Wie die Premiere bevorstand

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Kapitel 72- Wie die Premiere bevorstand
Wer hätte es gedacht, Josh hatte natürlich nicht mein Handy geortet.
Wie auch, er war ja nicht bei der Polizei oder so.
Dennoch war er relativ wütend und rief fast jede Stunde an, anfangs zumindest.
Stan und ich waren nach der Arbeit noch etwas trinken gegangen und am nächsten Morgen lag ich neben ihm im Bett, todmüde und mehr als nur ein wenig verkatert.
Bei jedem anderen Mann hätte ich jetzt panisch nachgesehen, ob ich bekleidet war, doch das war bei Stan nicht nötig.
Er würde mich in hundert Jahren nicht anfassen, höchstens wenn wir uns mal wieder herum blödelnd die Köpfe einschlugen.
Da seine Wohnung leider keine Jalousie hatte, blendete mich die Sonne und das war bei einem Kater natürlich alles andere als praktisch.
Ich stand gezwungenermaßen auf, ließ meinen besten Freund und Chef weiterschlafen und ging in die Küche.
Dort nahm ich mir ein Glas aus dem Schrank, füllte es mit Leitungswasser und suchte eine Kopfschmerztablette aus dem Arzneischrank im Badezimmer.
Kaum hatte ich sie geschluckt, ging es mir gleich viel besser.
Nicht.
Ich suchte mir den dunkelsten Platz, welcher auf dem Sofa war, sah kurz auf die Uhr und nahm dann mein Handy in die Hand, welches wie verrückt blinkte.
Zwölf Uhr mittags.
Ich sollte in meinem Zustand noch gar nicht wach sein.
Dieser Gedanke verschwand wie von selbst, als ich auf mein Handy sah und die Benachrichtigungen durchlas.
Oh-oh.
Es schien, als wäre über Nacht die Welt untergegangen.
Und ich war zu betrunken gewesen, um es mitzubekommen.
Dass ich mein Handy seit gestern vor dem Abendessen im Studio nicht mehr in der Hand gehabt hatte, war auch alles andere als hilfreich.
In den etwa neunzehn Stunden war eine jede Menge passiert:
Die 1D-WhatsApp-Gruppe war zugespammt worden und ich hatte alleine von ihnen fast fünfhundert Nachrichten auf meinem Handy.
Niall hatte mir geschrieben, dass er nach London kommen würde und schon heute würde er wieder in der Stadt sein.
Und dann hatte ich drei verpasste Anrufe von einer Nummer, die ich nicht kannte.
Die Frage stellte sich mir, ob ich zurückrufen oder lieber froh sein sollte, dass ich nicht drangegangen war.
Ich musste gar nicht lange überlegen, denn mein Handy klingelte just in diesem Moment, allerdings war es Liam.
„Hey?", sagte ich leise, denn mein Kopf fühlte sich noch immer an, als würde er gleich explodieren.
„Hey Li, ich fahr gleich los, soll ich bei dir vorbei kommen und dich mitnehmen?", fragte er.
Okay, ich hatte wohl tatsächlich eine ganze Menge verpasst.
„Hä?", machte ich nur wenig intelligent.
„Na, die Besprechung bei Modest wegen der Premiere?", meinte Liam, als wäre es das Offensichtlichste überhaupt.
Ah ja.
„Das hat mir niemand gesagt, ich glaube nicht, dass ich da dabei bin?", sagte ich etwas verunsichert, doch Liam lachte nur: „Bist du denn gestern Abend nicht an dein Handy gegangen? Marco persönlich hat angerufen!"
Ah ja.
Schön.
Ich nannte Liam meine Adresse und fragte ihn, wann er ungefähr hier sein würde.
„Zwanzig Minuten vielleicht? Ich kann auch warten, wenn du länger brauchst", meinte er und ich bedankte mich bei ihm.
Kaum hatte ich aufgelegt, sprang ich unter die Dusche, föhnte meine Haare, zog mich wahllos um und warf einen Blick in den Spiegel: Ich sah schrecklich aus.
Schnell putzte ich meine Zähne, bürstete meine Haare durch und versuchte meine Augenringe zu überschminken.
Eine Sonnenbrille zum Schutz vor dem Licht fand ich noch auf dem Wohnzimmertisch und so konnte ich dann schließlich pünktlich draußen sein und in Liams Wagen einsteigen.
„Nacht durchgemacht?", fragte er grinsend und viel zu laut.
Ich verzog das Gesicht kurz: „Absolut keine Ahnung, ich kann mich nicht erinnern."
Er lachte nur darüber, drehte dann das Radio leiser und fuhr still durch die Stadt.
„Ich habe mit deinem Bruder geredet", sagte er dann, als wir gerade im Aufzug bei Modest! standen.
„Ich hab es mitbekommen", murmelte ich.
Er grinste entschuldigend: „Ich wusste nicht, dass es ein Geheimnis ist, dass du in England bist. Sorry."
Die Sekretärin warf uns einen falsch-freundlichen Blick zu: „Die anderen warten bereits", informierte sie uns.
Liam nickte nur und öffnete schließlich die Tür zu dem Konferenzraum, in welchem wir schon bei der Sache mit Ryan gewesen waren, als ich meinen Job verloren hatte.
Tatsächlich waren wir die letzten, was aber weniger schlimm war als die Tatsache, dass da ein Stuhl zu viel bei der Band stand.
Neben Sandy, Dan und Jon saß da noch jemand.
Unddieser jemand sah mich ziemlich wütend an, sprang nun von seinem Stuhl auf und schien durch den ganzen Raum meinen Namen zu brüllen.
„WO VERDAMMT BIST DU GEWESEN?!"
Nahezu unisono kam es von Preston und Paul: „JOSH!"
Ja, tatsächlich, das war mein Bruder.
„Könnt ihr bitte alle nicht so schreien?", bat ich leise und versuchte den Schmerz im Kopf auszublenden.
Wann fing denn bitte diese dämliche Tablette an zu wirken?
„Hast du etwa einen Kater?", rief mein großer Bruder und wirkte noch wütender als zuvor.
Joa, also um ehrlich zu sein...
„Das geht dich ja wohl mal absolut gar nichts an", fauchte ich ihn an, sodass mein Kopf fast schon zu explodieren schien.
„Und wie mich das was angeht!", protestierte Josh und ich bemerkte, wie alle im Raum mit gebannten Blicken zwischen uns beiden hin und her sahen.
Preston räusperte sich: „Ihr könnt eure privaten Probleme ja später besprechen, ja?"
Josh starrte ihn einige Sekunden lang böse an, fast schon so, als würde er ihn jeden Moment anspringen wie ein hungriges Tier.
Und damit meinte ich kein Meerschweinchen, das gerade Lust auf Salat hatte, nein, ich sprach hier von einem gemeingefährlichen Eichhörnchen, dem man gerade die Nuss geklaut hatte.
Schweigend setzte sich Josh auf seinen Platz und ich tat es ihm nach, dann richtete ich meinen Blick nach vorne auf Paul.
Die Besprechung schien Ewigkeiten zu gehen.
Es wurde geplant und verworfen, abgestimmt und abgelehnt.
Am Ende des Tages war ich mir immer noch nicht ganz sicher, was ich bei der Premiere zu beachten hatte.
Es kam mir so irreal vor.
Den Roten Teppich kannte ich nur aus dem Fernsehen, ich hatte ihn noch nicht einmal mehr als Fan irgendwie in echt gesehen.
Und jetzt auf einmal sollte ausgerechnet ich auf ihm laufen, Bilder mit den Monstern machen und für Kameras posieren, um einen Film anzusehen, bei dem man mich sehen würde?
Nein, das war einfach wahnsinnig irreal.
Kaum war die Besprechung offiziell pausiert, sprang Josh schon auf und funkelte mich wütend an.
„Ich fass es einfach nicht", zischte er mich an, „Dass du es wagst hier betrunken aufzutauchen!"
„Tut mir leid, dass ich noch nicht einmal wusste, dass ich hier her kommen soll, bis Liam sich kurz vor knapp bei mir gemeldet hat", erwiderte ich giftig, „Ich kann leider nicht in die Zukunft sehen und schon am Abend vorher wissen, ob ich trinken kann oder nicht. Außerdem bin ich gerade ziemlich nüchtern."
„Du hast auch allgemein nicht zu trinken", erwiderte er, „Du bist doch noch so jung."
„Achtzehn, Josh, ich bin achtzehn", kommentierte ich trocken und zog gekonnt eine Augenbraue in die Höhe um zu zeigen, dass er einfach den größten Mist verzählte.
Er schien für einen Moment irritiert zu sein, fast schon so, als wäre das eine neue Information, dass ich bereits achtzehn war.
„Naja, aber du...Also...Das ist halt schon... Du weißt ja...Die ganzen Typen und so", stammelte er und versuchte seine Stimme irgendwie sicher klingen zu lassen.
Gelang ihm nicht wirklich.
„Ich will nicht, dass du mit irgendjemandem ins Bett gehst, der dich nicht aufrichtig liebt, Liza. Niemand soll deine Gefühle auf irgendeine Weise verletzen."
Ach ja, natürlich.
Was auch sonst.
Gerade war er noch total angepisst gewesen, weil ich getrunken hatte, und jetzt hielt er mir einen Vortrag darüber, was für ein toller Mensch ich doch sei.
Der Junge hatte Stimmungsschwankungen wie eine Schwangere.
Mein Blick traf auf Nialls, der unsere Konversation ganz offensichtlich belauschte.
Er grinste mich verstohlen an und ich verdrehte die Augen.
„Ich war mit niemandem im Bett, nur mal so fürs Protokoll. Und wenn, dann ist das ganz allein meine Sache. Dich geht das absolut nichts an. Ich habe mein eigenes Leben und du deins. Außerdem lehnst du dich hier ziemlich weit aus dem Fenster für jemanden, der vor einiger Zeit jemanden geschwängert hat. Unbeabsichtigt, mal so nebenbei angemerkt."

***

Josh fand es alles andere als lustig, dass ich nicht auf ihn hörte.
Die Pause ging etwa fünfzehn Minuten und ich verschwand schließlich nach draußen auf die kleine Dachterrasse um zu rauchen.
Niall, welcher als einziger mit mir gekommen war, sah mich ein wenig strafend an, aber irgendwie auch mitleidig.
„Was ist los?", fragte ich ihn, als ich diesen Blick nicht mehr aushielt.
Er seufzte.
Okay, das konnte jetzt mal dramatisch werden.
„Du weißt schon, dass rauchen tödlich ist", kam er mit der Predigt an, die ich mir bestimmt schon fünfmal von ihm hatte anhören dürfen, seit ich ihn kannte.
„Ist zur Kenntnisgenommen worden", nickte ich das Ganze ab.
Er verdrehte die Augen: „Ich mag dich lebendig aber ein ganz kleines Bisschen mehr."
„Sicher?", fragte ich ihn grinsend und er verdrehte die Augen nur noch mehr.
Langsam sah das dann doch ekelhaft aus.
Er nickte: „Ganz sicher."
Ich zog ein letztes Mal an der Zigarette, ehe ich sie aufgeraucht hatte.
Den Rest schmiss ich mit einer kurzen Handbewegung auf den Boden und zertrat das glühende Restchen mit meiner Schuhsohle.
„Du willst also, dass ich aufhöre?", fragte ich nach, auch wenn das schon ziemlich offensichtlich war.
Er schwieg, zögerte einen Moment, dann nickte er erneut.
„Ja, eigentlich schon. Ich meine, es ist dein Leben und so, aber du bist auch ein großer Teil von meinem Leben. Wenn du nicht auf deine Gesundheit achtest, dann muss ich das wohl machen, hm?", lächelte der Blonde vorsichtig und brachte auch mit zum Lächeln.
Er war ja schon ziemlich süß, fiel mir mal wieder auf.
Niall trat einen Schritt näher an mich heran, schob mir mit einer raschen Handbewegung eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte mich fast schon zufrieden an.
„Aber weil ich dich mit ganzem Herzen liebe, werde ich dich auch mit Zigarettengeruch küssen", murmelte er leise und gleichzeitig näherte sich sein Gesicht meinem, seine Lippen legten sich auf meine und es folgte ein Kuss.
Wie gut, dass wir alleine waren.
Seine eine Hand ruhte seitlich an meinem Gesicht, hob fast schon mein Kinn ein wenig, sodass es in der richtigen Position war, die andere Hand legte er nun an meinen Rücken.
Während wir uns küssten, rutschte diese Hand jedoch noch ein Stück tiefer und schließlich grabschte er mir an den Hintern.
Ich musste in den Kuss hinein lächeln.
Ein Klopfen an der Scheibe ließ uns auseinender fahren, meine Arme, welche sich um seinen Hals gelegt hatten, riss ich schnell von ihm weg und auch Niall trat blitzschnell einen Schritt zurück.
Nicht schnell genug, um zu verheimlichen, was wir gerade getan hatten.
Preston sah uns emotionslos an, auch wenn ich an seinen Mundwinkeln sehen konnte, dass er ein Grinsen versteckte.
Niall und ich warfen uns einen kurzen Blick voller Unsicherheit zu, dann gingen wir aber zurück zur Tür und somit auch zu Preston.
Dieser sah uns nur weiterhin so emotionslos an und meinte schließlich so leise es nur ging: „Ich habe gerade nichts gesehen, ja?"
Am liebsten hätte ich ihn abgeknutscht dafür.
Er war eben ein echter Schatz.
Dankend nickten wir beide gleichzeitig, dann gingen wir zurück zum Besprechungsraum, denn die Pause war wohl schon vorbei.
„Wir beide reden noch", sagte Preston schließlich zu mir, ehe wir den Raum betraten.

***

Es war bereits schon kurz vor Mitternacht und ich war mehr als nur vor dem Verhungern.
Ich verstand nicht, warum es kein Essen gegeben hatte, immerhin hatte jeder der Anwesenden den Eindruck auf michgemacht, dass er jede Sekunde zum Kannibalen mutiert wäre.
Wir standen gerade im Parkhaus von Modest! Management und verabschiedeten uns voneinander.
Josh sah so aus, als würde er mich jeden Augenblick in seinen Wagen zerren, doch soweit ich wusste, war er bei Sandy mitgefahren, der mich ein wenig vor meinem Bruder schützte.
Liam bot mir an, dass er mich wieder nachhause fahren würde, doch Niall behauptete, dass es bei ihm direkt auf dem Weg läge.
Mit einer kritisierend in die Höhe gezogenen Augenbraue quittierte Liam diese Behauptung, da er ganz genau wusste, dass es nicht stimmte, doch er sagte nichts dazu.
Vermutlich so eine Bro-Code-Sache.
Zayn räusperte sich, bevor jeder von uns in die Autos steigen konnte.
„Ich wollte nur ankündigen, dass ich es morgen machen werde. Bitte ruft mich also Morgenabend nicht an oder so. Ich werde euch sonst wirklich töten."
„Aw", machte ich und grinste ihn glücklich an.
Das war wirklich süß.
Es freute mich, dass Zayn sich nun doch dafür entschieden hatte, Perrie den Heiratsantrag zu machen.
Ich erinnerte mich auch noch ganz genau daran, als Zayn mich damals im Hotelzimmer darauf angesprochen hatte.
Nun grinste er unsicher und auch nervös, obwohl es ja noch knapp zwanzig Stunden dauern würde.
Nachdem wir ihm alle Glück gewünscht hatten, verabschiedete er sich von uns und fuhr mit seinem Auto weg.
Die Gruppe löste sich nach und nach auf und schließlich fuhren auch Niall und ich weg.
„Willst du bei mir schlafen?", fragte er mich, als wir irgendwo auf den Straßen Londons waren.
Ich sah ihn von der Seite an.
Sein Blick war noch immer auf die Fahrbahn gerichtet und er sah so verdammt süß aus, während er sich konzentrierte.
„Gerne", erwiderte ich.

