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        Annemarie Dorner

Damit Annel in Ruhe den Tresor knacken konnte, habe ich Tante Elisa zu einem Bummeltrip in die Stadt überreden können. Bis zum Nachmittag sollte ich sie beschäftigen, meinte meine kleine Schwester, aber das war bei Tante Elisa nicht schwer. Ich fragte sie, ob sie mir vielleicht bei der Auswahl eines neuen Kleides helfen wollte und sie war sofort Feuer und Flamme.

Nach zwei Stunden, die wir in beinahe 20 verschiedenen Kleiderläden verbrachten, hatte sich Tante Elisa endlich für eines entscheiden können. Meine Wahl fiel schon lange, aber selten stimmte sie mit Tante Elisas überein, also wurde es schließlich ein grünes Hepburn Kleid, das mein Dekolletee so schön betonte (so Tante Elisas Worte) und kurze Ärmel hatte. Zugegeben, es war ein hübsches Kleid. Viel zu teuer, doch wir konnten es uns leisten.

„Hubert hat mir erzählt, du hättest dich heute Morgen mit Wolfgang gestritten", sagte sie, als wir – ein Eis löffelnd – auf dem Weg in den Park waren. „Scheinbar nahmst du kein Blatt vor den Mund."

Ich stocherte in meinem Vanilleeis. „Oh, wenn ich kein Blatt vor den Mund genommen hätte, lege jetzt wohl ein Kühlbeutel auf meiner Wange."

„Weißt du, ich kann deinen Zorn verstehen. Aber dein Vater will nur das Beste für dich."

„Tante Elisa, dieses Gespräch führen wir seitdem ich laufen kann. Mein Vater wollte immer das Beste für mich, er wusste aber nie, was es wirklich ist."

„Aber ..."

„Außerdem hat er Menschen getötet", sprach ich weiter, worauf Tante Elisa sich sofort schockiert umsah. In der Öffentlichkeit darüber zu sprechen, welch Vergangenheit er hatte, war für uns Tabu. „Er hat uns belogen und uns unsere Mutter genommen. Ich verstehe nicht, wie ich die Einzige sein kann, die ihn hasst."

Schließlich seufzte meine Tante. Wir setzten uns auf eine Parkbank. Unsere Handtaschen stellten wir zwischen uns, wir überschlugen die Beine.

Sie blickte trübselig in ihren Eisbecher. „Bitte denke nicht, ich könnte nicht verstehen, weshalb du ihn hasst. Ich kann auch verstehen, warum du Samuel nicht heiraten möchtest."

Ich zog mir meinen Sonnenhut mehr in das Gesicht, damit die Strahlen mich nicht blendeten. Im Park spielten zwei Kinder miteinander, ich sah gerne dabei zu. „Sag mir, warum fühle ich mich dann noch immer so missverstanden?"

„Wir alle haben geliebte Menschen in diesem Krieg verloren, Schatz", sagte Tante Elisa. „Warum bist du die Einzige, die nach all den Jahren nicht darüber hinwegkommt?"

Daraufhin sah ich sie an. Ihre Augen waren traurig und ich fragte mich, wie sie mir diese Frage überhaupt stellen konnte. „Du bist über den Tod meiner Mutter, deiner geliebten Schwester, hinweggekommen?"

Sie brach direkt den Blickkontakt ab. „Ich habe gelernt damit zu leben. Es ist nicht immer einfach, aber ich mache einfach weiter. Was bringt es mir, jahrelang zu trauern und auf irgendetwas zu warten, das niemals kommen wird? Sie ist tot ... Und sie wird es bleiben."

Trotzdem hörte ich sie manchmal weinen, wenn sie die alten Schallplatten meiner Mutter abspielte.

„Aber sprechen wir nicht von mir", fügte sie schnell hinzu und drehte ihren Kopf von mir weg, tupfte sich heimlich eine Strähne von der geschminkten Wange. „Vielleicht wirst du es nicht bereuen, wenn du Samuel heute Abend noch einmal besuchst. Er ist wirklich kein übler Mann, wenn du ihn nur an dich heranlässt."

„Kein übler Mann", wiederholte ich feixend. „Tante Elisa, du bist doch Hals über Kopf in seine braunen Rehaugen verknallt."

Sie kicherte in ihren Handschuh, wie immer, wenn wir über Samuel sprachen. „Nur ein kleines bisschen. Aber ich sage dir, wäre ich wieder zweiundzwanzig, hätte er keine Nacht mehr alleine in seinem Bett verbracht."

My Own LiberatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt