Harry
Anne hob schlaftrunken den Kopf und stemmte ihr Kinn leicht auf meine Brust. Ihre rechte Gesichtshälfte war von ihrem durcheinandergeratenen Haar bedeckt, sie konnte geradeso ihr linkes Auge öffnen. Doch trotzdem grinste sie. „Guten Morgen."
Am liebsten hätte ich sie sofort wieder geküsst, allerdings hatte sie ihr zerknautschtes Gesicht wieder in meiner Brust vergraben. Sie war noch immer nackt, das jedoch störte mich keineswegs. Schon in Deutschland hätte ich sie tagelang so im Arm halten können.
Ich genoss noch ein paar Momente die Ruhe, die mit ihr in diesem Auto herrschte. Mir war bewusst, dass irgendjemand in meinem Haus bemerkt haben musste, dass wir nicht nach Hause gekommen waren. Wahrscheinlich wäre es besser, würden wir aufstehen und ihnen sagen, dass es uns gut ging. Aber ich wollte einfach nicht aufstehen. Egal, wie eng es hier war, ich hätte ewig mit Anne hier liegen können.
Bei dieser Ewigkeit spielte allerdings nicht jeder mit. Somit auch nicht die braunen, großen Augen, die uns durch das Autofenster anstarrten.
Es war Lisbeth, die, als ich mich gerade aufrichten wollte, einen höllisch lauten Schrei aus ihrer Kehle ließ. Sie hielt sich die Hände vor die Augen und rannte aus der Garage.
Anne erschreckte sich und saß innerhalb von einem Augenzwinkern kerzengerade. Fassungslos sah sie durch das Fenster und Lisbeth hinterher. „Was zum ..."
Ich legte mir frustriert den Arm über die Augen und stöhnte. „Dieses kleine Mädchen ist ..."
„Eine wirklich süße Maus, würde sie jetzt nicht sofort zu deiner Mutter rennen und ihr sagen, dass sie uns nackt im Auto aufgefunden hat", vollendete Anne meinen Satz. Sie zog sich ihre Unterwäsche an.
Ich setzte mich auf und legte meinen Finger unter ihr Kinn, damit sie mich ansah. Nicht einmal eine kreischende Lisbeth konnte mir diesen Morgen vermiesen, solange ich von solch einer schönen Frau umgeben war. „Mach dich auf drei entsetzte Augenpaare gefasst", hauchte ich gegen ihre Lippen und küsste sie.
Und weil ich erneut nicht genug von ihr bekommen konnte, schubste sie mich von sich und kicherte wieder so mädchenhaft. Ich war gezwungen, mich anzuziehen, konnte es allerdings nicht lassen, sie ständig dabei zu berühren. Hier ein Kuss, dort eine falsche Berührung, dann ein anzüglicher Kommentar. Ich fühlte mich wie ein achtzehnjähriger.
Ich öffnete die Haustür, da hängte mir Anne gerade mit beiden Armen um den Hals, weil sie mich küssen wollte. Mit einem Arm hielt ich sie fest und vergrub mein Gesicht in ihrer Halsbeuge, was sie kitzelte.
Sie lachte so laut, es erwärmte mir das Herz.
Und schon als ich die Tür hinter mir zuschmiss, sie eigentlich am liebsten über meine Schulter geworfen hätte, um sie mit in irgendein Schlafzimmer zu tragen, starrten mich diesmal zwei grüne Augen an. Meine Mom saß mit einer Kaffeetasse, in Morgenmantel auf der Couch. Sie sagte keinen Ton.
„Ich habe es dir gesagt!", rief Lisbeth aus der Küche und ging an uns vorbei. „Die beiden drehen durch!"
Anne nahm ihre Arme von meinem Nacken, griff allerdings nach meiner Hand. „Ach, Lissy", sagte sie. „Sei kein Spielverderber."
„Ist die Dusche frei?", fragte ich Mom.
Worauf sie sich verschluckte und sich leicht auf die Brust klopfte. „Die was?"
„George schläft noch", beantwortete Lisbeth skeptisch meine Frage. „Warum?"
Ich fühlte mich nicht mehr gezwungen, ihr eine Antwort zu geben, stattdessen zog ich Anne die Treppe hoch, hinein in das Badezimmer. Noch nie hatte ich mich so schnell entkleidet wie in den vier Sekunden, in denen ich mich schmutziger denn je, aber glücklicher denn je fühlte.
Anne schubste mich beinahe über den Badewannenrand und ich konnte noch schnell den Duschhang hervorziehen, bevor das Wasser uns nass machte.
Und noch bevor wir überhaupt zum Hauptgrund einer Dusche kamen, presste ich die nackte, attraktive Frau an die Fließenwand, um sie zu küssen. Gerne hätte ich sie hier genommen, aber mit aller Liebe, das konnte ich Lisbeth nicht antun. Vielleicht irgendwann, wenn wir alleine sein würden, doch nicht heute.
Wir spielten in der Dusche miteinander wie Kinder. Ich hatte noch nie so viel Spaß, während ich meine Haare wusch und sowieso wusste ich nie, dass Schaum irgendwann aufhörte zu brennen, wenn man ihn nur lang und oft genug im Auge hatte.
Das ganze Badezimmer stand unter Wasser, genauso wie unsere Klamotten, die vor der Wanne lagen. Nichts davon interessierte mich. Alles, was mich interessierte, war Anne.
Wie sie mich zum Lachen brachte, wie ich sie zum Lachen brachte und wie ihr Lachen auf ewig das Schönste war. Und wie es mich auf eine ganz eigene Art und Weise glücklich machte.
Während sie ihre Haare trocknete, fragte ich Mom im Wohnzimmer nach einem Kleid für sie. Ich stand wahrscheinlich das erste Mal seit vier Jahren grinsend und mit tropfenden Haaren im Wohnzimmer.
„Es muss nichts Schickes sein", sagte ich zu ihr. „Hauptsache etwas Bequemes."
Meine Mutter jedoch sah mich an wie ein Auto.
„Mom, sieh mich nicht so an", musste ich feixen.
Sie schüttelte sich und schien das erste Mal seit einer Stunde zu erwachen. „Ich, ähm", stotterte sie und erhob sich von dem Sofa. „Entschuldige, es ist nur so ... Ich lege Anne etwas raus. Was habt ihr denn geplant?"
Ich folgte ihr die Treppen nach oben. „Ich will ihr den Strand zeigen."
„Den Strand", wiederholte meine Mutter baff und blieb stehen. Sie war eine Stufe über mir und drehte sich zu mir.
Ich runzelte die Stirn. „Was ist ..."
Da fiel sie mir um den Hals und drückte mich so fest wie schon Jahre nicht mehr. Ich war so überrumpelt, dass ich beinahe zurückstolperte, aber ich konnte mich noch am Treppengeländer festkrallen.
„Mom", stieß ich perplex aus.
„Entschuldige noch einmal", sagte sie und ließ mich los. Sie strich sich schnell eine kleine Träne aus dem Augenwinkel und lächelte glücklich. „Zum Strand willst du sie mitnehmen. Dann habe ich das perfekte Kleid für sie." Sie stolzierte die Stufen nach oben und ließ mich wortkarg zurück.
Ich fragte mich, ob ich der Einzige an diesem Morgen war, der sich nicht merkwürdig verhielt.
„Darf ich mit?"
Ich drehte mich um und sah Lisbeths Kopf, den sie aus der Küche streckte. Sie hatte einen Schokoladenbart.
Ungläubig hob ich eine Braue. „Nach der Szene, die du heute Morgen veranstaltet hast, denkst du wirklich, Anne möchte dich dabeihaben?"
Lisbeth nickte.
Und ich schüttelte nur mit dem Kopf, sagte aber ergeben: „Einverstanden."
Gerade als ich wieder nach oben gehen will, fragte sie noch schnell: „Was ist mit George?"
„Lisbeth, du bist ein wirklich sehr gehässiges Mädchen."
Wieder erntete ich nur einen abwartenden Blick.
„Mein Gott, dann nimm ihn mit. Wir fahren los, wenn Anne fertig ist."
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My Own Liberator
Fanfiction"Wir hätten es fast überstanden. Fast wärst du Mein gewesen, fast hätten wir unser Leben geteilt, fast hätte ich dich festhalten können. Und nun bricht dieses 'Fast' für immer mein Herz." Die Geschichte eines amerikanischen Soldaten, der wäh...