117.

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Harry Styles

Als mir Alice freudestrahlend die Tür öffnete, beschloss ich, ihr nicht meine schlechte Laune anzutun. Sie hatte sich scheinbar wirklich auf den Abend gefreut, das bewies mir ihr breites Grinsen. Und sie hatte sich sehr gut gekleidet. Ihr Haar war zu einem strengen Dutt gebunden, ihre Lippen hatten die Farbe der Kirschen im Garten meiner Mutter und ihre grünen Augen kamen mehr zur Geltung.

„Keine Sekunde zu spät", begrüßte sie mich. „Sehr vorbildlich von dir."

Ich überreichte ihr die Blumen. „Es wäre eine Schande gewesen, hätte ich mich verspätet, während du nur vier Häuser weiter wohnst."

Dankbar nahm sie mir den Strauß ab und verschwand im Haus. Ich blieb, die Hände hinter dem Rücken verschränkend, in der Türschwelle stehen und wartete.

Bis mich ein Augenpaar auffing, das sich hinter dem Treppengeländer in Alice'versteckte. Womöglich war es ihre Großmutter, die mich – als sei ich ein Geist – anstarrte, sich aber nicht zeigen wollte.

„Guten Abend, Madame", grüßte ich sie dennoch und versuchte ein freundliches Lächeln.

Sie antwortete nicht, stattdessen duckte sie sich etwas und machte langsame Schritte zurück.

Ich runzelte verwirrt die Stirn, doch dann erschien Alice wieder vor mir und schloss die Tür hinter sich. „Sie ist nicht so gruselig, wie sie aussieht", erklärt sie lachend. „Es liegt an ihrem Gedächtnisschwund."

„Verstehe", sage ich, als wir die Treppen heruntergehen. „Ich nehme an, sie ist deine Großmutter."

Alice nickt und harkt sich bei mir unter. „Ja, sie ist ..." – Sie bleibt auf dem Bürgersteig stehen – „Bist du denn nicht mit dem Auto hier?"

„Nein, ich dachte, wir könnten laufen."

„Oh", machte sie und blinzelte.

Es störte sie, allerdings würde ich für sie trotz Beschwerde, keine Ausnahme machen. Es war noch nicht dunkel und das Restaurant war fünfzehn Minuten entfernt. Ein Auto war nicht von Nöten.

„Hätte ich das gewusst, hätte ich flachere Schuhe angezogen", sagte sie, trotzdem feixend, während sie sich nur widerwillig mitziehen ließ.

„Möchtest du umdrehen?"

„Nein, nein, eigentlich laufe ich gerne. Denn, weißt du, ..."

Und dann sprach sie, ununterbrochen. Sie erzählte mir von ihrer Schimmelstute, mit der sie bereits hunderte Kilometer ritt, von ihren Eltern, die ihr ihren Traum, endlich ihren eigenen Friseursalon eröffnen zu können, ausreden wollten. Von ihrem Ex-Verlobten, den sie verließ, weil er sie stets unterbrach und ständig nur von sich redete. Von ihrem eigentlichen Leben in Kalifornien und wie schöner das Meer dort sei. Dass sie spendet und dass sie vier Kinder bekommen möchte, wenn sie endlich den einzig wahren Mann gefunden hat.

„Kennst du das?", stellte sie mir eine von wenigen Fragen, als ich die Hauptspeise beendete. „Du denkst, du musst noch ewig nach dem richtigen Partner suchen, aber eigentlich ist er schon direkt vor deiner Nase?"

„Nun." Ich wischte mir den Mund ab und legte die Serviette weg. „Ich denke, dass ..."

„Mal ganz ehrlich, wie schwer kann es sein, jemanden zu heiraten, der kann Vollidiot ist?", unterbrach sie mich erneut und sprach weiter.

Doch – und man mochte es vielleicht nicht annehmen – es störte mich nicht, dass sie kein Punkt und Komma kannte. Alice war eine ernüchternde, junge Frau. Sie lachte viel, sie hatte Humor und sie nahm vieles auf die leichte Schulter. Zugegeben, sie war noch sehr naiv, aber das mochte auch an ihrem Alter liegen. Sie war gerade einmal zwanzig, sie würde schon noch verstehen, wieso viele Menschen aufhörten zu lächeln.

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