des Friedens überkam ihm, als er auf die wundervolle Frau an seiner Seite hinab sah und er meinte sein Herz müsste schier überquellen vor lauter Freude darüber, dass sie ihn trotz allem, was gewesen war, immer noch liebte. Er hätte sich nie verziehen, wenn er sie mit seinem unmöglichen Benehmen vergrault hätte. Ohne sie war sein Leben nichts. Zum Glück hatte er das rechtzeitig erkannt, ehe er sie für immer verloren hatte.
Er verflocht seine Finger mit den ihren und lächelte sie sanft an. Ihre blau-grauen Augen strahlten voller Liebe und Wärme, als sie sein Lächeln erwiderte, und er hatte das Gefühl sich in den leuchtenden Tiefen vollends zu verlieren, wenn er nur lange genug hineinsah.
Erst die Stimme des Vicomte de Chagny vermochte es ihn wieder zurück in die Wirklichkeit zu holen. „Unglaublich“, murmelte dieser und sah Christine voller Staunen an. „Ich denke, du hast recht. Etwas Derartiges hätte ich nie für möglich gehalten, aber... so wie sie sich ansehen, wie sie miteinander umgehen, kann es nur wahr sein.“
Christine schenkte ihm ihr schönstes Lächeln und küsste ihn zart auf den Mund. „Das ist es. Lass uns nun gehen, Raoul. Wir sind frei und müssen uns nicht mehr ängstigen. Lass uns gehen und dies alles vergessen, von vorne anfangen. Nur wir beide.“
Der Vicomte ergriff ihre Hand und drückte sie zärtlich. „Das hört sich wunderbar an, liebes Lottchen. Komm!“
Er vermied es absichtlich Erik oder Katrina anzusehen, als er sich nun mit Christine zum Gehen wandte. Erik schnaubte leise. Dieser elende Feigling traute sich wohl nicht ihnen in die Augen zu blicken und war zu sehr von sich selbst überzeugt, um sich zu entschuldigen. Eingebildeter Laffe!
Seine einstige Schülerin besaß weitaus mehr Anstand als ihr arroganter Verlobter und hauchte ein „Lebewohl!“ in ihre Richtung, begleitet von einem herzlichen Lächeln, ehe sie sich mit Raoul auf dem Weg machte.
„Ich werde die beiden wohl besser begleiten, damit sie auch den Weg zurück ins Freie finden“, meinte Nadir und zwinkerte Erik verschwörerisch zu, ehe er dem Paar hinterher eilte.
Erik wartete bis die drei nicht mehr zu sehen und hören waren. Dann seufzte er und zog Katrina in seine Arme, um sie einfach nur festzuhalten und das Gefühl ihr nach all der Zeit wieder so nah zu sein, vollends auszukosten. Sie schmiegte sich an ihn und fuhr ganz sacht mit den Fingern den mit Rüschen besetzten Ausschnitt seines Hemdes lang.
Lange standen sie so da und genossen einfach nur die Nähe des anderen ohne ein Wort zu sprechen. Erik nutzte die Minuten des Schweigens um sich zu sammeln. Es gab so vieles, was er Katrina sagen wollte, doch er wusste nicht wie er es anfangen sollte. In solchen Dingen hatte er keinerlei Erfahrung, weswegen er sich schrecklich hilflos und unsicher fühlte.
Während er zart über ihr weiches Haar strich, kam ihm schließlich eine Idee. Er würde sich auf das berufen, was er konnte, seine Musik würde ihn leiten und ihm helfen einen Einstieg in dieses schwierige Gespräch zu finden. Er brauchte lediglich das, was sein Herz fühlte, in Worte zu kleiden.
Sanft löste er sich von Katrina und sah ihr in die Augen, die ihn mit einem Ausdruck verhaltener Neugierde musterten. Er nahm all seinen Mut zusammen und lauschte tief in sich hinein, bis er eine Melodie gefunden hatte, die zu dem passte, was er ausdrücken wollte. Dann begann er zu singen, erst leise und zögernd, doch mit jedem Wort gewann er an Sicherheit, bis seine Stimme rein und klar im Gewölbe wider hallte:
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No backward glances
FanfictionEin Mann, gezeichnet von einem grausamen Schicksal, gefangen in unendlicher Einsamkeit. Eine Frau, die alles zu tun bereit ist, um ihn aus diesem Elend zu befreien und ihm den Weg ins Licht zu weisen. Göttliche Einmischung, die alles durcheinander w...