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Annemarie Dorner

Es gab wenige Dinge, die ich in meinem Leben liebte. Der Krieg war keiner davon.

Schon seit vielen Jahren lebte ich in Schutz und sollte von der Welt da draußen und was passierte, nichts mitbekommen. Mein Vater und meine Mutter legten viel Wert darauf, dass Annel und ich glücklich waren, was bedeutete: Der Krieg existierte für uns nicht. Wir durften kein Wort darüber verlieren, in die Schule durften wir schon lange nicht mehr und Kontakt zu anderen Menschen außer unserer Familie war nicht erlaubt. Wir könnten unglücklich werden und unsere Eltern verurteilen, hörte ich Mama und Papa einmal laut im Flur streiten.

Was sie jedoch nicht wussten war, dass Annel und ich wussten, was sie taten und wir wussten, was in der Welt passierte. Natürlich wussten wir es. Papa meinte immer, dass diese 'Phase' in unserem Land nicht schlimm sei, es könnte passieren, dass wir von anderen Ländern angegriffen werden, alles war okay, nichts zu befürchten, Annel und ich seien sicher.

Doch sie logen. Und ich wusste, dass sie logen, weil Papa einer dieser Menschen war, die diese 'Phase' unterstütze. Er war schon immer oberster Offizier, hatte viel zu sagen und schon mehrere Male habe ich ihn und seiner Kollegen bei Gesprächen belauscht. Sie sprachen über Juden und Adolf Hitler und Länder, die als nächstes angegriffen werden würde. Nun bin ich achtzehn Jahre alt und schon lange begriff ich, dass mein Vater Mörder war und für Mörder arbeitete. Doch das war normal in unserem Leben. Ich war mir nie sicher, ob ich ihn dafür verurteilen sollte, denn er beschützte unsere Familie und gab alles, damit wir glücklich waren.

Aber ich liebte ihn nicht dafür. Er war nicht eines dieser Dinge, die ich liebte.

„Anne!", rief meine Mutter nach mir und ich erschrak, wodurch ich meinen Blick von dem dunklen Wald nahm, der sich weit entfernt von unserem Haus bildete. „Wir essen, komm' rein, du weißt, dass du nicht alleine rausgehen sollst!"

„Ich komme!", rief ich zurück und stand von dem Stuhl auf, der auf unserer Veranda stand. Ich war oft hier und sah in die Ferne, weil ich wusste, irgendwo dort draußen waren Menschen, die gerade um ihr Leben rangen. Seien es Deutsche, Japaner oder Amerikaner, vielleicht Briten. Sie waren dort und sie starben. Aber was ich auch wusste war, dass sie alles tun würden, um uns umzubringen. Es war ein seltsames Gefühl mit der Tatsache zu leben, dass man in seinem eigenen Land gehasst dafür wurde, was man nun mal war.

Ich betrat unser großes Haus und der Kronleuchter in der Eingangshalle strahlte mir entgegen. Papa legte immer sehr viel Wert darauf, dass wir nobel lebten und es nichts gab, das uns fehlen könnte. Es gefiel mir nicht, doch Annel, meine kleine Schwester, mochte es sehr. Ich fühlte mich in diesem riesigen Haus, indem zu wenige Menschen lebten, viel zu mickrig.

Annel, Papa und Mama saßen schon am Essenstisch, als ich den Essraum betrete. Unser Essen wurde von Dienstmädchen serviert und ich setzte mich auf den Platz neben Annel, die mich traurig anlächelte. Schon seit Ewigkeiten lächelten wir nicht mehr, weil wir glücklich waren, sondern einfach, um uns gegenseitig das Gefühl zu geben, dass wir nicht alleine in dieser Phase waren.

„Anne, reichst du mir bitte die Bohnen?", unterbrach mein Vater die Stille und ich nickte sofort und überreichte Annel die Schüssel mit den Bohnen, damit sie Vater diese geben konnte.

Die Stimmung am Tisch war tagtäglich angespannt und das seit langer Zeit. Seit Papa und Mama wussten, dass Annel und ich zu alt waren, um uns zu verstehen zu geben, dass das, was da draußen passierte, nicht schlimm war, gingen sie anders mit uns um. Bedächtiger. Sie dachten immer nach, bevor sie uns etwas sagten und gingen all unseren Fragen bezüglich des Krieges aus dem Weg. Mein Vater war sowieso sehr selten Zuhause, weswegen wir nicht oft die Chance hatten mit ihm zu sprechen. Aber er war im Moment hier, warum, wusste ich nicht. Er wirkte sehr geknickt und Mutter auch. Annel dachte, jemand aus unserer Familie wäre krank und würde bald sterben, aber ich denke, da ist mehr als das. Vielleicht etwas, das uns sagen sollte, dass er in nächster Zeit hier sein wird, weil er bald nie wieder hier sein wird. Das waren Dinge, die ich mir vorstellte, weil ich damit rechnen musste, dass er jeden Moment, in dem er nicht Zuhause war, sterben konnte.

My Own LiberatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt