48 & 49. Interlude

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48 & 49. INTERLUDE


Als ich klein war, trugen Via und ich manchmal die gleichen Sachen. Wir beide standen eher auf Blautöne – im Gegensatz zu Eden und Cassandra – und unsere Mütter kauften uns deshalb oft Sachen im Partnerlook. Eine Zeit lang musste ich immer ein wenig Rücksicht auf sie nehmen, weil sie sich bei einem Sturz von der Treppe die Hand gebrochen hatte und einen dicken Verband trug. Erst wollte Olivia nur langärmelige Sweatshirts haben, aber dann erklärte ich ihr, dass ihr Verband auch etwas Schönes sein konnte. Ich malte zuhause eine Blumenwiese mit blauen Blumen auf den weißen Verband und Cassie mit lilafarbenen und Eden mit – oh Wunder – gelben. Als wir dann am darauffolgendem Wochenende wieder in das Einkaufscenter fuhren, in dem sich unsere Mamas regelmäßig die Haare schneiden ließen, gingen wir auch wieder in ein Kleidergeschäft und suchten uns schicke T-Shirts und Kleider im Partnerlook aus. 

Von dem Tag an lief Via bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihren Verband abmachen durfte, nur mit kurzärmeligen Klamotten in die Schule, um allen ihren Gips zu präsentieren. Damit jeder unterschreiben konnte, wenn er wollte.

Mein Verband ist ein schlechter Verband.

Der Unterschied war, dass ich keine Freundin hatte, dir mir einredete, dass der Verband etwas gutes sei. Noch dazu war mein Verband schlicht und ergreifend nichts Gutes. Er symbolisierte die Gewalt meines Vater seiner einzigen Tochter gegenüber, er symbolisierte die Untergebenheit der Tochter und ihre Schwäche. Er symbolisierte Schmerz und unterdrückte Wut und Verzweiflung. Das war alles.

Und deshalb konnte ich ganz einfach nicht mit einem kurzärmeligen, blauen T-Shirt das Haus verlassen und meinen Verband präsentieren.

Noch dazu kam, dass ich keine Spezialistin in puncto Arm verbinden war. Klar, hatte ich es schon oft getan, aber ich würde wohl niemals erfahren, ob die Technik, die ich anwandte überhaupt hilfreich war. Mein Arm schmerzte dadurch bloß weniger und die Salbe, die ich vorher auf der geschwollenen Haut verteilt hatte, trug auch ihren Teil dazu bei. 

Dad war gestern schon ganz schön ausgeflippt. Er hatte mir mehrere Male gegen das Schienbein getreten, sodass sich über Nacht die Stelle komisch gelblich gefärbt hatte. Noch dazu tat es höllisch weh, genauso wie meine Wange. Aber die kannte das schon. Die Schmerzen durch Ohrfeigen, oder damals durch das Messer von Elijah, waren für mich sowas wie Alltag geworden.
Aufgrund meiner zahlreichen Prellungen an Armen und Beinen, entschied ich mich für eine lockere, schwarze Jeans und einen ebenfalls losen Pullover. Ich hatte bereits Erfahrungen mit engen Klamotten und Verletzungen gemacht – der Stoff schürfte wie verrückt und riss damit die Haut auf und ließ mich bei jedem Schritt die Qual der vergangenen Nacht spüren. Um diesem Leiden aus dem Weg zu gehen, zog ich weite Sachen an, die nicht an der Haut schmiegten und somit zufälligerweise auch meinen eigenständigen Verband verdeckten. So ein Glück aber auch.


Während Olivia, Eden und Cassandra vor ihren XXL Spiegeln standen und ihr Spiegelbild bewunderten, während sie das Queensizebett durch die Spiegelung anstarrten und überlegten, was sie tragen konnten, um aufzufallen, tat ich das totale Gegenteil. In meinem Zimmer befand sich weder ein Spiegel noch Queensizebett. Obendrein überlegte ich auch nicht, wie ich besonders zur Geltung kam, nein. Ich überlegte, ob ich den Weg von meinem Zimmer bis in die Küche überhaupt schaffen würde, weil meine Schienbeine so sehr schmerzten. Bitte, Gott, lass meine Knochen noch ganz sein! 

Meine Sachen sollten betont unauffällig ausfallen, damit ich nicht auffiel und nicht die halbe Schule sich fragte, was mit mir los war. Ich wünschte, ich würde für die anderen Schüler unsichtbar sein könnten. Und ich betete, dass meine Ex-besten-Freundinnen keinen Versuch starten würden, um mich zu beleidigen. Dazu hatte ich heute keinen Nerv.

Heart of a killer [l.t.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt