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        Harry

Es gab viele Dinge, die ich nicht tun würde, um von Zuhause zu verschwinden. Der Krieg war keiner dieser Dinge.

Ich saß mit meiner Mutter im Garten und sah meinen Geschwistern beim Ballspielen zu, als uns die Nachricht, Japan griff eines unserer amerikanischen Schiffe an, durch das Radio erreichte. Ich stand sofort auf und drehte das Radio lauter, ignorierte währenddessen den ängstlichen Blick meiner Mutter, der auf mir lag. Ich wusste genau, was sie dachte. Der Sprecher im Radio erzählte von der zerstören Pearl Habor und dass nun vieles aus den Fugen lief und ich sah zu meinen jüngeren Geschwistern, die nichts davon mitbekamen. Sie sollten es nie mitbekommen.

„Harold", sagte meine Mutter, als ich weiterhin konzentriert zuhörte. Sie schaute zu mir hinauf und flehte mich mit ihren Augen an, doch meine Entscheidung war längst gefällt. „Bitte verlass uns nicht. Bitte."

Ich sah zu ihr, erkannte die tiefe Trauer und wie stark sie in dem letzten Jahr gealtert war, nachdem mein Vater starb. Ja, ich wusste, sie würde alles geben, um mich aufzuhalten und ich wusste auch, meine Geschwister würden mich vermissen, doch man konnte meine Meinung nicht ändern. Zu kämpfen war das, was ich wollte, was ich schon immer wollte und nichts hielt mich davon ab.

Deswegen sagte ich, während ich zusah, wie meine Schwester lachend dem Ball hinterherrannte. „Morgen früh werde ich gehen. Sag ihnen nicht, wo ich bin."

Meine Mutter schnappte nach Luft und ich streichelte ihr das letzte Mal über das braune, lange Haar. In der Nacht verabschiedete ich mich von meinen Geschwistern während sie schliefen. Irgendwann würden sie fragen, wo ich sei, aber ich selbst brachte es nicht übers Herz, es ihnen persönlich zu sagen. Ihnen zu versprechen, ich würde von dort wiederkommen, wo ich nun ab sofort sein werde, wäre falsch und ihnen zu sagen, ich werde nie wieder kommen, konnte ich nicht, denn das hatten sie nicht verdient. Ich wusste, sie bauten große Stücke auf mich, nachdem Vater gestorben war, ich war ihre Konstante und ihr Aufpasser, ihr Beschützer, ihr Held, aber trotzdem ließ ich sie alleine. Ich musste es tun.

Was man ihnen erzählte, nachdem ich gegangen war, wusste ich nicht, ich hoffte nur, dass meine Mutter ihnen eine gute Erklärung bieten konnte, die sie vielleicht sogar selbst glaubte, um nicht unglücklich zu werden.

Es war schweinekalt, als ich über den riesigen Militärplatz lief, auf dem bereits viele andere Soldaten, - manche kannte ich, manche nicht - für den Aufbruch vorbereitet wurden. Es war hektisch, die Kommandeure schrien umher, irgendwo war ein Radio mit Musik aufgedreht. Es gab Gruppen von Männern, die feierten es, dass der Krieg nun auch für Amerika begann und es grab Gruppen, die würden sich am liebsten hier und jetzt die Kugel geben. Ich gehörte zu keiner, zumindest noch nicht.

„Name", brummte ein unfreundlicher Mann, der für die Auflistung der Soldaten zuständig war. Er saß bereits den ganzen Tag an einem Tisch und fror wahrscheinlich mehr, als alle anderen, auch wenn er eine dicke Fellmütze trug.

„Harold Edward Styles", sagte ich deswegen und achtete darauf, wo genau er mich eintrug. Ich kam auf die Liste mit den Männern, die man sofort auf die Schiffe schicken konnte, denn ich war bereits zwei Jahre im Militär. Ein paar Zeilen unter meinem Namen, sah ich einen mir bekannten. Ich wusste, Horan würde, genauso wie ich, nicht lange fackeln.

Der Mann nickte, sah jedoch nicht zu mir auf. Er wechselte seinen Bleistift, denn sein jetziger war abgebrochen. „Steh nicht so unnütz rum, Junge, oder musst du wirklich gesagt bekommen, wo du hinmusst?"

Ich verneinte seine Aussage und machte mich auf den Weg in das riesige Zelt, aus dem die laute Musik kam und eine Menge Soldaten bereits betrunken waren. Warum genau gefeiert wurde, könnte mehrere Gründe haben, ich denke, jeder hatte seinen eigenen. Es könnte die Freude darauf, dass nun auch wir endlich im Krieg mitmischen konnten sein, oder es könnte auch der Grund sein, dass es vielleicht das letzte Mal war, dass wir überhaupt feiern konnten. Viele werden hier nach keinen amerikanischen Boden mehr zu Gesicht bekommen oder auch nur das Gesicht des jeweils anderen. Man musste damit rechnen, sich das letzte Mal zu begegnen.

My Own LiberatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt