Kapitel 45

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Shawn Mendes - There's Nothing Holdin' Me Back

Zachary Cole, Montag, 25. Juli, ZC's 

Frauen lieben Worte, wiederholte ich stumm die Devise meiner Mutter und ballte die Hände auf der Schreibtischplatte zu Fäusten. Worte. Wie unsagbar schwer es sein konnte, die richtigen zu finden.

Ich war zu Schulzeiten kein schlechter Schreiber gewesen, ich hatte gute Noten, meine Aufsätze und Interpretationen hatten bei den Lehrern einen recht ordentlichen Eindruck hinterlassen und auch ansonsten hatte ich nie das Gefühl, mich nicht ausdrücken zu können.

Aber jetzt, wo ich wie der letzte Vollidiot über einem weißen, unbeschriebenen Blatt Papier saß und auf eine göttliche Eingebung hoffte, wollte mir nichts einfallen. Nichts.

Ich hatte in der letzten Stunde mindestens sieben Anläufe gewagt, hatte den Stier zunächst bei den Hörnern gepackt und geradeaus geschrieben, was ich fühlte, wobei ich dann wieder zu schleierhaften Umschreibungen übergegangen war, um mich letztendlich völlig zu verrennen.

Ich werde wahnsinnig.

Zweifellos.

»Meghan«, flüsterte ich leise und kam mir ein weiteres Mal wie ein kompletter Schwachkopf vor.

Wieso sonst sollte ich den Namen einer Frau ehrfürchtig vor mich hin murmeln, wenn nicht, weil ich meinen Verstand verloren hatte? Ich war nicht gefühlsbetont. Kein bisschen.

Und doch sitzt du hier und grübelst über einem Liebesbrief.

Da. Ich hatte es gesagt. Nicht hörbar zwar, aber ich hatte zugegeben, dass ich dabei war, mich zum Affen zu machen und einen kitschigen Fetzen Papier mit meinen überkochenden Empfindungen zu füllen, die sich sicher lesen würden, wie die Gedanken eines Psychopathen.

Und trotzdem war ich der Ansicht, dass ich die Worte lieber aufschreiben wollte, als sie laut zu auszusprechen. Denn das würde ich erst recht versauen. Ich kannte Zachary Cole und seine subtile Redegewandtheit zur Genüge.

Vielleicht sollte ich erst einmal ein paar dieser herzergreifender, unrealistischer Romane lesen, die Reihenweise sämtliche Frauen zum Niederknien brachten.

Niederknien. Ich lachte leise in mich hinein und musterte das verfluchte Papier. Das würde mir in einem Liebesbrief gefallen. Aber einer Frau? Ich schnaubte.

Wie begann man überhaupt einen Liebesbrief?

Ich kramte in meiner Erinnerung nach einer dementsprechende Assoziation, wurde aber nicht fündig. Wann immer wir uns in der Schule mit irgendwelchen schnulzigen Texten, ob nun mit Gedichten oder Briefen, beschäftigt hatten, war ich woanders gewesen. Bei der hübschen Jessica Fellows zum Beispiel, die meist in der Reihe vor mir saß und gerne enge T-Shirts trug. Also, wirklich enge. Aber es waren keine schnulzigen Gedanken gewesen, die mir dabei durch den Kopf gegangen waren. Oh, nein, sicherlich nicht. Wieder lachte ich leise. Allmählich wurde das Ganze doch amüsant. Zumindest zu einem kleinen Teil.

Doch dann fiel mein Blick zum wiederholten Mal auf das Blatt, das mich mit seiner Leere ganz offensichtlich verhöhnen wollte, und ich griff seufzend nach meinem Kugelschreiber. So schwer konnte das doch gar nicht sein. Vielleicht sollte ich mir Inspiration verschaffen. Aus dem Internet, oder...Hmm, nein. Es war mir ein besonderes Anliegen, dass alles Geschriebene von mir stammte. So gehörte es sich doch auch, nicht wahr? Wenn ich einzelne Passagen von irgendwelchen Hobby-Autoren klaute, würde sich das Endresultat falsch anhören und kein bisschen nach mir klingen. Wobei, ganz egal, was ich hier fabrizieren oder nicht fabrizieren würde, es würde sich in keinem Fall nach mir anhören. Welcher Liebesbrief könnte denn schon nach Zachary Cole klingen?

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