Kapitel 101

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Während ich noch mit Eligor spreche, nutzt Satan die Chance, uns alle drei zu teleportieren. Verdammt, ich hätte wohl schneller sein müssen. Nach kurzer Zeit habe ich wieder festen Boden unter meinen Füßen und öffne langsam meine Augen, die sich unumgänglich geschlossen haben. Der Blick, der sich mir eröffnet, ist der Wahnsinn.
Wir stehen mitten auf einem Bach des Schlosses. Um genau zu sein, auf einer kleinen Plattform, die sich so hoch oben befindet, dass unter uns alles wie Miniaturen ihrer selbst aussieht. Umrandet wird die Fläche von einem kleinen Geländer, das mir gerade mal bis zu den Knien geht und offensichtlich eher dekorative Funktionen hat, als effektiv vor dem Abgrund zu schützen.
Ich lasse die beiden los und mache einen kleinen Schritt an die Kante, nur um einen schnellen Blick in die Tiefe zu werfen.
Ich beuge mich nur leicht rüber und sofort durchfährt mich ein Kribbeln im Bauch. Bevor ich mich auch nur noch einen Millimeter weiter nach vorn beugen kann, spüre ich, wie sich zwei Hände links und rechts um meine Oberarme legen.
Ich werfe einen Blick über meine Schulter und grinse Satan und Eligor an, die mich beschützend ein Stück zurück ziehen.
„Keine Sorge, ich spring schon nicht runter. Wobei.." Satan verdreht nur spielerisch die Augen, während Eligor leicht schmunzelt.

Der Himmel über uns wird in ein unglaubliches rot getaucht, das einem Sonnenuntergang auf der Erde gleicht. Nur sehe ich weder Wolken, noch die Sonne am Himmel, alles ist einfach feuerrot.
Verwundert frage ich mich, wo das Licht wohl herkommt.
Wenn ich die Gegend so von oben betrachte, fällt mir auf, dass ich eh noch nicht sonderlich viel von der Hölle gesehen habe. Natürlich ausgenommen dieses beeindruckenden Schlosses. Vielleicht sollte ich mich hier mal umschauen. Ist immerhin meine zweite Heimat, oder doch die dritte?
Das Rot des Himmels taucht alles in einen schönen, leuchtenden Ton.
Ich lasse mich gedankenverloren auf den Boden sinken und genieße schweigend die Aussicht. Eligor und Satan bleiben weiterhin stehen, wobei beide konzentriert in die Ferne blicken. „Setzt ihr zwei euch bitte? Das macht mich ganz nervös, wenn ihr so rumsteht."
Eligor blickt zu Satan. Anscheinend wartet er, bis dieser sich setzt, bevor er selbst Platz nimmt. Bestimmt wegen dieser albernen Etikette.
Ich ziehe fragend meine Augenbrauen nach oben und lege meinen Kopf leicht schief, um Satan ins Gesicht zu schauen, der nur missbilligend seine Augenbrauen verzieht.
„Keine Sorge. Ich verrate auch keinem, dass du mit deiner teuren Hose hier draußen den Boden putzt."
Er schnaubt nur grinsend aus, setzt sich aber langsam neben mich.
Sobald er sitzt, nickt er leicht und auch Eligor nimmt Platz.
„Na wunderbar, war doch gar nicht so schwer."
Satan öffnet drei Flaschen und reicht mir eine davon, die ich dankend annehme.
Ich betrachte das Etikett etwas genauer. Was ist das überhaupt? Und vor allem: wie alt ist das Zeug? Das Etikett scheint schon vergilbt zu sein und der Aufschrift nach zu urteilen ist es definitiv nicht mehr das Jüngste.
„Was in aller Welt ist das?", rutscht es mir skeptisch über die Lippen, bevor ich es verhindern kann. Satan, der gerade schon an dem Getränk nippt, schaut mich entgeistert an.
„Kennst da das nicht? Das ist Ginger Beer. Das beste Getränk, das man auf der Erde kaufen kann.", sagt er begeistert.
Ich hebe skeptisch eine Augenbraue und rieche zögernd am Flaschenkopf. Ginger Beer also.
„Keine Sorge, das ich nicht vergiftet oder so.", ergänzt er spitz.
Ich nicke nur extrem langsam und bringe ein leises „Hmm" heraus.
Da jedoch der Inhalt der Flasche gut riecht und ich Ginger Beer mag, trinke ich einen kleinen Schluck.
Nach dem kurzen Geschmackstest nehme ich gleich noch einen weiteren Schluck. Schmeckt wirklich gut. Zwar anders als sonst, aber gut.
„Das habe ich damals, als die Brauerei geöffnet hat, als einer der ersten gekauft. Wann war das noch gleich.. ah, genau 1905. Ich war sofort begeistert und habe mir direkt einen Vorrat für das nächste Jahrhundert zugelegt."
Ich verschlucke mich augenblicklich an meinem Schluck, den ich noch nicht heruntergeschluckt hatte und fange an zu husten.
„Was sagst du da? Wie als ist dieses Zeug?! Ohje, ich glaub, mir wird schlecht."
Eligor trinkt nur grinsend einen weiteren Schluck.
„Warum sollte es denn schlecht sein?", fragt mich Satan irritiert.
„Lebensmittel haben ein Mindesthaltbarkeitsdatum, sagt dir das was?", frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Nein, aber ich werde meine Köchinnen darüber informieren."
Ich schüttle nur verzweifelt den Kopf. Zum Glück ist er unsterblich, sonst wäre er sicherlich bereits an einer Lebensmittelvergiftung gestorben. Bei dem Gedanken daran, auch unsterblich zu sein, muss ich grinsen und nehme entspannt einen weiteren Schluck aus dem über 100 Jahre alten Ginger Beer. Wie sagt man so schön: you only live once.

„Das ist ein wirklich schöner Ort.", sage ich mit meinem Blick auf den mit jeder Minute dunkler werdenden Himmel gerichtet. Wer hätte solch eine Schönheit in der Hölle erwartet? Wobei hier einiges nicht so ist wie erwartet...
„Das denke ich auch.", bestätigt Eligor verträumt.
„Wie ist es eigentlich, in der Hölle aufzuwachen? Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen; was macht man als Dämonenkind?", frage ich interessiert, nachdem ich das rege Treiben auf dem Hof betrachte, wobei mir auch einige Kinder ins Auge fallen, die herumtollen.
Satan wendet seinen Blick zu Boden; anscheinend kein Thema worüber er sprechen will. Nach einiger Zeit schweigen fängt er dennoch zögerlich an zu sprechen.
„Manchmal vergesse ich, dass ich auch mal Kind war und nicht einfach geschaffen wurde wie Luzifer.Liegt wohl daran, dass ich meine Kindheit weitestgehend verdränge."
Hätte ich nur meinen Mund gehalten.
„Mein Vater verlangte absoluten Gehorsam. Wenn ihm was nicht passte, wurde ich bestraft. Das waren Qualen, dagegen ist ein Jahrtausend im Fegefeuer ein Luxusaufenthalt. Dieser verdammte Dreckskerl. Allein der Gedanke an ihn bringt mein Blut zum kochen." Ich wende bestürzt meinem Blick von ihm ab und schlucke schwer.
„Das tut mir leid. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Du musst nichts erzählen, wenn du nicht willst.", sage ich sanft, wobei er nicht den Anschein erweckt, bemitleidet werden zu wollen.
„Keine Sorge, das ist lange her."
„Was ist passiert?"
„Ich hab es gemacht wie es hier bei adeligen Familien üblich ist: sobald der Sohn die Macht übernehmen will, stürzt er den Vater."
Ich blicke erschrocken auf.
„Du hast richtig gehört: in der Hölle gibt niemand seine Macht freiwillig ab. Man muss sie sich erkämpfen, sogar von der eigenen Familie. Doch mein Alter wollte natürlich nicht abtreten ohne eine Show zu bieten. Er meinte, ich wäre noch nicht bereit und ein halbes Kind. Wenn nicht mal der eigene Vater einem etwas zutraut, wie sollen es erst andere Mitglieder des hohen Rates tun? Er hat mich bloßgestellt und riskiert, dass ich nie aufsteigen kann. Wir haben also gekämpft und..", er stockt kurz. „Ich hab ich ihn getötet." Satans stimmt ist so eiskalt und beängstigend, dass es mir kalt den Rücken herunter läuft.
Er lächelt mich entschuldigend an. „Nicht gerade die Kindheitsgeschichte, die du hören wolltest, oder?"
Ich schüttle leicht den Kopf, unfähig, irgendwas zu erwidern. Egal wie idyllisch es hier auf dem Dach scheinen mag, die Hölle verbirgt dunkle Gefahren und das sollte ich nicht unterschätzen.

„Eligor, erzähl du doch was. Deine Kindheit war bestimmt besser als meine.", erwidert Satan, der noch immer starr in die Ferne blickt und einen großen Schluck trinkt.
Eligor fängt an von seinen Geschwistern zu erzählen, seiner strengen Mutter, den Kämpfen mit anderen Jungs in seinem Alter, was sich für mich nach Straßengangs anhört. Auf seinen Lippen liegt ein zufriedenes Lächeln. Nach einiger zeig steigt auch Satan wieder in das Gespräch ein, wobei sein Lachen nicht echt wirkt. Dennoch verbringen wir noch bis in die Nacht gemeinsam Zeit auf dem Dach und die zwei erzählen mir alles möglich von Bräuchen über komische Traditionen und Feste, auf die ich mich schon jetzt freue.
Ab und an werfe ich unauffällig einen Blick zu Satan, da ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn von nun an mit anderen Augen sehen werde. So mächtig wie er zu sein, hat meistens einen hohen Preis. Die Frage ist nur, ob man willig ist, ihn zu zahlen.

Hello Devil, nice to meet you!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt