Kapitel 19

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Rhythm Inside -  Loïc Nottet

Meghan Moore, Freitag, 22. Juli, Jeffrey-Charles & Sons

Ich war gerade mitten in meinem ersten Kundengespräch, als mein Smartphone lautstark auf der blanken Oberfläche meines Schreibtischs zu vibrieren begann.

Christina saß links neben mir und warf mir einen missbilligenden Blick zu, während ich schnell nach meinem Handy griff, um den Anruf abzuwürgen.

Ich blinzelte, als ich den Namen des Anrufers las. Harvey?

»Entschuldigen Sie mich bitte für einen Moment«, bat ich höflich und blickte verschämt zu meiner Vorgesetzten. »Das ist wahrscheinlich wichtig.«

Mr. Blackwell, unser Kunde, lächelte mich verständnisvoll an. »Machen Sie sich keine Sorgen.« Er wusste, dass es sich hierbei um meine erste Arbeitswoche handelte und war prinzipiell ein sehr warmherziger Mensch mit einem Hang zu Väterlichkeit.
»Mrs. Herwig und ich kommen sicher auch ein paar Augenblicke ohne Sie zurecht, nicht wahr?« Auffordernd richtete er seine grünen Augen auf Christina.

Diese seufzte vernehmlich und winkte ab.
»Natürlich tun wir das.«

Ich entschuldigte mich noch ein weiteres Mal mit hochrotem Kopf und eilte schnell auf den Flur.

Wenn Harvey keinen triftigen Grund hatte, mich während meiner Arbeit zu stören, würde ich ihn wahrscheinlich erwürgen.

Gerade als ich seine Nummer wählen wollte, um ihn zurückzurufen, kam sein Anruf an.

Hektisch ging ich ran. »Hallo? Harvey, ist alles in Ordnung bei euch?«

Stille.

»Harvey?«

Noch immer hörte ich nichts.

»Hallo? Verflucht, Harvey, was soll der Quatsch? Sag endlich was!« Was ist passiert?

»Du lässt dich von dem verdammten Barbesitzer vögeln?!« Er klang so fassungslos, dass ich im ersten Moment keine Ahnung hatte, worum genau es ihm ging. Dann begriff ich plötzlich. 

»Diana?«

»Oh, ja, und wie Diana es mir erzählt hat! Meghan...« Er hielt kurz inne, um Luft zu holen. »Das bist nicht du. Ich weiß nicht, was er dir versprochen hat, aber du musst das sofort beenden, es tut dir nicht...«

»Harvey«, unterbrach ich ihn abrupt, um Beherrschung bemüht. »Ich saß bis vor zwei Minuten in einem Kundengespräch. Meine Vorgesetzte soll meine Fortschritte notieren und meine Stärken und Schwächen mit dem Chef bereden.«

Er blieb still. Gut. Denn ich war fuchsteufelswild.

»Weißt du, was gar nicht gut ankommt? Ein klingelndes Telefon. Ich hätte dich liebend gerne weggedrückt, bin aber rangegangen, weil ich gedacht habe, dass du klug genug bist, um zu wissen, dass mein Job von solchen Kleinigkeiten abhängt und es sich bei dem Grund für deinen Anruf um einen echten Notfall handelt.«

»Meghan...« Ein drohender Unterton schwang in seiner vibrierenden Stimme mit. »Du hast dich auf etwas eingelassen, das dich früher oder später zerstören wird... Ich muss das verhindern.«

Ein freudloses Lachen drang aus meiner Kehle. »Ein Ratschlag oder ein normales Gespräch hätten es auch getan. Aber dass ausgerechnet du...« Ich schnappte nach Luft. »Harvey Chavel, Fuckboy Nomber 1, mich verurteilst, das ist...unfassbar. Wirklich.« Enttäuschung überkam mich. »Ich werde jetzt auflegen und meiner Arbeit nachgehen, klar? Und du rufst mich nur an, wenn es um Leben und Tod geht, wegen nichts Anderem.«

»Meggie...«

Da hatte ich bereits aufgelegt.

Gott weiß, wie wütend ich momentan war.

»Entschuldigen Sie die Unterbrechung«, sagte ich lächelnd und legte mein nun ausgeschaltetes Handy in eine Schublade.
»Sind Sie mittlerweile zu einer Übereinstimmung gekommen?« Ich sah fragend von Christina zu Mr. Blackwell.

Unisono schüttelten sie die Köpfe. »Leider nein.«

»Was stört Sie denn an dem von uns ausgearbeiteten Konzept?«, fragte ich höflich und griff nach  einem Kugelschreiber mit dem hellblauen Logo von Jeffrey-Charles & Sons.

Mr. Blackwell kratzte sich am Kinn. Sein Gesicht war glatt rasiert und glänzte förmlich im Licht der Lampe. »Das ist ja mein Problem – ich weiß es nicht.« Er stierte auf den Entwurf auf dem Bildschirm meines Firmencomputers. »Mir fehlt da einfach was. Die Basis ist großartig, ohne Frage, aber ich habe das Gefühl, als würde meine eigentliche Botschaft nicht wirklich rüberkommen.« Er räusperte sich. »Nehmen Sie das bitte nicht persönlich, ich weiß, dass Sie erst anfangen.«

Ich wollte diesen Aspekt sogleich klarstellen und wechselte daher in meinen professionellsten Modus. »Mr. Blackwell, es gibt nichts, wofür Sie sich zu entschuldigen bräuchten. Unsere Kunden sollen alle genau das bekommen, was Sie sich wünschen. Letztendlich sind nicht wir Diejenigen, die Ihre Flyer und Werbeplakate entwerfen, sondern Sie allein. Wir helfen Ihnen lediglich bei der Umsetzung Ihrer eigenen Ideen. Deswegen dürfen Sie Ihre Meinung äußern und ändern, wannimmer der Schuh drückt.«

Christina lächelte mir anerkennend zu. Meine Ansprache schien ihr gefallen zu haben. »Da hat Miss Moore auf alle Fälle recht«, sagte sie bestätigend. »Sie müssen offen zu uns sein, damit es funktioniert.«

Mr. Blackwell schien nun endlich vollends überzeugt, rückte näher an den Schreibtisch heran und begann, seine Wünsche und Forderungen aufzuführen.

Als er sich eine halbe Stunde später verabschiedete, waren Christina und ich zuversichtlich, was das Durchsetzen Blackwells Ideen anging. Das Konzept war äußerst überzeugend, aussagekräftig und blieb ihm Gehirn. Das würde die Menschen reihenweise in seinen Musikladen locken.  

Hoffentlich. 

Ich machte mich daran, die heutigen E-Mails gewissenhaft zu beantworten und als ich das nächste Mal aufblickte, stand Christina direkt vor meinem Schreibtisch und musterte mich vielsagend. »Wollen wir zusammen zu Mittag essen? Bevor Ihr heißer Kunde kommt?« Sie wackelte mit ihren perfekt gezupften Augenbrauen. 

Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen stieg und bemühte mich um einen unbeteiligten Gesichtsausdruck. »Er ist nicht mein Kunde.«

»Darüber könnte man streiten, Meghan.« Dann wurde sie wieder halbwegs ernst.
»Eigentlich möchte ich mich mit Ihnen noch über das unterhalten, was ich dem Chef heute beim Meeting über Ihr Können erzählen werde. Das interessiert Sie sicherlich.«

Und wie es das tat. »Ich bin sofort bei Ihnen«, sagte ich eilig und loggte mich aus meinem E-Mail-Postfach und fuhr den Computer herunter. 

Was meine Vorgesetzte heute Mr. Crawford erzählen würde, war mit Sicherheit eine ausschlaggebende Angelegenheit, was das Behalten meines Jobs anging. Also wollte ich gerne vorgewarnt werden. Und so schlecht hatte ich die Sache nicht gemacht. 

Ich stand auf, schlüpfte umständlich in meine Jeansjacke und warf mir meine Tasche über die Schulter. »Okay, ich wäre dann soweit.«

Christina lächelte warm. »Dann lass uns gehen. Ich kenne ein gutes Lokal in der Nähe.«

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