76.

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Annemarie

„Das sieht wirklich sehr gut aus", sagte Liam, als er meine heilende Schussverletzung an meiner Hüfte inspizierte. Er kniete neben mir, während ich stand und meinen Pullover nach oben hob.

„Na ja, sehr gut sieht das nicht aus", warf Keith mit verzogenem Gesicht ein. Er saß auf eines der Feldbetten, die im Sanitäterzelt aufgebaut waren. „Eher wie eine zerrissene Rosette."

„Oh mein Gott", sagte ich lachend. „Sag so etwas nicht, wenn Annel hier ist."

Keith zuckte nur mit den Schultern und sah zu Annel, die schmunzelnd neben ihm saß. Keith brachte sie oft zum Lachen. Es gab für mich kaum etwas Schöneres.

„Die Kleine ist wahrscheinlich abgehärteter als ich", sagte Keith. „Nicht wahr, Annel?"

Sie kicherte nur leise in ihre Hand. Hach, wie ich das vermisste. Letzte Nacht hatte ich mich noch viel mit ihr unterhalten. Wir haben über früher geredet, über Mama und Papa. Und über unsere Klavierlehrer und so viele andere Dinge, die unser Leben vor diesem Krieg ausmachten. Uns fehlte es. Aber wir hatten noch uns, und das war alles, was zählte.

„Kaum zu glauben, was euch schon alles passiert ist", sagte Keith, als Liam einen neuen Verband um meine Taille wickelte. „Eure Narben sind zwar irgendwie beeindruckend, aber gleichzeitig so ... erschreckend."

„Leider Gottes hast du Recht." Liam packte seinen erste Hilfe Rucksack zusammen. „Aber sie werden verblassen und dann sind sie nichtig. Wichtig ist, sie so oft wie möglich zu behandeln. Wofür andere sich ja nicht interessieren", murmelte er noch. Ich wusste sofort, dass er Harry meinte.

Ich ließ meinen Pullover wieder nach unten fallen und strich ihn glatt. Schon seit einer Weile stellte ich fest, dass mir die Hosen zu genüge kamen. Ich fühlte mich sehr viel wohler und sicherer. Zudem hatte ich lange nicht mehr so viele Schürfwunden an den Beinen, wie bevor.

Das Laken des Zeltes öffnete sich und Pete lugte hinein. „Mäuschen", sprach er mich an. „Ins Hauptzelt."

Ich nickte sofort gehorsam, während Liam verwundert fragte: „Wieso?"

„Weil Pattons das so will", lautete Petes einzige Antwort, ehe er auch schon wieder von dem Zelt verschwand.

Es war nichts Neues für mich, dass Sergeant Pattons mich sprechen wollte. Immer, wenn wir rasteten, besprachen wir die folgende Route. Allerdings hatte ich heute enorme Panik vor dem Gespräch. Denn es gab keine Route mehr. Wir waren nun in Halle, nur noch zehn Kilometer entfernt, um nicht sichtbar von der Stadt aus zu sein.

„Ich werde mitkommen", sagte Liam sicher und stellte seinen Rucksack weg. Ihm war, genauso wie mir, bewusst, dass ich nicht wusste, wo mein Vater war. Weswegen Sergeant Pattons mich wahrscheinlich köpfen würde.

Aber ich meinte: „Nein, ich werde alleine gehen. Bitte bleib bei Annel."

Liam kämpfte mit sich, aber nickte schließlich einverstanden. Deswegen verließ ich das Zelt und ließ kleinfüßig zum Hauptzelt. Harry konnte ich nirgends ausfindig machen, also nahm ich an, dass auch er im Gespräch dabei sein würde.

Meine Angst, als ich das Laken des Hauptzeltes zur Seite schob, war undefinierbar.

Sergeant Joseph, Pattons und Harry saßen an einem klapprigen Holztisch. Pete stand desinteressiert in der Ecke, Walt saß auf einem Baumstumpf und kratzte sich mit einem Messer unter den Fingernägeln herum.

„Dorner", begrüßte Sergeant Pattons mich und winkte zu dem Hocker, der vor dem Tisch stand. „Setz dich, wie immer."

Ich tat, was er sagte, wenn auch nur widerwillig. Harry sah mich an, als wolle er mir mit seinen Augen etwas sagen. Sergeant Joseph versuchte mir aufmunternd zuzulächeln. Und Sergeant Pattons war der Teufel.

My Own LiberatorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt