einundachtzig | veränderungssehen

178 25 1
                                    

Konnte ein Mensch sich in einem halben Jahr mehr verändern als in einem ganzen Leben?

Nicht einmal meine Zeit im Altenheim hatte mich so sehr mitgenommen wie die Momente mit Harry.

So sehr geprägt.

Verändert.

Vielleicht sollte ich es auch auf Mary zurückführen, die mich erst zu Harry gebracht hatte, aber das würde immer noch bedeuten, dass alles, was mich heute ausmachte, von seiner Familie geformt worden war.

Er hatte mich dazu gebracht, alles andere zu hinterfragen, zu vergessen, zu verdrängen.

Ich hatte nicht einmal daran gedacht, dass inzwischen das zweite Jahr der Afrikareise meiner besten Freundinnen angebrochen war, dass sie in einem halben Jahr zurück sein würden – dass sie von rein gar nichts wussten, weil auch sie ihre Handys aus ihrem Leben verbannt hatten, wenigstens für zwei Jahre.

Kopfschüttelnd sah ich meine Fotos durch, bevor ich sie in das dicke Fotoalbum steckte, was ich erst heute in London gekauft hatte.

Früher hatten die Bilder an meiner Wand gehangen, doch ohne Harrys Zustimmung wollte ich sein Haus nicht so prägend ändern.

Ich blieb an einem Bild von meiner Einschulung hängen.

Unsicher stand ich ohne meine Eltern bei meiner neuen Klasse, sah mich nach ihnen um, während ich an meinen Fingernägeln knabberte.

Auch, wenn ich mich ab und an immer noch genau so fühlte, war dieses Kind eine ganz andere Person.

Heute fühlte ich mich, als könnte ich Bäume ausreißen.

Als könnte ich mich vor abertausende Leute stellen und ihnen sagen, wie sehr ich Harry liebte, ohne auch nur zu blinzeln.

Als könnte ich tun und lassen, was ich wollte.

Als hätte ich mein Leben endlich selbst im Griff.


„Menschen sind doch immer noch ein klein wenig besser als Himbeerbrause. Manchmal jedenfalls", sagte sie.

himbeerbrauseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt