Annemarie Dorner
Ich lächelte selbst dann noch zufrieden, als Harry und ich gemeinsam das Restaurant verließen und ich feststellen musste, dass es während der letzten Stunde drastisch kälter geworden war. Mittlerweile war der Himmel fast schwarz, somit konnte man den klaren Sternenhimmel sehen.
Obwohl ich es eigentlich unterdrücken wollte, rieb ich mir über die nackten Arme. Und als hätte Harry gewusst, dass ich frieren würde, legte er mir sein Sakko, das er schon bereit auf seinem Unterarm liegen hatte, auf meine freien Schultern.
Ich wollte wie ein kleines Mädchen quietschen, weil es so warm und gemütlich war. Und weil er solch ein toller Mann war, bei dem ich mich einharken durfte. Und bei dem ich nun keine Scheu mehr hatte, meinen Kopf an seinen Oberarm zu lehnen, während wir durch die fast leeren Straßen der Stadt liefen.
„Sag mal", begann ich ein Gespräch, während wir an vielen beleuchtenden Läden vorbeigingen. „Wie hat es sich angefühlt? Das Sterben?"
Harry schwieg noch einen Moment. Er hatte seine Hände in den Hosentaschen vergraben. „Es war ... zutiefst deprimierend."
„Inwiefern?"
„In all den Jahren, die ich im Krieg verbrachte, erschien mir der Tod wie eine Erlösung. Wie etwas, das all die Probleme, die man mit sich herumtrug nichtig macht. Aber in dem Moment, in dem ich wusste, dass ich tatsächlich sterben würde, war der Tod mein größtes Problem. Ich wollte alles tun, außer sterben."
„Es war nicht befreiend?"
Er schüttelte mit geschürzten Lippen den Kopf. „Alles andere als das. Ich konnte nur daran denken, wie viele Menschen ich zurücklassen würde und wie viele ich nicht retten konnte. Und dass der Tod mir eine zweite Chance verweigern würde, war ... nun, zutiefst deprimierend."
Bei der Erinnerung daran, wie ich Harry noch dort, in dem Garten meines Vaters, erschossen mit zwei Kugeln, liegen sah, zog meine Brust. Der Schmerz, den ich empfand, weil ich ihn zurücklassen musste und das vier ganze Jahre lang, schien mich niemals zu verlassen. Selbst jetzt, während ich meine Arme um seinen schlang.
„Genauso deprimierend war es dennoch, als ich wieder aufwachte", sprach er weiter.
„Du warst nicht glücklich?"
„Ich war glücklich darüber, meine Familie wiedersehen zu können. Aber ich wusste, ich hatte dich und viele andere Menschen in Deutschland verloren. Und damit konnte ich nur schwer umgehen."
Ein paar Augenblicke sprachen wir nicht. Die Stimmung während unserer Unterhaltungen schwankte enorm. Das lag daran, weil wir endlich über alles reden konnten, nicht nur über die positiven Seiten des Lebens. Das hier war kein normales, erstes Date, bei dem man ständig lachen wollte. Wir hatten gemeinsam eine Menge grauenvoller Dinge erlebt und diese mussten behandelt werden.
Doch dann bekam ein riesiges Schild gegenüber der Straße meine Aufmerksamkeit. Ich las „MOVIE NIGHT: MY FRIEND HARVEY". Darunter ein großer Eingang, es war ganz offensichtlich ein Filmtheater.
Ich blieb stehen, worauf Harry mich verwirrt ansah. Er folgte meinem Blick und schien zu verstehen.
„Ein ganz grauenvoller Film", sagte er. „Aber wir sollten ihn sehen."
Meine Mundwinkel wanderten bis zu meinen Ohren. „Es macht dir nichts aus?"
Harry zog mich über die Straße in Richtung des Ticketstandes. „Selbstverständlich nicht."
Als wir dem Glaskasten, in dem ein Junge mit roter Weste saß, der gelangweilt den Kopf in die Hand gestemmt hatte, näherkamen, erhob dieser sofort den Kopf.
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My Own Liberator
Fanfiction"Wir hätten es fast überstanden. Fast wärst du Mein gewesen, fast hätten wir unser Leben geteilt, fast hätte ich dich festhalten können. Und nun bricht dieses 'Fast' für immer mein Herz." Die Geschichte eines amerikanischen Soldaten, der wäh...