49. So obvious

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Der Daroga konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen, als er den davon eilenden Polizisten hinterher blickte. Trotz all seiner Befürchtungen hatte es funktioniert. Es war ihm gelungen sie bezüglich des maskierten Mannes, den sie fassen sollten, auf eine falsche Fährte zu locken. Ehe sie dahinter kamen, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes einem Phantom nachjagten, waren Erik und Katrina schon lange fort und konnten irgendwo weit weg von Paris ein neues Leben beginnen.

Er lächelte bei dem Gedanken daran. Nach allem, was da zwischen den beiden bei der Aufführung von Don Juan gewesen war, wusste er mit absoluter Sicherheit, dass ihre Geschichte ein gutes Ende nehmen würde. Und dieses Wissen gab ihm ein Gefühl des Friedens, denn nichts hatte er sich mehr gewünscht, als das sein missverstandener Freund endlich sein Glück fand. Katrina war genau die richtige Frau für ihn und er war froh, dass das Schicksal die beiden zusammen geführt hatte.

Er wollte sich abwenden und nach Hause gehen, doch die tödliche Spitze eines Degens bohrte sich plötzlich in seine Seite und hinderte ihn daran. Das Lächeln gefror ihm jäh auf den Lippen und er erstarrte in der Bewegung. Fassungslos blickte er auf den Vicomte de Chagny, der mit grimmiger Miene da stand und ihn mit zusammen gekniffenen Augen fixierte. Hinter ihm halb verborgen stand Christine Daaé und sah ängstlich zwischen ihm und ihrem Geliebten hin und her, so als wüsste sie nicht, was zu tun war, hütete sich aber davor einzuschreiten.

Zorn regte sich in dem Perser. Was bildete dieser Jungspund sich ein? Was glaubte er, dass er war,  ihn derart zu behandeln? „Monsieur, ich verlange augenblicklich eine Erklärung für Ihr rüdes Benehmen!“ verlangte er mit fester Stimme zu erfahren und musterte den Vicomte mit kühlem Blick.

„Spielen Sie nicht den Unschuldigen!“ knurrte der jüngere Mann und funkelte ihn an. „Sie wissen ebenso gut wie ich, weswegen ich mich so verhalte. Also erweisen Sie mir den Gefallen und führen mich zu ihm, in sein Reich. Sofort!“
Nadir erwiderte seinen Blick ruhig. „Und wenn ich mich weigere?“

Raoul verstärkte den Druck des Degens minimal, eine unmissverständliche Warnung, die keiner weiteren Worte bedurfte.

Der Daroga schnaubte verächtlich. „Sie sind ein Narr, Vicomte. Sie sollten einfach Ihre Verlobte nehmen und ihn und alles, was geschehen ist, vergessen. Er wird Sie oder Mademoiselle Daaé nie wieder behelligen. Dazu besteht nicht der geringste Grund, denn er hegt kein Interesse an Ihnen beiden. Nicht mehr. Nun hat er endlich eine Chance ein wirkliches Leben zu führen. Mit ihr, mit der Frau an seiner Seite, die heute Abend den Platz Ihrer Liebsten eingenommen hat. Katrina. Also lassen Sie die beiden in Ruhe und kümmern sich um ihr eigenes Dasein!“

„Nicht, bevor ich nicht mit eigenen Ohren von ihm gehört habe, dass er Christine zukünftig mit seiner abscheulichen Gegenwart verschont! Ich brauche Gewissheit, sonst können wir uns nie von diesem entsetzlichen Alptraum lösen!“ herrschte der Vicomte ihn an.

Nadir konnte über so viel Torheit nur den Kopf schütteln. Es war zwecklos den jungen Adeligen davon überzeugen zu wollen, dass Erik ihn oder Christine fortan in Ruhe lassen würde. Er war einfach zu stur und würde nicht nachgeben, ganz gleich, was er sagte. Also, blieb ihm wohl keine andere Wahl, als der Aufforderung nachzukommen.

„Gut, wie Sie wünschen. Aber geben Sie mir nicht die Schuld, wenn Sie uns damit alle in unser Verderben stürzen“, meinte er kühl, ging zu einem nahegelegenen Geheimgang und betätigte den gut verborgenen Mechanismus, der einen dunklen Tunnel frei legte.

Er entzündete seine Laterne und betrat dann den Gang, dicht gefolgt vom Vicomte und Christine.

~~~

Katrina und Erik hatten mittlerweile das große Gewölbe erreicht. Mit wachsender Sorge sah Katrina mit an, wie Erik zielstrebig in den Wohnbereich ging und ein aufgerolltes Lasso und einen Degen aus einer Kommode hervor holte. Seine Miene war unergründlich, als er einen Gürtel anlegte und beides daran befestigte.

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