Kapitel 41

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Naughty Boy ft. Dan Smith (Bastille) - No Ones Here To Sleep 

Meghan Moore, Samstag, 23. Juli, London Borough of Hunslow

»Was, zum Teufel, ist passiert?«, fragte Harvey atemlos, als er in meine Wohnung stürzte und die kleine Gruppe im Wohnzimmer erblickte. 

Ich saß neben Zachary, der schützend einen Arm um meine Schultern gelegt hatte und immer wieder kaum hörbar vor sich hin fluchte. Uns gegenüber hatte sich Alessia mit Archie niedergelassen, dem sie unentwegt über die glänzenden Haare fuhr.

Ich winkte ab und deutete auf den letzten freien Sitzplatz, einen allein stehenden zerschlissenen Sessel, der zu meiner Rechten stand. Wir würden ihn aufklären, sobald er sich gesetzt hatte.

Harvey ließ die Einkaufstüten im Flur stehen und erfüllte meine Bitte. Er sah in dem Sessel seltsam deplatziert aus, zu breit und groß. Mit funkelnden Augen ließ er seinen Blick über Zachary schweifen, der sich kaum merklich neben mir versteifte. Ich drückte beruhigend seine lädierte Hand. Harvey räusperte sich vernehmlich und wiederholte seine Frage: »Was ist passiert, Meghan? Wieso ist gerade ein Streifenwagen weggefahren?«

»Weil ich Anzeige erstattet habe«, antwortete ich mit fester Stimme. »Was zwar wahrscheinlich nicht das Geringste bringen wird, aber immerhin habe ich es getan. Ich habe etwas unternommen, nicht so wie Mom, die all die Jahre ihren Arsch nicht hoch gekriegt hat, um meinem Vater...«

»Eins nach dem anderen, Meg«, unterbrach Harvey mich ungeduldig. »Was ist passiert?«

Ich holte tief Luft und erzählte meinem besten Freund die Kurzfassung der Geschehnisse. Mr. Crawfords Versuch, mich zu Sex zu erpressen, Zacharys Eingreifen, Alessia, die mich dazu drängte, Anzeige gegen den Mistkerl zu erstatten und letztendlich das Gespräch mit den Beamten, die mir nicht gerade freundlich gesinnt waren.

»Was soll das heißen, sie würden nicht viel tun können?«, fragte Harvey mit vor Wut mahlendem Kiefer. »Wozu sind sie denn sonst da? Der Mann hätte dich womöglich vergewaltigt, wenn der da...« Er blickte flüchtig zu Zachary und schnaubte. »...nicht wieder zurückgekommen wäre.«

Ich nickte, noch immer schockiert über die Tatsache, dass ich an diesem Abend ganz anders hätte enden können. Gedemütigt und jeder Ehre beraubt, heulend in meinem Schlafzimmer. Schließlich war Harvey auch nicht da gewesen, sondern beim Einkaufen. Wer hätte mir geholfen? Es schüttelte mich bei der Vorstellung. Erneut spürte ich den sanften Druck von Zacharys Hand an meinem Arm und lächelte ihn dankbar an. Er erwiderte das Lächeln. Ich würde mich noch einmal bei ihm bedanken müssen, später, wenn wir allein waren. Er konnte sagen, was er wollte, aber er hatte mich gerettet. Und dafür würde ich ihm auf ewig dankbar sein.

Alessia streichelte weiterhin Archies Kopf, als sie sich mit leiser Stimme zu Wort meldete und auf Harveys Frage antwortete, weil es offenbar niemand sonst tun wollte.
»Crawford ist offenbar ziemlich beliebt und für seine Wohltätigkeiten und Hilfsprojekte bekannt. Wahrscheinlich, das hat einer der Cops gesagt, wird einer seiner Mitarbeiter, der sich um seine Publicity kümmert, im Handumdrehen dafür sorgen, dass er reingewaschen wird und am Ende Meghan als Übeltäterin dasteht.«

»Wie soll das funktionieren? Zachary kann den Vorfall bezeugen!« Harveys Stimme wurde vor Entrüstung unnatürlich hoch. 

»Harvey...«, seufzte Alessia. »Hab doch ein bisschen Fantasie. Crawfords Leute werden sich eine gute Story überlegen, um ihn aus der Sache herauszumanövrieren. Das ist ihr Job. Am Ende ist Meghan eine Verführerin und Crawford ihr unwissender Chef, der von ihrem Nachhause kommenden Freund windelweich geschlagen wurde.«

Nachdenklich furchte Harvey die Stirn.
»Und warum hast du sie dann dazu gedrängt, ihn anzuzeigen?« Der Vorwurf hing, mehr oder weniger offensichtlich, im Raum. 

Al wurde blass. »Ich... Ich wollte doch nur...« Sie schaute hilfesuchend zu mir und Zach, worauf ich ihren Satz ergänzte: »Sie wollte, dass ich etwas tue. Selbst wenn die Resultate nicht vielversprechend sind, habe ich mich getraut und ihn für seine Taten zur Rechenschaft gezogen. Möglicherweise lässt er mich ab jetzt ja endlich in Ruhe, damit ich...«

»Warte, was?« Jetzt mischte Zach sich ein und sah mich entgeistert von der Seite an.
»Du willst doch nicht allen ernstes weiter dort arbeiten!«

»Ich schließe mich der Entrüstung an«, bekräftigte Harvey und schüttelte den Kopf.
»Du findest eine andere Stelle. Weit weg von diesem Perversen. Wir helfen dir.«

»Ich möchte aber weiterhin bei Jeffrey-Charles & Sons arbeiten!«

Archie schaute mich mitfühlend an. Ich glaube, er fühlte, dass ich mich behaupten musste und wollte mir mit seinem Blick Mut zusprechen. Ich beschloss, ihm dafür demnächst ein Eis zu kaufen.

»Das ist doch Blödsinn!«, rief Zachary in Rage und ließ meine Hand los. »Auch wenn er sich ab jetzt nicht mehr an dir vergreifen würde, und davon gehe ich bei diesem Schwein nicht aus, wird er dich terrorisieren, wo er nur kann. Dicht schlechtmachen, bis er einen triftigen Grund findet, dir zukündigen. Du darfst dich nicht auf diese Weise demütigen lassen!« Er fuhr sich durch das dichte, schwarze Haar, sodass es noch strubbeliger in alle Richtungen abstand. Ich unterdrückte das Bedürfnis, meine Hände darin zu vergraben.

»Hört zu«, sagte ich zu Harvey und Zach gleichermaßen und spielte mit dem Anhänger der Rosé-Halskette, die Cole mir heute geschenkt hatte. Erstaunlich, wie schnell man das Gute vergessen konnte, wenn etwas Schlechtes passierte. »Crawford ist mein Chef, das ist richtig. Aber eigentlich ist vielmehr Christina meine Vorgesetzte. Sie entscheidet, was gemacht wird und was nicht. Crawford segnet ihre Entscheidungen bloß ab. Das heißt, dass ich mit ihm gar nichts mehr zu tun haben muss.« Auf Zustimmung wartend, ließ ich meinen Blick durch die Runde schweifen, doch ich sah nur mürrische Gesichter. Ich seufzte leise auf. »Leute, bitte versteht mich. Ich bin erst so kurz dabei und liebe den Job total. Alles läuft gut. Ich möchte das nicht so leichtfertig wegwerfen.«

Zachary murmelte unzufrieden vor sich hin, worauf er wieder meine Hand ergriff und mit seinem Daumen über ihren Rücken fuhr, immer und immer wieder. Wahrscheinlich beruhigte ihn das ebenso sehr wie mich. »Wenn es dich glücklich macht, okay, Meghan. Aber wir werden das noch ausdiskutieren. Wenn wir alle wieder bei Sinnen sind.«

Als ich aufsah, registrierte ich Harveys Skepsis und die hochgezogenen Brauen. Ich beschloss, mir nichts daraus zu machen und lehnte mich an meinen Retter in der Not, der mich gern berührte. Was war schon dabei? Das machte uns noch lange nicht zu einem Paar. Auch wenn Harvey genau das mit seinen Blicken andeuten wollte. Was wusste er schon über mich und Zachary?

Schließlich stand Alessia auf und zog ihren Sohn mit sich, der mittlerweile ziemlich schläfrig wirkte. Sie winkte uns zum Abschied, wobei sie vehement Harvey auswich.

Was war zwischen den beiden geschehen?, fragte ich mich unwillkürlich. Und war es meine Schuld? Schließlich hatte ich sie dazu verdonnert, gemeinsam die Sache mich Martins Eltern zu klären. Apropos:

»Wie ist eigentlich gelaufen?«, erkundigte ich mich.

Sie blieb wie eingefroren stehen und warf Harvey nun doch einen Blick zu. Bildete ich es mir ein oder war sie gerade eben rot geworden? »Wir...also, ich werde morgen nochmal hinfahren. Sie...uhm, waren nicht da. Also, die Eltern. Die waren weg. Wahrscheinlich übers Wochenende, weißt du? Gut, na dann. Gute Nacht.« Und damit zerrte sie Archie aus dem Raum und schloss die Tür hinter ihnen.

Ich erhaschte Harveys schockierten Gesichtsausdruck und sagte das einzig Richtige, was mir in diesem Moment einfiel.
»Folge ihr. Ich hab noch nie jemanden so schlecht lügen gehört.«

»Geht mir ganz ähnlich.« Zach zuckte mit den Schultern. »Ich würde das auf jeden Fall klären wollen, wenn ich du wäre.«

Harvey schaute uns beide mit seinem berühmt-berüchtigten Was-wisst-ihr-schon-darüber-Blick an, worauf er ihr aber dennoch hinterher ging.

Die Tür knallte ins Schloss und wir waren allein.

Zachary und ich.

Und als hätten wir bloß darauf gewartet, fanden unsere Lippen im nächsten Augenblick zueinander.

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