***

„Es ist schon verrückt, dass sie dann vielleicht heiraten werden", meinte Niall beim Frühstück.
Er hatte mir Kaffee und Tee gemacht, die Brötchen waren frisch vom Bäcker geholt worden.
Geweckt hatte er mich erst, als der Tisch dann auch schon gedeckt war.
So saß ich nun in einem alten Shirt von ihm, welches mir bis etwa zur Mitte der Oberschenkel ging, an seinem Esstisch und lächelte ihn zufrieden an.
„Vielleicht bekommen sie dann ja auch Kinder", fuhr er fort und ich bemerkte einen leichten Unterton.
„Willst du mal Kinder?"
Ich verschluckte mich am Kaffee.
Okay, das war schnell gegangen.
„Du solltest noch ein wenig das Themawechseln üben", sagte ich, als ich wieder normal atmen konnte.
Er grinste mich verlegen an, seine Wangen färbten sich rosa.
Niall war einfach so verdammt süß.
Ich konnte es nur immer und immer wieder denken, es ging einfach nicht anders.
Dieser Junge war der süßeste Junge überhaupt, der witzigste und charmanteste.
Ich liebte ihn einfach so sehr.
„Das kommt drauf an", erwiderte ich.
Er sah mich nun aufmerksam an: „Ach ja? Auf was denn?"
Langsam zuckte ich mit den Schultern: „Naja, ich möchte mit dem Vater zusammenbleiben, für immer und so. Man muss ja nicht heiraten, aber ich möchte mir einfach sicher sein, dass das eine richtige Familie wird."
Niall nickte, so als hätte ich gerade irgendeine wichtige Prüfung bestanden oder den Friedensnobelpreis gewonnen.
„Schön."
Schön.
„Und du?", erwiderte ich nun unsicher.
Schön war so eine komische Antwort.
„Ach, das kommt auf die Frau an", antwortete Niall.
„Was muss sie denn können oder wie muss sie sein? Oder wie darf ich das verstehen?", sagte ich unsicher.
Seine Stimme war kaum hörbar, als er sehr leise antwortete: „Wenn ich bereit bin, für sie früh morgens aufzustehen, wenn sie ein Teil meines Lebens geworden ist, wenn ich sie mehr liebe als mich selbst, dann bin ich bereit mit ihr auch neues Leben zu schaffen."
Ich war mir für einen Moment nicht sicher, was ich da gerade gehört hatte.
Deshalb sagte ich: „Wie bitte?"
Er wiederholte sich jedoch nicht, sondern sagte dieses Mal nur mit einer nun etwas lauteren Stimme, dass er das dann fühlen würde.
Unsicher und ziemlich verwirrt nickte ich einfach nur und widmete mich dann meinem Essen.

***

Es war der sechzehnte August und somit würde ich in nur acht Tagen Geburtstag haben.
Niall ließ sich von mir die Nummern von Amy und Stan geben.
Erst war ich verwirrt darüber, dann jedoch meinte er, dass er mir unbedingt etwas schenken wollte und nachdem ich keinen Wunsch hatte, fragte er die beiden.
Es klang relativ plausibel, allerdings auch nur relativ.
Ich verbrachte die übrigen Tage ebenfalls bei Niall, der wohl noch einige Termine mit Modest hatte und auch recht viel mit irgendjemandem dort telefonierte, jedoch verließ er dabei immer den Raum und somit hatte ich keine Ahnung, um was es ging.
Ich hatte zwischenzeitlich neue Kleidung, Schminke und so weiter von Stan und Josh geholt, da Niall darauf bestanden hatte, dass ich bei ihm bleiben würde.
Es war eine schöne Zeit, das stand fest, auch wenn ich familiär noch immer meine Schwierigkeiten hatte.
Josh und Josy waren mit der Kleinen zum Essen gekommen und wir hatten uns ausgesprochen, jetzt war eigentlich zwischen uns alles in Ordnung.
Mom jedoch war das größte Problem momentan.
Sie war ausgezogen und wohnte bei ihrer Schwester, jedoch schien sie die Nächte nicht alleine zu verbringen, wie es mir gesagt worden war.
Wenn sie mit mir telefonierte, dann hörte ich meist eine männliche Stimme im Hintergrund und die veränderte sich fast täglich, sodass ich mit ziemlicher Sicherheit sagen konnte, dass Mom nicht einen neuen Mann oder Lebenspartner suchte, sondern einen Mann für eine Nacht oder zwei.
Wie ich darüber denken sollte, wusste ich dann selbst nicht.
Dennoch war ich verletzt, denn sie zerstörte mein Bild von dem perfekten Ehepaar, das einst so unantastbar gewesen war.
Ich war auch noch immer wütend auf sie, doch ich war momentan noch immer so geschockt, von der Beerdigung, dass ich gar nicht wusste, was ich machen sollte.
Ihr Verhalten war so unerklärlich gewesen und ich erkannte sie einfach gar nicht wieder.

*Rückblick*
Selten war es mir so schwer gefallen mich anzuziehen.
Schwarz war eigentlich eine meiner Lieblingsfarben, da sie meist so klassisch und zu jedem Anlass passend war.
Dass man bei Beerdigungen schwarz trug, störte mich.
Ehrlich gesagt hätte mich aber jede Farbe gestört und es war viel mehr der Fakt, dass es so etwas wie Beerdigungen und den Tod gab, der mich störte.
Ich selbst trug ein schwarzes Kleid, das kaum Ausschnitt hatte und über den Knien endete.
Die schwarzen Absatzschuhe klackerten, während ich die Treppe hinunterging.
Josy war ähnlich gekleidet wie ich, es war nur ein anderes Kleid, das sie trug.
Meine Nichte steckte ebenfalls in einem schwarzen Kleid und dunklen, geschlossenen Schuhen.
Josh trug einen Anzug.
Es tat weh ihn anzusehen, denn es erinnerte mich daran, dass Dad jetzt eigentlich auch hier bei uns stehen müsste und einen Anzug tragen sollte.
Er würde nahezu gleich aussehen wie Josh, nur eben einige Jahre älter.
Aber wenn Dad hier wäre, dann müssten wir hier gar nicht so in schwarz stehen.
Dann müssten wir zu keiner Beerdigung gehen, denn es wäre niemand gestorben.
Niemand wäre von uns gegangen.
Wir schwiegen alle, es war eine schmerzvolle Stille.
„Gehen wir", sagte Josh nur kurz, „Wir wollen doch nicht zu spät kommen."
Er war nun der Mann im Haus und er versuchte uns alle irgendwie zu leiten.
Doch während er der Helfer sein wollte, benötigte er selbst Hilfe.
Egal wie stark er sich aufspielen wollte, es klappte nicht.
Er konnte es nicht vor mir verstecken und ich war mir sicher, dass lediglich Stacy es ihm abkaufte.
Wir fuhren mit unserem Familienwagen zum Friedhof.
Es gab dort eine kleine Kapelle, in der man den kurzen Gottesdienst abhalten würde.
Als wir ankamen, waren bereits Verwandte und Freunde unserer Familie anwesend, manche kamen auch erst jetzt.
Die nächsten Minuten verbrachte ich damit, Hände zu schütteln und gesagt zu bekommen, wie leid es ihm oder ihr doch tue.
Ich wollte nicht behaupten, dass ich die einzige hier war, die wirklich trauerte, aber es würde wohl niemand so einen Schmerz empfinden wie ich.
Josh und Dad hatten zwar ein gutes Verhältnis zueinander gehabt, doch Dad und ich waren immer enger gewesen.
Der Gottesdienst begann schließlich, ich saß direkt in der ersten Reihe, wie es sich nun mal gehörte.
Der Platz neben mir war frei.
Es war Moms Platz.
Der Platz neben mir blieb auch frei und desto länger der Gottesdienst dann ging, desto bewusster wurde es mir, dass dieser Platz nicht besetzt werden würde.
Sie würde nicht kommen.
Und obwohl vor mir der Sarg stand, in dem sich Dads lebloser Körper befand, empfand ich keine Trauer mehr, sondern nur noch Wut.
Wie konnte Mom es wagen, hier nicht aufzutauchen.
Wie konnte sie nur.
Die Trauer verschwand wieder, als ich an der Reihe war, eine Rede zu halten.
Ich hatte ewig daran geschrieben und ich war mir auch jetzt noch sicher, dass sie nicht richtig war, dass etwas fehlte.
Dennoch stand ich auf, trat hinter die Kanzel und legte dort meine Blätter ab.
Die Schrift darauf war teilweise verschwommen, das Blatt wellte sich an meinen Stellen, da meine Tränen darauf gefallen waren.

@LizaDevineDrumsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt