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Das wird jetzt erst nochmal etwas ruhiger, aber bald wird es wieder spannend , ich versprechs :)

Annemarie

„Und du warst nie in einer normalen Schule?", fragte Harry nach, während wir zu zweit auf dem Weg zum nächsten Dorf waren.

Die Sonne schien, das Wetter war wirklich schön. Es passte nicht zu unserer derzeitigen Situation, aber es passte auch nicht zu unserer derzeitigen Situation, uns zu unterhalten, als würde Harry gerade keine Uniform tragen und ich keine Narben an meinen Beinen.

„Nein, niemals", sagte ich seufzend und sah zu Boden. „Mein Vater hatte schon immer dafür gesorgt, dass wir alles von zuhause lernen konnten. Ob es nun der Englischunterricht oder die Klavierstunden waren. Aber dafür hatte ich einen unheimlich lustigen Gesangslehrer."

„Du singst und spielst Klavier?" Harry schien verdutzt.

Ich blickte zu ihm auf. Seine Reaktion amüsierte mich. „Ja. Es ist üblich, so etwas zu lernen. In Amerika nicht?"

„Ich weiß es nicht, aber ich mag es. Zu schade, dass wir nicht fähig sind, ein Klavier auf unseren Schultern zu tragen. Ansonsten müsstest du Tag und Nacht spielen und singen."

Ich feixte leise. „Tag und Nacht?"

„Selbstverständlich." Harry grinste. „Ich würde dich dort festbinden und dir ab und zu etwas zu trinken und zu essen bringen. Schlafen dürftest du dann, wenn ich schlafe. Aber du müsstest ständig singen, ständig. Ich würde dir vielleicht sogar ein Notenbuch aus Amerika besorgen, damit du amerikanische Lieder spielen kannst. Und dann ..."

Ich unterbrach ihn, indem ich ihn etwas anstumpte. „Hör auf, das klingt idiotisch."

„Idiotisch? Ich habe schon jahrelang keine Frau mehr singen und Klavier spielen hören, das wäre das Mindeste, das du tun könntest."

„Nun hör aber auf. Mach mich nicht zu einem Zirkuspferd."

Wir lächelten beide um die Wette, als wir schwiegen. Es war seit langer Zeit mal wieder ein wirklich aufrichtiges Grinsen und ich konnte gar nichts dagegen tun. Ich liebte die einfachen Gespräche mit Harry. Wir lernten uns immer mehr kennen, auch wenn er selten etwas von sich erzählte. Ich merkte schon lange, dass er ein sehr verschlossener Mensch war, doch es störte mich nicht.

Ich konnte mit ihm sprechen wie mit einem normalen Mann und das lenkte mich von all diesem Grauen, das um unsere kleine süße Blase, in der wir uns gerade befanden, geschah.

Die Sonne tat mir gut und ich spürte, wie sie mir neue Energie schenkte. Das Wetter in den letzten Tag war nass und kalt, es passte also zur tottraurigen Stimmung. Zayns und Davids Tod hing uns allen, vor allem Annel, noch sehr in den Knochen. Letzte Nacht weinte sie viel an meiner Brust und sagte mir immer wieder, wie sehr sie nach Hause wollte und wie sehr sie unseren Vater vermisste.

Und ich konnte ihr nicht einmal sagen, dass wir bald nach Hause gehen durften, denn ... wo war unser Zuhause? Und wer war unser Vater?

„Siehst du das?", holte mich Harry aus meinen Gedanken und ich hob den Kopf an. Er deutete geradeaus, wo ein Haus zu sehen war mit einem riesigen Baum davor.

„Was meinst du?", fragte ich nach, doch konnte mir die Frage im nächsten Moment selbst beantworten, denn nun fiel auch mir die alte Frau auf, die mit einem langen Besen in den Blättern des Baumes rumwedelte. „Was tut sie da?" Und warum war sie hier? In einem Haus mitten im Nirgendwo, während doch überall Soldaten umherliefen?

Als wir ihr immer näher kamen, erblickte sie uns. Sie hielt still und beobachtete uns.

„Hallo", sprach ich sie auf Deutsch an. „Ist alles in Ordnung bei ..."

My Own LiberatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt