Kapitel 91

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Luzifer ist kurz irritiert und ich nutze diesen Moment, um einige Schritte Abstand zwischen uns zu schaffen.
Nicht nur, da ich gerade auf seine Nähe verzichten kann, sondern auch, um mein verräterisches Herz, das schnell schlägt, zu beruhigen.
Er scheint enttäuscht über die Nachricht, dass Jonathan keine Kräfte hat, lässt sich jedoch nicht lange etwas anmerken.
„Bist du jetzt zufrieden?! War es das wert, mich zu erpressen? Du kannst wahrlich stolz sein, heute machst du deinem Namen alle Ehre."
„Alice, ich wollte .."
„Vertrauen. Du hättest mir einfach vertrauen können, aber das ist dir anscheinend fremd."
Mein Puls beruhigt sich endlich wieder und mir fällt auf, dass ich zu erschöpft bin, um weiterhin mit Luzifer zu diskutieren.
Er will gerade dazu ansetzen, etwas zu erwidern, da unterbreche ich ihn auch schon.
„Lass gut sein. Jonathan hat nichts mit all dem hier zu tun, halte ihn gefälligst aus deinen Problemen heraus. Meine Familie musste schon mit genug Leben in diesem Krieg bezahlen.
Und da wir das geklärt haben, wärst du so nett und bringst mich nach Hause?"
Er nickt nur. Kurz drauf nimmt er sachte meine Hand und bringt mich endlich nach Hause.

Ich drehe mich ohne eine weiteres Wort von ihm weg, in der Hoffnung, ihn nicht mehr zu sehen, sobald ich mich erneut umdrehe.
Zwei starke Arme legen sich fest von hinten um meinen Oberkörper und ich spüre seinen Kopf in meiner Halsbeuge.
„Verzeih mir." Mit diesen Worten und einem hauchzarten Kuss an meinen Hals, lässt er mich zurück und verschwindet schneller, als ich reagieren kann.
Mit Gänsehaut und einem rasenden Herzen stehe ich alleine in meinem Zimmer.
Verdammt, Luzifer, was machst du nur mit mir?!

Bei dem Anblick meines Bettes überkommt mich eine enorme Müdigkeit und ich lasse mich erschöpft auf mein Bett fallen. Kurz bevor mir meine Augen endgültig zufallen, ziehe ich meinen BH umständlich unter dem T-Shirt aus und schlüpfe aus meiner Hose.
Kann es in meinem Leben denn nicht einen normalen Tag geben?

Ich wache noch vor meinem Wecker auf und fühle mich glücklicherweise erholt, was, nachdem ich schon übertrieben früh ins Bett gegangen bin, keineswegs verwunderlich ist. Aus der Küche höre ich bereits Geräusche und ich mache mich auf den Weg nach unten.
Ich sterbe vor Hunger!
„Guten Morgen, Schlafmütze."
Mein Papa steht mit einer Zeitung und einem köstlich riechenden Kaffee in der Küche.
„Guten Morgen. Entschuldige, dass ich das Abendessen gestern verschlafen habe, aber ich war so unglaublich müde."
„Keine Sorge. Du warst einfach nicht wach zu bekommen, da dachte ich mir, dass du dir den Schlaf verdient hast. Kaffee?"
„Gerne."
Er gießt mir eine Tasse dampfenden Kaffee ein, während ich mir eine riesige Schale Müsli mache.
„Da hat jemand aber einen guten Hunger."
„Das kannst du laut sagen."
Wir setzen uns gemeinsam an den Tisch.
„Geht's dir gut, Alice?"
Zwischen dem lauten Knuspern meines Müslis nicke ich energisch.
„Ja, bestens!"
„Bist du sicher? Ich meine nicht nur jetzt gerade, sondern generell. Du weißt schon, die Sache mit der Hölle und dem Krieg?"
Ich unterbreche kurz mein Schlingen, um in das sorgenerfüllte Gesicht meines Papas zu schauen.
„Keine Sorge, ich schaff das schon. Irgendwann wird wieder Ruhe einkehren." Zumindest, wenn wir gewinnen sollten.
"Denk immer dran, du bist nicht allein!"
„Danke Papa."
Ich esse genüsslich weiter mein Müsli und unterhalte mich, nach gefühlten Ewigkeiten mal wieder ausführlich mit meinem Papa. Nach einer Weile fällt mein Blick auf die Uhr.
„Verdammt, schon so spät. Ich muss mich fertig machen."
„Oh, das stimmt, ich bin auch schon spät dran."
Beide Springen wir auf und rennen uns dabei fast gegenseitig um. Unser Lachen erfüllt den Raum und ich fühle mich einfach nur glücklich.
„Wir sehen uns heute Abend. Ich hab dich lieb, Schatz." Er drückt mich fest an sich und gibt mir sachte einen Kuss auf die Stirn. Ich erwidere seine Umarmung und genieße die Wärme, die mich umgibt.
„Ich dich auch. Schönen Tag dir."
Ich renne die Treppe nach oben und springe unter die Dusche. Danach ziehe ich mich an und richte mich kurz zurecht, bevor ich aus der Tür stürme.

„Guten Morgen Alex."
„Guten Morgen. Schön das du mich auch mal wieder hier in der Hölle namens Schule besuchst. Welch eine angenehme Überraschung."
Ich grinse ihm frech zu. Hölle, von wegen. Wenn der nur wüsste.
„Ach komm schon, ich hab dir doch schon geschrieben, dass es mir leid tut."
„Naja, hauptsache, dir geht es besser. Wollen wir heute nach der Schule was unternehmen? Ich sehe dich in letzter Zeit so selten?"
Ich nicke begeistert. Vielleicht wäre eine Auszeit von dem Chaos, das mein Leben bestimmt, gar nicht so schlecht.
„Gerne! Vermisst du mich etwa schon?"
Alex schnaubt empört.
„Werd ja nicht übermütig."
Wir grinsen uns an und laufen gemeinsam ins Klassenzimmer.
Kurz drauf beginnt der Unterricht und mir wird erneut bewusst, wie sehr ich mich freue, wenn ich endlich meinen Abschluss habe.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ertönt endlich der Gong, der das Unterrichtsende einläutet. Ich schnappe mir meine Unterlagen und treffe mich mit Alex auf dem Flur.
„Können wir los?"
„Einen Moment, ich muss nochmal für kleine Jungs, aber dann bin ich bereit."
„Alles klar, ich warte vorne am Eingang."
Alex nickt schnell, bevor er Richtung Toiletten läuft.
Ich hingegen laufe schon zum Ausgang vor und beobachte die Schülermassen, die fluchtartig das Gebäude verlassen.
Mein Blick schweift nach draußen und fällt auf einen Mann, der entspannt an einem Baum lehnt.
Ein Grinsen schleicht sich auf meine Lippen und ich eile schnellen Schrittes nach draußen.
„Jonathan, was machst du denn hier?"
Ich falle ihn förmlich in die Arme, während seine Lippen ein zufriedenes Lächeln umspielt und er mich fest an sich drückt.
„Ich bin hier, um meiner kleinen Schwester wenigstens ab und zu ein normales Leben zu verschaffen."
Ich grinse dankbar.
„Hast du Zeit? Wir könnten.."
Weiter kommt er nicht, da ich Alex von hinten rufen höre.
„Alice, kommst du?"
„Moment!", schreie ich zurück.
Jonathan hebt skeptisch eine Augenbraue.
„Wer ist das?"
Ich boxe ihn leicht. „Alex. Aber kein Grund zur Sorge, er ist von der anderen Seite des Ufers."
Jonathan atmet erleichtert aus. „Ja wenn das so ist."
Ich höre leise Schritte hinter mir.
„Alice, da bist du ja. Wollen wir l.."
Alex bricht ab.
„W..w.was ist hier los. Warum gibt es dich zweimal, aber irgendwie auch nicht."
Jonathan und ich grinsen beide amüsiert.
„Alex, darf ich vorstellen, mein Zwillingsbruder Jonathan."
Alex scheint noch immer sichtlich überrascht, ein Ebenbild von mir als Mann zu sehen.
„Zwillingsbruder? Ich wusste nicht, dass du Geschwister hast?"
Glaube mir, ich auch nicht.
„Ich war lange Zeit im Ausland, bei unserer Mutter. Aber jetzt bin ich wieder da und kann endlich Zeit mit meiner kleinen Schwester verbringen."
Ich grinse zufrieden. Dieser kleine Lügner. Aber zum Glück ist ihm auf Anhieb eine Ausrede eingefallen.
„Na dann, freut mich dich kennenzulernen. Wir wollten gerade eine Kleinigkeit essen, willst du mit?"
Jonathan schaut kurz zu mir und ich nicke begeistert.
„Nichts lieber als das. Ich bin mit dem Auto da, wo wolltet ihr hin?"
Nach kurzem Überlegen legen wir uns auf einen Imbiss fest und steigen alle zu Jonathan ins Auto. Während ich vorne sitze, macht sich Alex auf der Rückbank breit. Jonathan fährt gerade vom Parkplatz und ich spiele am Radio herum, um einen passenden Sender zu finden, als Alex von hinten schreit: „Ich liebe diesen Song!" Ich drehe die Musik lauter.
Highway to Hell.
Wie passend.
Jonathan neben mir kann sich nur schwer ein Grinsen verkneifen und steckt mich damit augenblicklich an. Sobald der Refrain ertönt singen wir drei grölend mit und Alex und ich reißen unsere Arme im Takt noch oben.
Nachdem wir alle lachend und außer Atem im Auto sitzen, kommen mir die Worte meines Papas von heute morgen in den Kopf.
Du bist nicht allein.
Wie recht er doch hat, ich bin wirklich nicht allein.
Ich hab Familie und Freunde, für die ich kämpfen werde. Auch wenn ich dafür im wahrsten Sinne des Wortes durch die Hölle gehen muss.
Doch eins ist klar: eine Niederlage ist ausgeschlossen.

Hello Devil, nice to meet you!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt