Kapitel 85

18.1K 943 28
                                    

Michael grinst noch immer selbstgefällig, ungeachtet meiner offensichtlichen Abneigung ihm gegenüber.
„Die Freude ist ganz meinerseits, Alice."
Ich schnaube entrüstet.
„Was willst du hier?"
Gabriel wirft mir einen entschuldigenden Blick zu, den ich fragend erwidere.
Michael blickt sich neugierig in meinem Zuhause um und schlendert auf mich zu.
„Ich will dir helfen."
Ich blicke ihm mit spöttisch hochgezogen Augenbrauen in sein zugegebenermaßen wunderschönes Gesicht.
„Ich denke, das wird nicht nötig sein. Deine letzte Lektion hat mir vollkommen genügt. Auf weitere deiner Psychospiele kann ich liebend gerne verzichten."
Außerdem mag ich dich einfach nicht, du arrogantes Arsch.

Auch wenn ich ihm die letzten Worte nicht gesagt habe, lässt mein Gesichtsausdruck offensichtlich darauf schließen, da er leise lacht.
„Wie ich sehe, ist dein Mut, deine schneidende Zunge auch weiterhin gegen mich zu richten, nicht geschrumpft. Durchaus unterhaltsam; es trauen sich nicht viele, ihre Stimme gegen mich zu erheben."
„Keine Sorge, meinen Mund lass' mich mir nicht verbieten. Auch nicht von dir."
Mittlerweile steht er in seiner vollen Größe vor mir und ein amüsiertes Zucken umspielt seine Mundwinkel.
„Gabriel, wir können gehen. Ich bin hier fertig."
Ich wende mich zum Gehen und werfe dabei Gabriel einen bösen Blick zu, da er noch immer schweigend da steht.
„Fertig sind wir erst, wenn ich es sage."
Jetzt bin ich es, die spöttisch lacht.
„Da täuschst du dich, Michael."
Er hält mich mühelos am Arm zurück.
„Ich werde dich heute unterrichten, ob es dir nun passt oder nicht.
Auch Erzengel haben eine zugeteilte Aufgabe.."
Ich unterbreche ihn barsch.
„Dann solltest du wohl diesen Aufgaben nachgehen, anstatt mich weiterhin zu belästigen."
„Da wir deine Kräfte kriegstauglich machen müssen, wäre es doch am sinnvollsten, wenn ich als Heeresführer und Vollstrecker Gottes das übernehme, oder siehst du das anders?"
Ich wende meinem Blick zu Gabriel, der mir zu zeigen gibt, dass er das genauso sieht. Verräter.
„Gabriels Kräfte sind bei weitem nicht so passend für diese Aufgaben wie die meinen."
„Und meine."
Ich drehe mich irritiert um und blicke zu Raphael, der lässig im Türrahmen der Küche lehnt.
Seit wann ist er da? Und vor allem warum?
Gut, dass mir anscheinend jeder helfen kann außer Gabriel, mit dem ich mich eigentlich verabredet habe.
„Ich bin Gottes Heiler. Eine meiner Aufgaben ist es, Kranke zu heilen - wobei meine Kräfte begrenzter sind als deine."
Na super, ich nehme Raphael den Job weg; die Grundlage jeder tieferen Freundschaft.

Ich löse mich aus Michaels Griff.
Gabriel, wie konntest du die ohne Vorwarnung auf mich loslassen? Wenn ich dich in die Finger bekomme, dann mach ich Hackfleisch aus dir.
„Gehen wir. Zumindest einer von uns hat nicht ewig Zeit.", sagt Michael, wobei sein Blick eindringlich auf mir liegt.
Er streckt seine Hand nach mir aus, wobei ich mich zurückhalten muss, um nicht zurückzuzucken, da ich ihm diesen Triumph nicht gönnen will.
Er berührt leicht meine Stirn. Mich überkommt ein unangenehmes Gefühl und im nächsten Moment stehen wir auf einer verlassenen Straße, in kompletter Dunkelheit.

„Wo sind wir?"
Gerade eben war es noch nachmittags und schon ist es stockdunkel draußen.
Neben den drei Erzengeln und mir ist die Umgebung wie ausgestorben.
„In der Nähe von Sydney."
Dieses Mal ist es Gabriel, der mir antwortet. Ach was? Er besitzt ja doch die Fähigkeit zu sprechen, welch eine Überraschung.
Sydney? Unglaublich!
„Was tun wir hier?"
„Deine Kräfte trainieren." Ich unterdrücke ein Augenrollen in Michaels Richtung, da mir das auch bewusst ist. Die Frage ist nur, was soll ich hier machen?
In der Ferne erblicke ich zwei Scheinwerfer, die zu einem Auto gehören.
Kurz darauf werde ich unangenehm nach hinten in die Dunkelheit gezogen.
Das Auto rast, ohne uns zu bemerken, vorbei und ich folge dem Geschehen gespannt.
Keine 100 Meter weiter kommt das Auto von der Straße ab und überschlägt sich einige Male. Es schlittert über den Boden, bevor es laut krachend auf dem Dach liegend bleibt.
Ein Schrei entfährt meiner Kehle und ich renne los, bevor mir die Situation wirklich bewusst ist.
„Scheisse verdammt, wusstet ihr, dass das passiert?!"
Meine Beine tragen mich so schnell es nur geht und ich erreiche leicht atemlos das Auto, wovor ich schlitternd zum Stehen komme.
Die anderen drei nutzen sinnvollerweise ihre Macht und erwarten mich dort.
„Alice, bleib locker. Das ist deine Möglichkeit, deine Kräfte zu nutzen."
Ich blicke verzweifelt in den Wagen und versuche, die Türen aufzureißen.
Vier Insassen, die Eltern und zwei Kinder.
„Helft mir doch endlich und steht nicht nur herum!"
Michael öffnet erstaunlich leicht eine hintere Tür und ich mache mich daran, das schwer atmende Mädchen aus dem Wagen zu befreien.
Sie ist höchstens 8.
Viele Schnittwunden zieren ihren kleinen, blutüberströmten Körper.
Mein Atem stockt, wobei das Wissen, dass meine Zeit begrenzt ist, um ihr zu helfen, die Lage nicht einfacher macht.
Ich ziehe sie vorsichtig aus dem Wagen und beuge mich über sie.
Meine Hände zittern und mein Atem überschlägt sich beinahe.
Was tue ich hier nur? Wieso haben die es überhaupt so weit kommen lassen?

„Beruhig dich. Du weißt, was du zu tun hast. Wenn du nicht kannst: wir sind da, um dir zu helfen."
Es ist Michael, der mich mit einem strengen Ton ermahnt, wobei mir seine Worte überraschenderweise helfen.
Ich lege meine Hände sanft auf ihren Oberkörper, was sie mit einem leisen Stöhnen quittiert.
Ich spüre, wie die Kraft unter meiner Haut zu brodeln beginnt und meinen kompletten Körper in Millisekunden erfasst.
Konzentriere dich, du musst sie retten.
Zur Beruhigung schließe ich kurz meine Augen, bevor ich meine Kräfte bündele und durch ihren kleinen Körper fließen lasse.
Das wird wieder, komm schon.
„Bitte, lebe."
Eine erneute Welle purer Kraft geht von mir auf sie über.
Ich spüre, wie sich ihre Atmung langsam beruhigt und sie tief unter meinen Händen ein und aus atmet.
Die Blutungen stoppen und beginnen langsam, zu heilen.
Das schmerzverzerrte Gesicht entspannt sich und die kindlichen, schlafenden Züge kehren zurück.
Ich hab es geschafft, ich habe sie geheilt.
Sachte nehme ich meine Hände von ihrer Brust, in der Angst, mit mir verlassen sie auch meine Kräfte.
Aber nichts passiert, sie lebt und ich konnte sie retten.

„Alice, beeil dich!"
Erst jetzt löse ich meinen Blick von dem Mädchen und schaue hoch. Neben dem Wagen liegen nun die anderen Insassen. Gerade zieht Gabriel die Mutter aus dem Auto.
„Ich kann nicht länger warten. Du kümmerst dich um das Kind, ich um den Vater.", sagt Raphael und kniet sich neben den leblos wirkenden Mann, dem eine große Wunde am Kopf klafft.
Raphael umgibt sofort ein goldenes Licht, von dem ich meinen Blick einfach nicht abwenden kann.
Es ist wunderschön!
„Alice, konzentriere dich! Der Junge ist bereits tot; nur du kannst ihn noch retten."
Was?! Warum stehen die nur rum? Was, wenn ich ihm nicht helfen kann?
Meine Atmung, wenn überhaupt möglich, wird noch schneller.
Ich muss mich beeilen.
Ich sprinte zu dem leblosen Körper, wobei meine Beine so sehr zittern, dass ich das Gefühl habe, dass sie mich weit tragen werden.

Er atmet nicht mehr. Er ist tot, wenn ich ihm nicht helfe.
Noch nie habe ich meine Kräfte an einem Menschen ausprobiert, geschweige denn an einem so großen Lebewesen.
„Du schaffst das."
Gabriel legt mir beruhigend die Hand auf die Schulter und lächelt mir aufmunternd zu; dass auch er angespannt ist, ist jedoch unverkennbar.
Ich lege sacht meine Hände auf den Jungen. Er ist höchstens 15 oder 16.
Ich kann ihn unmöglich sterben lassen. Auf ihn wartet noch so vieles, was er zu sehen hat.

Meine Kräfte sammeln sich erneut und ich fokussiere sie angestrengt auf den Jungen.
„Komm schon."
Eine Welle der puren Macht überkommt mich und ich lasse sie in den Körper strömen.
Mein Körper reagiert sofort auf die enorme Anstrengung, weswegen mein Blickfeld kurz schwarz wird.
Nicht schlapp machen, du packst das.
Der Junge atmet noch immer nicht, weswegen ich erneut meine Kräfte sammle.
Auch danach liegt er noch immer leblos vor mir.
Erst jetzt wird mir schmerzlich bewusst, dass heilen und wiederbeleben von der Anstrengung her nicht vergleichbar sind.
Komm schon.
Ich stöhne schmerzhaft auf. Ich schaffe das, los jetzt.
Ich lasse erneut meine Kraft auf den Jungen wirken.

Gerade, als ich schon beinahe resignieren will, hebt sich die Brust unter meinen Händen kräftig und mit einem starken Luft holen kommt der Junge zurück ins Leben.
Vor Erleichterung kommen mir die Tränen und ich atme tief ein, da ich anscheinend für eine quälend lange Zeit mit ihm die Luft angehalten habe.
Er lebt.

Hello Devil, nice to meet you!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt