19. A thin grey line

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Katrina hatte sich auf das Dach der Oper geflüchtet und klammerte sich dort Halt suchend an eine der großen Statuen. Ihr Herz war voll Kummer, als sie über die Dächer des nächtlichen Paris schaute.

Mit ihren Fingern berührte sie immer wieder flüchtig ihre Lippen, die immer noch angenehm kribbelten. Sie konnte nicht glauben, dass er sie wirklich geküsst hatte. Es war so unbeschreiblich schön gewesen und in dem Augenblick, als seine Lippen die ihren eroberten, hatte sie ihr Herz endgültig an diesen einsamen Mann verloren, der sich nach Liebe verzehrte.

Sie konnte nicht mehr leugnen, dass sie zärtliche Gefühle für ihn hegte. Ihre Sehnsucht nach ihm war so groß, dass sie nichts lieber getan hätte, als zu ihm zu eilen.

Doch sie wusste, dass das der falsche Weg wäre. Er war so wütend auf sie, weil er seinem Verlangen nachgegeben und alles um sich herum vergessen hatte. Selbst Christines Anwesenheit war in dem intimen Moment, den sie geteilt hatten, aus seiner Erinnerung getilgt gewesen und genau das war es, was eine solche Wut in ihm entfacht hatte.

Katrina fröstelte unter der kalten Brise, die hier oben wehte und sie schlang schützend die Arme um sich. Sein kalter, zorniger Blick hatte sich tief in ihre Seele gebrannt und sie verfluchte den Umstand, dass dieses junge Ding ihn immer noch so sehr faszinierte.

Hatte er es denn wirklich nicht gespürt? Diese knisternde Anziehung zwischen ihnen beiden? Sie konnte nicht verstehen, dass er so vehement abstritt sie zu begehren, wo es doch offensichtlich war, dass er es tat. Wieso wehrte er sich derart dagegen?

Sie seufzte traurig. Vielleicht war ihre Idee doch nicht so gut gewesen. Aber als Melpomene ihr die Gabe des Gesangs schenkte, hatte sie sofort gewusst was sie tun musste. Sie kannte den Text von „The Music of the night" in und auswendig und hatte all ihre Sehnsucht mit einfließen lassen, als sie es für ihn sang.

Er war sogleich gebannt gewesen, hatte den Blick nicht von ihr wenden können und sie derart verlangend angesehen, dass sie glaubte unter der glühenden Intensität seines Blickes vergehen zu müssen. Angetrieben von dem Begehren, dass in seinen Augen loderte, hatte sie gehandelt ohne weiter darüber nachzudenken. Atemlos hatte sie ihn berührt, unfähig sich wieder zurück zu ziehen. Und er hatte dem Drang ihr nahe zu sein ebenfalls nachgegeben. Seine zarten Berührungen hatten sie schier um den Verstand gebracht und den Wunsch nach mehr entfacht.

Das Wissen, dass er sich ebenso sehr nach ihr verzehrt hatte wie sie sich nach ihm, machte seine Ablehnung nur noch umso schmerzhafter.

Unwillkürlich fragte sie sich was geschehen wäre, wenn Nadir sie nicht unterbrochen hätte. Wie weit hätte Erik es wohl kommen lassen?

Ihre Wangen wurden rot und ihre Atmung beschleunigte sich, als sich ungemein erotische Bilder von ihr und Erik vor ihr inneres Auge schoben.

Hastig verscheuchte sie diese und atmete zittrig einmal tief durch, um wieder einen klaren Verstand zu bekommen. Sie musste sich zusammenreißen und überlegen was sie jetzt tun sollte.

In seiner unermesslichen Wut hatte Erik sie rausgeschmissen und sie wusste nicht wie er reagieren würde, wenn sie in der folgenden Nacht einfach so wieder auftauchte. Aber sie musste mit ihm sprechen und ihm vor Augen führen, dass sie beide nichts Falsches getan hatten.

Trübsinnig starrte sie hoch zu den Sternen, die kühl und unerreichbar am Himmelszelt funkelten. In der Ferne begann der Himmel bereits heller zu werden. Der Morgen war also nicht mehr weit.

Sie seufzte erneut und löste sich dann von ihrem Beobachtungsposten um sich vor Sonnenaufgang in ihre Höhle zu begeben, wo sie sich dann ungestört verwandeln konnte.

No backward glancesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt