51. Interlude

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51. INTERLUDE - MUTE

Nach der Schule ging ich schnell nach Hause und bereitete für Amara das Abendessen soweit es ging vor. Durch die Enttäuschungen des Tages hatte sich in mir ein Hass auf meine Umwelt aufgebaut, den ich selber nicht sonderlich verstand. Ich fühlte nur eine abgrundtiefe Abneigung meinem Elternhaus gegenüber, sodass ich so schnell wie möglich das Gemäuer verlassen wollte. Auch wenn ich mir innerlich sagte, dass ich von dem Haus nicht abgeneigt sein sollte, weil Mom hier früher gelebt hatte – ich verband sie nicht mehr mit diesem Einfamilienhaus. Ich verband mit ihm bloß Schmerz und Leid und Unterdrückung. Und das war alles – und es erschreckte mich. Ich wollte meine Mom nicht als Grab auf dem städtischen Friedhof im Kopf behalten. Ich wollte vor Augen habe, wie sie durch den Flur huschte, um in die Küche zu gelangen, damit sie Kuchen backen konnte oder wie zu Weihnachten im Wohnzimmer in einem selbstgestrickten Wollpullover den Baum schmückte. Und wie ihr Lachen den Raum erfüllte. 

Aber in meinem Kopf erkannte ich nur das öde Wohnzimmer mit der abgewetzten Couch und dem Glastisch sowie dem großen Glasfenster, durch das im Winter zur Abendbrotzeit die Sonne durchschien und den ganzen Raum in rot-orangefarbenes Licht tauchte. Doch das war nicht mehr so, da die Hecke vor dem Fenster wucherte und somit drei Viertel des Sonnenlichtes raubte. Noch dazu kam, dass Amara es bevorzugte die Rollladen herunter zu ziehen, wenn wir aßen. Beziehungsweise wenn sie aß – Dad war nie da und mir war es nicht gestattet in meinem eigenen Haus zu essen, wann es mir passte. Aber ich wollte sowieso nicht mit dieser falschen Schlange zusammen Abendbrot essen. Nur über meine Leiche.

Ich verließ somit nach einer knappen halben Stunde das Haus, um Amara und meinem Dad aus dem Weg zu gehen. Dad würde wahrscheinlich eh erst wieder spät nach Hause kommen, aber man wusste es ja nie so genau. Und Amaras Attitüde konnte ich im Moment einfach nicht aushalten. Es war kühler draußen, da es über den Tag bedeckter (passend zu meiner Laune) geworden war und sogar geregnet hatte. Dementsprechend fiel die Anzahl der Menschen draußen relativ rar aus. Ich begegnete bloß einer Dame mit ihrem Pudel und zwei Jugendliche, die lautstark Musik hörten. Ansonsten waren die Straßen leer und nass. 

Wieder spürte ich beim Gehen, wie mir meine Haut wehtat und ich dachte an Mittwochnacht zurück, als Dad mich verprügelt hatte. Es hatte tatsächlich schon mehr wehgetan als sonst. Es hatte sich so angefühlt, als würde er mich dafür bestrafen, dass ich glücklich war. In diesem Moment war ich es ja auch tatsächlich gewesen. Ich meine, ich war bei Louis gewesen und wir waren so gut miteinander klargekommen, hatten unsere Geheimnisse oder eher gesagt Lebensgeschichten offen gelegt und wir hatten uns mehrere Male geküsst. Ich war an diesem Tag eigentlich überglücklich. Aber ich hatte abends eben nicht mit meinem Dad gerechnet. Entweder hatte ein Arbeitskollege versehentlich Mom erwähnt, oder er hatte mit ihr an diesem Datum etwas besonderes erlebt... ich wusste es wirklich nicht, ich konnte bloß fachsimpeln, was die Gründe für seinen Wutanfall gewesen war. Und da mein Vater ein Mensch war, der nach Empfinden handelte, nahm ich nun mal an, dass eine Emotion es ihm angetan hatte. Und ich tippte darauf, dass es Schmerz war. Schmerz, weil er Mom verloren hatte und damit schlicht und ergreifend nicht klar kam. Er hatte sie vergöttert und sie war gegangen und mein Vater war einfach zu schwach, um damit umzugehen. 

Und ich war zu schwach, um mich gegen ihn zu wehren. 

Es ist doch alles ein ewiger Kreislauf. Immer auf die Schwächeren, bis einer stirbt. So lief es doch. Und leider hatte ich niemanden, den ich einfach so verprügeln konnte. Aber im Ernst; diesen Schmerz wollte ich auch ungern jemanden zumuten. 

Ich erreichte die Parkbank, auf der ich mich mit Olivia, Cassandra und Eden das letzte Mal getroffen hatte, um ihnen mitzuteilen, dass ich keinesfalls gelogen hatte. Als ich ein psychisches Wrack war. Also, ich fand, dass meine Art mit Verlusten oder Rückschlägen klarzukommen weniger schmerzhaft war, als die von Dad. Ich war somit eher eine emotionale Gewalttäterin. Und Dad nicht. 

Heart of a killer [l.t.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt