sechsundfünfzig | zusammenbrechen

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„Das Gästezimmer ist schon vorbereitet", sagte Harry, mit seinem Handy am Ohr, darauf wartend, dass die Person am anderen Ende abhob, während er unruhig durch den Raum lief.

„Ich kann nicht hierbleiben, Harry."

Abrupt wandte er sich mir zu.

„Denkst du, dass ich dich jetzt wieder da raus lasse? Du bist vor einer halben Stunde angekommen. Die sind immer noch da."

Ich drehte mein Gesicht, um aus dem Fenster zu sehen.

Er musste die Vorhänge zugezogen haben, als er gekommen war.

„Hey", durchschnitt seine Stimme den Raum, scharf und kantig.

Ohne ein weiteres Wort stand ich auf und schleppte meinen Koffer in das Gästezimmer.

Es sah noch genauso aus, wie ich es verlassen hatte.

Die Bettdecke zerwühlt, den Vorhang zugezogen.

Eingesperrt.

Ich ließ mich auf die Matratze fallen und schloss die Augen, in der Hoffnung, auch meine Tränen einsperren zu können.

Harrys Stimme konnte ich bis hier hören, ich hatte sogar das Gefühl, ihn noch riechen zu können – nein, ich konnte ihn riechen.

Meine Hand griff nach dem Kissen und zog es zu mir.

In dem Moment hörte ich seine Schritte.

„Du hast hier geschlafen", sagte ich, als er die Tür öffnete.

Beinahe konnte ich spüren, wie seine Wut schlagartig verdampfte.

„Erwischt", antwortete er dann.

Ich drehte mich auf den Bauch und sah ihn an.

Und dann verdampfte auch alles, was sich in den letzten Stunden in mir angesammelt hatte.

Wie er dastand, an den Türrahmen gelehnt, blass und mit Augenringen – er musste in der letzten Woche mehrere Kilo abgenommen haben ...

Mein Gehirn weigerte sich, einen klaren Gedanken zu fassen, doch mein Körper wusste genau, was er zu tun hatte.

Schweigend sah er mir entgegen, als ich aufstand, den Meter zu ihm im Bruchteil einer Sekunde überwand und meine Lippen auf seine drückte.

„Ich habe meine Himbeerbrause vermisst", sagte er.

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