135.

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        Anne

Wir kamen zuhause an, da dämmerte es bereits. Der Horizont war, wie schon gestern Abend, in einem angenehmen Orange, nur wenige Wolken waren am Himmel zu sehen. Ich fand die Temperaturen in North Carolina toll. In Deutschland war es im Sommer zwar auch warm, aber das war kein Vergleich zu North Carolina. Hier fühlte sich jeder Schritt, den ich machte, besser an.

Harry konnte seine Finger nicht von mir lassen, als wir über die Türschwelle traten. Er musste mir ständig nahe sein, selbst nach all den Stunden, die wir bereits aneinanderklebten. Doch es beruhigte mich enorm, dass ich nicht die Einzige war, die süchtig nach seiner Nähe war.

Als ich kichernd die Haustür hinter uns schloss und Harry gerade mit seinen Lippen mein Ohrläppchen kitzelte, ertönte eine tiefe Stimme aus dem Wohnzimmer.

Es war Johannas Freund, der – mit ihr im Arm -, hochgelegten Füßen auf dem Sofa lag. „Wir sind hier", begrüßte er uns unfreundlich. „Liebeleien werden da ausgetauscht, wo sie niemand sieht, verstanden?"

Mein Lachen verschwand schlagartig sowie meine gute Laune. Harry hatte sich - tief einatmend - hinter mir aufgerichtet. Johanna schaute nur mit geschürzten Lippen zu Boden.

„In meinem Haus begrüßt man sich freundlich, Willis", sprach Harry ihn mit fester Stimme an. „Oder ist das zu viel verlangt?"

Willis kniff die Augen gefährlich zusammen. Man sah ihm die Missgunst gegenüber Harry deutlich an, aber das spürte ich schon bei unserem ersten Aufeinandertreffen.

Johanna fiel die angespannte Stimmung natürlich auf, deswegen lächelte sie uns zu. „Ich hoffe, ihr hattet einen schönen Tag am Strand. Anne, ich habe dir Schlafklamotten herausgelegt."

Ich lächelte zurück und formte mit meinem Mund ein "Danke".

„Außerdem überlasse ich euch für eine Weile mein Zimmer", sprach sie weiter. „Ihr könnt unmöglich zu zweit auf der Couch schlafen."

„Das ist nicht nötig", sagte Harry und ich wollte das Gleiche sagen. „Es macht mir nichts aus, eine weitere Nacht bei Lisbeth zu schlafen, die Couch ist sehr unbequem."

Doch sie schüttelte vehement den Kopf, stand auf und kam auf uns zu. „Nein, kommt nicht in Frage, ihr schlaft in meinem Bett, das ist sowieso viel zu groß für mich. Und nun, geht nach oben, damit Willis und ich unsere Liebeleien austauschen können."

Sie scheuchte uns die Treppen hinauf, aber noch bevor wir oben ankamen, hörte ich Willis abwertend schnaufen und Johanna fragen: „Die ist ja immer noch hier. Was soll das sein? Eine Affäre, bis sie beschließt, zurück in ihr beschissenes Naziland zu verschwinden?"

Ich war mir sicher, Harry hatte es nicht gehört, denn er war schon um die Ecke verschwunden. Mich ließen diese Worte nicht so schnell los.

Auch nicht, als Harry und ich endlich gemeinsam in einem Bett lagen, das groß genug für uns beide war. Auf dem Nachtschränkchen von Johanna stand das Bild eines Mannes, der fast die gleiche Uniform trug wie Harry damals. Aber alleine an der Form seines Gesichtes und dem Ausdruck in seinen Augen erkannte ich, dass es sein Vater war.

Lustig war auch, dass Johanna mir als Schlafkleidung eines von Harrys Shirts rauslegte. Sie wusste wohl, wie gut es sich anfühlte, Kleidung eines Mannes zu tragen, von dem man sich ständig umgeben fühlen wollte.

Da lagen Harry und ich also. Er trug nur eine kurze Schlafhose, ich sein Shirt, das mir bis zum Nabel hochgerutscht war, weil er meine Seite streichelte. Wir hatten uns zueinander gedreht, ich meine Hände unter meiner Wange, er seinen rechten Arm unter seinem Kopf.

My Own LiberatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt