54. Interlude

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54. INTERLUDE

Es dauerte seine Zeit, bis ich wieder so weitermachen konnte wie vorher. Erst kürzlich hatte ich etwas über die ›Five stages of grief‹ gelesen. Soweit ich mich erinnern konnte waren das ›denial‹, ›anger‹, ›bargaining‹, ›depression‹ und ›acceptance‹. Also auf gut deutsch: Verleugnung, Wut, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Nicht jeder Mensch ging durch die gleichen Phasen in der gleichen Reihenfolge. Ich glaube bei mir begann es mit der Phase der Wut. Ich wollte am liebsten zu Louis rennen und ihn fragen, was ihm einfiel, mich im Stich zu lassen. Es war nicht so, dass es viele Konstante in meinem Leben gab – eigentlich gar keine mehr –, also war ich schon ziemlich auf seine Verbundenheit angewiesen. Ich war aber auch auf mich wütend, weil ich nicht nachgefragt hatte, wo genau sie hingehen würden. Oder ob er seine Handynummer ändern würde? Wie lange er dort bleiben würde? Ob wir einen Ort ausmachen, an dem wir uns jeden Monat einmal treffen würden. Ich wusste, dass sowas sehr kostenintensiv sein würde... Meine Wut richtete sich aber hauptsächlich auf Louis und sein bescheuertes Leben. Noch dazu wurde ich plötzlich total neidisch auf Via und Dan. Auf ihre Beziehung. Bei den beiden war alles einfach bloß unbeschwert und einfach. Vielleicht stritten sie sich einmal im Jahrhundert wegen irgendeiner belanglosen Sache, aber das klärte sich sofort wieder. Sie konnte gemeinsam nach vorne blicken und sich eine gemeinsame Zukunft ausdenken. Und im Gegensatz zu Louis und mir, konnten sie diese Zukunft auch antreten und ausführen. Weil Dan ein ganz normaler Teenager war und er seinen Abschluss machte und vielleicht erfolgreicher mit seinen Soloauftritten werde würde. Er war Sänger und seine Stimme war wirklich der Hammer. Er würde vermutlich berühmt werden und genug Geld für Via und ihr Kind, oder Kinder, verdienen können. Bei den beiden würde nichts unschaffbar sein. Niemals. 

Denn Dan war kein Mörder. 

Die darauffolgende Phase war Depression. Die pure Verzweiflung über den Verlust der fünf Vollidioten löste meinen Zorn über sie auf. Viel eher redete ich mir ein, wie ich mein Leben weiterleben musste. Ohne die Fünf. Wie ich meinen Abschluss in der Tasche haben würde und niemals mehr zurück an die kriminellen Kleinhirne zu denken hatte. Sie waren in mein Leben getreten, aber vielleicht sollte ich diese Zeit vergessen. Schließlich war es so am besten. Wir beide würden unser Leben weiterführen, die Erde würde sich drehen und fuuck. Ich wollte jeden Morgen neben ihm aufwachen und ich wollte nicht nur in meinen Träumen bei Louis sein. Ich wollte für immer bei ihm bleiben.

Ich konnte mein Pech echt nicht fassen. Was hatte ich denn falsch gemacht, dass das Schicksal mit so sehr in die Pfanne hauen wollte? Mit der Stirn vorweg? 

Oder war es nur ein verdammte Probe, ob ich mein Leben im Griff hatte? Oder wieviel Schmerz und Trauer ein einzelner Mensch aushalten konnte? 

Und das leitete mich direkt in die letzte Phase: Akzeptanz. 

Auch wenn ich mir jetzt Gedanken über das Universum machte, es würde nichts daran ändern, dass Louis gegangen war. Und jetzt lag es an mir, ob ich ihm das verzeihen oder ewig auf ihn sauer sein würde. Meine Entscheidung; und das fühlte sich nach Kontrolle an. Und Kontrolle war gut.

-

Diese drei Phasen der Trauer durchlief ich in doppelter Geschwindigkeit an diesem Abend noch immer auf der Schaukel sitzend. Natürlich weinte ich ununterbrochen bei meinen Gedankengängen. Es war aber auch auslaugend in der Dunkelheit auf der Schaukel zu hocken und den indirekten Verlust einer geliebten Person zu durchgehen. Ich wollte nie, dass Louis so eine hohe Position in meinem Leben annahm, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie es ohne ihn weitergehen sollte. Seltsam, schließlich hatte ich mein ganzes Leben ohne seine Anwesenheit managen können. Es war schon lächerlich. 

Ja. 

Irgendwann schaffte ich es mich zu erheben und mit wackligen Beinen einige Schritte zu gehen. Dabei blieb ich an dem Pfosten der Schaukel stehen und lehnte mich mitsamt Kopf dagegen, während ich auf die beiden leeren Schaukeln blickte. Und mir vorstellte wie dort zwei ganz normale Teenager saßen und sich ihre Gefühle für einander gestanden. Und das Mädchen sah aus wie ich und der Junge wie Louis. So stellte ich mir eine Beziehung vor. Wieder liefen mir die Tränen über die Wangen und ich biss mir auf Lippe, um aufzuhören. 

Heart of a killer [l.t.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt