65.

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Annemarie

Ich lief alleine über eine große Wiese. Es gewitterte, aber es war kein Regen in Sicht.

Ich wusste nicht, was ich hier zu suchen hatte, aber ich lief geradeaus. Das Gras streifte meine Beine.

Es war ruhig hier, nur der Donner gab leise Laute von sich. Als ich noch immer nicht begriff, weshalb niemand hier war, drehte ich mich im Kreis. Wieso war hier niemand?

Und dann hörte ich Schreie. Ein klägliches Schreien, irgendwo hier in diesem großen Feld.

Ich rannte sofort los. Das Schreien begann einem Weinen zu gleichen. Ich wusste nicht, weshalb dieses Mädchen weinte, aber ich wusste, ich wollte ihr helfen.

Schließlich erkannte ich Friedericke, wie sie heulend auf dem Feld saß. Sie hatte ihren Rücken zu mir gedreht.

„Friedericke!", rief ich ihr zu und lief weiter. „Ich bin hier!"

Scheinbar hatte sie mich nicht gehört, bis ich bei ihr ankam. Als ich nur noch zwei Schritte von ihr entfernt war, erblickte ich den Grund ihrer grausamen Schreie.

Ihre Schwester lag überströmt mit Blut und mit verstümmeltem Körper vor ihr.

„Oh, nein, Friedericke", hauchte ich und legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter, damit sie mich endlich ansah.

Als sie ihren Kopf ruckartig zu mir nach hinten drehte, stieß ich ein Keuchen heraus. Ihre rechte Gesichtshälfte war verbrannt. Komplett. Man konnte ihren Schädel an ihrer Stirn sehen, ihr Augenlid war nicht mehr vorhanden, ihre Zähne stachen heraus. Ihre rechte Kopfhälfte komplett kahl.

Ich trat mehrere Schritte zurück.

„Anne?", schniefte das kleine Mädchen und stand auf. Sie drehte sich zu mir.

Ich musste mir die Hand über den Mund halten, so entsetzt war ich von ihrer Erscheinung.

„Anne ..." Friedericke kam mit Blut an den Händen auf mich zu. „Anne, wieso hast du uns in die Mienen laufen lassen?"

„I-Ich", stammelte ich vergeblich. „Ich wollte nicht ..."

„Du hast meine Schwester getötet", sprach das kleine Mädchen weiter. „Ich habe niemanden mehr."

„Friedericke, nein." Meine Stimme wurde schwach, ein Kloß wuchs in meinem Hals. „Es tut mir so schrecklich leid, ..."

„Ich werde dir das niemals verzeihen", flüsterte das Mädchen und sank traurig den Kopf. Blut tropfte von ihrer verbrannten Wange. „Niemals."

Ich wachte auf und sah unmittelbar an die Decke des Zeltes, in dem ich eingeschlafen war. Mein Herz pochte schnell, aber ich war ruhig. Es war ein grauenvoller Traum, er machte mir Angst und tat weh, aber ich war froh, dass er nun vorbei war.

Das Unglückliche war nur, dass ich nun in einem anderen Albtraum war, selbst wenn ich nicht schlief.

Von draußen hörte ich die Stimmen der Soldaten, die während des Kampfes in dem Haus nicht gestorben war. Es waren nicht mehr viele.

Diese Ruhe, die draußen herrschte, lenkte mich nicht einmal ab. Ich hatte die ganze Zeit Friederickes Gesicht vor Augen und wie sie litt, weil sie ihre große Schwester verloren hatte.

Ich wollte zu Annel, deswegen stand ich auf und verließ das Zelt. Es war Nacht, ein Feuer wurde inmitten des Rastplatzs gelegt. Die meisten Männer saßen darum herum, ein, zwei andere setzten sich außerhalb bin. Es herrschte Trauerstimmung. Jeder hatte heute jemanden verloren. Wirklich jeder. Und das ließ niemanden kalt.

My Own LiberatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt