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Annemarie

Harry und ich folgten der netten Dame. Seine und meine Blicke kreuzten sich, als er mir deutete, dass ich vor ihm laufen sollte. In seinem Ausdruck spiegelte sich Aufmerksamkeit. Allerdings nicht auf eine Art, die ich als positiv empfinden würde, nein, er war skeptisch.

„Ignoriert bitte meine zerstörten Rosen", erzählte die Frau beiläufig, als wir einen steinigen Pfad zu ihrer Haustür gingen. Mein Blick fiel auf die zertrampelten und herausgerissenen Rosen neben ihrer Tür und sie seufzte schwer, sah traurig aus. „Aber nicht immer sind Menschen nett, wenn sie hier entlanglaufen."

Ich verstand sie sofort. Noch vor ein paar Wochen hätte ich auf solch eine Aussage die Stirn gekraust, aber ihre Situation erschien mir so bekannt, dass ich sie am liebsten in den Arm genommen hätte.

„Das tut mir sehr leid für Sie", sprach ich deswegen meine Gedanken aus, als wir ihre warme Stube betraten.

Und sofort erschlag mich ein allbekannter Geruch. Ein Geruch, der mich an Zuhause erinnerte. Eine Mischung aus Holz, Gebäck und Blumen. Jetzt gerade liebte ich diesen Geruch mehr, als ich es je zuvor tat. Auch als ich die Bilder an ihren Wänden sah, ging mir das Herz auf. Bestickte Nadelkisschen hingen daran, Vögel waren darauf zu erkennen. Spatzen und Rotkehlchen. Der Teppich, auf dem wir standen hatte schöne dunkelrote und braune Farben. Und die Tapete, die ein wunderschönes cremefarbenes Blumenmuster hatte, erinnerte mich an mein eigenes Schlafzimmer.

„Wartet hier", sagte die Frau, als sie durch den schönen Flur ging. „Ich bringe dir etwas."

Vor lauter Erstaunen, konnte ich nur nicken. Mein Blick war auf dieses tolle Ambiente gerichtet und wie toll ich dieses Haus fand. Alles hier erschien mir so bekannt. Die kleinen Puppen, die auf einem Regal in ihrem Wohnzimmer saßen, in das ich leicht hineinspähen konnte, Bücher, ganz viele tolle Bücher, eine riesige Uhr, die man ticken hörte.

Und als sie zur vollen Stunde laut gongte, überkam mich ein breites Glücksgefühl. Genauso klang unsere Uhr auch.

„Wir sollten uns beeilen", sprach Harry leise, als der Gong endete. Er sagte es in solch einem kalten Ton, dass es mich verwirrt zu ihm schauen ließ.

Mein Lächeln schwand sofort. „Wieso sagst du das?"

Augenkontakt wollte er scheinbar nicht mit mir halten, stattdessen verharrte er auf einem Bild eines Soldaten, der vielleicht so alt war wie er. „Wir müssen schnell wieder zurück sein, so wie Liam es gesagt hat."

Nun neigte ich den Kopf und beäugte ihn kritisch. „Wir stehen endlich wieder in einem schönen, nicht zerstörten Haus und du möchtest sofort wieder verschwinden? Spürst du nicht, dass hier etwas herrscht, von dem wir viel zu wenig haben?"

„Seid ihr zwei sicher, dass ihr nicht noch auf eine Stulle dableiben wollt?", rief die nette Frau aus einem Raum, ohne zurückzukommen.

Am liebsten hätte ich sofort „Ja!" gerufen, aber Harry fragte mich: „Was hat sie gesagt?"

Meine Laune sank mit jedem Wort, das er aussprach. „Sie will, dass wir bleiben."

Schließlich sah er mich an, worauf ich jedoch wegschaute. „Dann sag ihr, dass wir nicht bleiben können."

Ich zögerte und wollte unbedingt bleiben. Hier fühlte ich mich wohl und geborgen. Umgeben von diesem Geruch, dieser tickenden Uhr, den vielen bezaubernden Bildern und dem Gedanke, dass hier jemand lebte, der so war wie ich.

„Annemarie", drängte Harry. Seine Ungeduld kränkte mich.

Und weil mir nichts anderes übrig blieb, sagte ich zu der alten Frau, als sie lächelnd und mit einem Beutelchen in der Hand wieder zurückkam: „Es tut uns leid ... Wir können nicht bleiben."

My Own LiberatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt