42.

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Annemarie

Und somit schlichen wir uns das erste Mal davon.

Ich hatte erwartet, Harry ohne zu zögern „Ja!" zu sagen, doch ich machte mir enorme Gedanken um Annel. Sie schlief nun alleine in diesem kleinen Zelt und ich hatte furchtbare Angst um sie.

Aber Harry versicherte mir, dass ihr nichts passieren würde und deswegen waren wir nun hier. Abseits des Rastplatzes und auf dem Weg durch die Dunkelheit, während man schon von weitem hohe Lichter erspähen konnte. Vor uns lag das kleine Dorf und der Wind war kühl.

„Zitterst du, weil du frierst oder weil du Angst hast?", fragte Harry mich, als ich über meine Arme strich und versuchte, meinen Kiefer aufeinander zu pressen.

„Ein bisschen von beidem", antwortete ich.

Wir kamen an einer leeren Straße an und Harrys blieb neben einem Graben stehen. Dann kniete er sich hin und schien etwas unter dem Gras zu suchen, das lose umherlag. Ich beobachtete ihn verwundert dabei und war froh, dass Vollmond war, denn so sah ich mehr.

Was bedeutete, ich war bereits einen Monat mit Sergeant Pattons Soldaten unterwegs.

Ich hob die Brauen, als Harry zusammengefaltete Klamotten hervorzog. „Was ist das?"

„Ich habe einen Mantel und einen Kamm aus dem Dorf besorgt, als wir heute Mittag dort waren. Vielleicht brauchst du es."

Ich liebte diese kleine Aufmerksamkeit. „Es kommt mir tatsächlich sehr gelegen. Aber ... Was ist das?"

„Also", sagte Harry in einem verunsicherten Ton, als ich ein kleines Stoffstückchen in die Luft hielt. „Ich dachte ... Ich könnte verstehen, wenn du auch so etwas benötigst."

Es blieb mir nichts anderes übrig, außer rot zu werden, dabei aber zu grinsen. Er hatte mir einen Schlüpfer besorgt, weil er wusste wie unrein ich mich fühlte.

„Danke", sagte ich und er drückte mir die Klamotten und den Kamm in die Hand. Wir versuchten beide, keinen Blickkontakt aufzubauen, denn die Scham war groß.

Er hatte sich selbst ein frisches Hemd geholt, das er anziehen konnte. Es war braun und beige kariert.

Harry dreht sich um, als ich meine Unterwäsche wechselte und mir die Haare kämmte, während er sich das Hemd anzog. Meine Haare waren stetig mit meinem roten Haarband zu einem Zopf gebunden, seitdem ich sie nicht mehr regelmäßig waschen konnte. Jetzt lagen sie mir über den Schultern und waren durchgekämmt, das sich um einiges besser anfühlte. Den Mantel zog ich mir noch über, er war lang und in einem leichten Rosaton gehalten, weswegen er mir ungemein gefiel. Harry hätte keinen schöneren holen können.

Mein rotes Tuch wickelte ich um meinen Hals und machte eine kleine Schleife. Meine Mutter trug ihre Tücher auch oft so.

„Wir können los", sagte ich und Harry drehte sich zu mir herum.

Und ich schwor, er erstarrte, als er mich sah und ich schwor bei Gott, ich liebte es.

Und ich liebte auch, wie sehr ihm dieses Hemd stand. Ich sah ihn bisher nie anders, als in seiner Uniform, die in der Wiese verstaut wurde und nun wirkte er wie ein normaler Mann auf mich. Keiner, der Menschenleben auf dem Gewissen hatte und immer eine geladene Waffe mit sich herum trug.

Ich hakte mich bei Harry unter, als wir dem Dorffest immer näher kamen und Musik zu hören war. Bei ihm fühlte ich mich wohl, ich fühlte mich beschützt und sicher. Die Schmerzen, die mir meine Füße bereiteten, waren vergessen und die Furcht, jemand könnte uns erwischen oder andere Dinge mit uns tun, verschwand irgendwo ganz hinten in meinem Kopf.

My Own LiberatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt