Kapitel 98

13.6K 694 44
                                    

Luzifer schiebt sich sachte an mir vorbei. Ich traue mich nicht, ihn anzusehen, da meine Wangen glühen und ich sicherlich rot wie eine Tomate bin. Doch auch ohne ihn anzuschauen bin ich mir sicher, dass sein typisches, anzügliches Lächeln seine Lippen ziert. „Ich warte draußen."
Schnell drehe ich mich herum und ziehe meine Schuhe und Jacke an, bevor ich mir noch eine kleine Tasche umhänge. Draußen lehnt Jonathan entspannt am Auto und Luzifer steht wartend in der Einfahrt.
Welch ein Anblick. Der Teufel und mein verschollener Bruder in meinem Vorgarten, sehr amüsant.
Jonathan steigt ein und ich laufe schnell an Luzifer vorbei auf das Auto zu. „Ich sitze vorne.", sage ich hastig und steige auf der Beifahrerseite ein. Luzifer macht es sich auf der Rückbank bequem, was mich grinsen lässt. Ob er jemals Auto gefahren ist? Jonathan fährt los und es entsteht eine unangenehme Stille. Ein leichter Blick über die Schulter zeigt, dass Luzifer schweigend auf der Rückbank sitzt und aus dem Fenster starrt. Ich kann mir schlichtweg das Grinsen nicht verkneifen. Selten habe ich Luzifer etwas so menschliches machen sehen. Nach einer Weile kommen wir vor dem kleinen Italiener an, den Jonathan und ich uns ausgesucht haben. Luzifer verlässt das Auto schneller, als ich mich auch nur abschnallen kann. „Sorry, dass ich dich nicht vorgewarnt habe. Hätte ich ihn besser zuhause lassen sollen? Ich dachte, es ist eine gute Möglichkeit, dass ihr euch besser kennenlernt." Jonathan drückt mir kurz aufmunternd die Hand. „Keine Sorge, irgendwann wird das Eis zwischen uns schon noch brechen und wenn wir uns nie sehen, kann ich wohl kaum seine Meinung über mich ändern." Ich nicke lächelnd. Hoffentlich behält er da recht. „Ich hab heute einen riesen Hunger, lass uns rein gehen.", sagt Jonathan und hält sich eine Hand vor den Bauch. „Ja, gehen wir.", erwidere ich. Wir steigen aus dem Auto aus und ich schaue mich nach Luzifer um, der auf dem Gehsteig steht.
Irgendwie ist er blasser als sonst. „Geht's dir gut?", frage ich besorgt. Er nickt nur kurz. „Du siehst irgendwie krank aus?" Er wuschelt sich durchs Haar, bevor er leise vor sich hin nuschelt: „Diese blöden Autos." Ich kann meinen Ohren nicht trauen. „Ist dir schlecht von der Autofahrt?" Doch er ignoriert meine Frage und wendet sich einfach ab. Dem Teufel, Luzifer höchstpersönlich, ist beim Autofahren schlecht geworden. Leise lache ich vor mich hin. Unglaublich. Und das soll die sagenumwogende Ausgeburt des Bösen sein? „Alice... hör auf zu lachen, oder.." Jetzt erst recht kann mich nichts mehr halten. Ich lache so laut und herzhaft wie seit langem nicht mehr. „Oder was? Warum klären wir das nicht bei einer Autofahrt um den Block?", bringe ich atemlos hervor. „Ich bin davor eben kein Auto gefahren. Wer braucht denn sowas, wenn man sich teleportieren kann?", erwidert er trotzig. Ich lache immer noch und klopfe ihm tröstend auf die Schulter. „Du brauchst dich nicht rechtfertigen. Keiner ist perfekt. Aber keine Sorge: ich verrate dein kleines Geheimnis keinem." Mittlerweile stehen mir Tränen in den Augen und sein vorwurfsvoller Blick macht es nicht leichter, sich zusammenzureißen.
Jonathan kommt gerade auf uns zu und schaut mich verwirrt an. Ich winke nur ab und wische mir - noch immer grinsend - die Tränen aus dem Gesicht.

Drinnen angekommen nehmen wir Platz an einem runden Tisch in der hintersten Ecke des Restaurants.
„Willkommen, die Dame und die Herren. Hier ist Ihre Karte." Dankend nehme ich sie entgehend und fange an, darin herumzustöbern.
Nachdem wir bestellt haben, sitzen wir erneut schweigend da, doch niemand anderes als Luzifer unterbricht die Stille. „So, Jonathan, erzähl doch mal. Wo kommst du her?" Ohje, das Verhör kann beginnen. Warnend stoße ich Luzifers Bein mit meinem Knie an. Der jedoch legt nur, ohne zu zucken, seine große Hand auf meinen Oberschenkel. Sofort ziehe ich mein Bein zurück, seine Hand bleibt jedoch liegen; trotz meiner vergeblichen Versuche, sie zu bewegen. Meinen Körper durchfließt ein wohliges Kribbeln und die Stelle, an der seine Hand mein Bein berührt, wird angenehm warm. „Weisst du das nicht eh bereits alles? Dass du mich hast überprüfen lassen, steht wohl außer Frage, oder ist dem nicht so?", antwortet Jonathan mit einem ernsten Gesichtsausdruck. Luzifer überrascht seine Antwort nicht und er bleibt zumindest äußerlich gelassen. „Gut dann gehen wir doch zu den wichtigen Fragen über. Wie kommt es, dass du nirgends Akten hast? Keine Schulakten, Krankenversicherung, nicht mal einen Führerschein?" Ich blicke nur stumm von dem Einen zum Anderen, ohne auch nur zu blinzeln, da ich befürchte, die zwei gehen sich schneller an die Gurgel, als ich reagieren kann.
„Mein Vater hat mich zuhause unterrichtet, er hält nichts von dem Schulsystem. Wie sagt er immer so schön? Das ist reine Zeitverschwendung. Eine Krankenversicherung habe ich nicht. Ich mag zwar keine übernatürlichen Kräfte haben, aber dennoch heile ich schneller als Menschen. Sag du es mir, Luzifer, wie würden die Menschen reagieren, wenn die Wunde schon verheilt wäre, bevor die OP überhaupt begonnen hat?" Luzifer und Jonathan starren sich weiter intensiv an. „Okay, bezüglich des Führerscheins muss ich gestehen. Den hab ich nie gemacht, aber das ist auch das einzige, was ich mir zu Schulden hab kommen lassen.", ergänzt Jonathan. Entsetzt starre ich ihn an. Wie, er hat keinen Führerschein? Ab jetzt fahre ich keinen Meter mehr mit ihm! Bei dem Anblick meines Ausdruckes muss er leicht grinsen. „Keine Sorge, ich kann fahren.", sagt er schmunzelnd. „Offensichtlich nicht in den Augen des Staates!", erwidere ich schnippisch.
Doch bevor Jonathan etwas entgegnen kann, ergreift Luzifer das Wort. „Warum tauchst du erst jetzt auf? Wieso all die Jahre warten, wenn du doch angeblich von Alice wusstest?", unterbricht uns Luzifer. „Du wusstest doch auch von ihr und hast sie nicht früher gefunden, oder täusche ich mich?" Gut gekontert, Brüderchen. Stolz lächle ich Jonathan zu. Er schlägt sich verdammt gut dafür, dass er gerade vom Teufel ins Kreuzverhör genommen wird.
„Luzifer, ich denke, das waren genug Fragen für heute.", wende ich ein. Doch anstatt dass er mir antwortet, drückt seine Hand, die noch immer auf meinem Oberschenkel liegt, kurz zu und rutscht dann ein bedrohliches Stück nach oben. Ich muss mir einen Aufschrei verkneifen und umfasse seine Hand sofort fester, damit er nicht erneut Anstalten macht, sie noch weiter zu bewegen.
„Dass ich dir nicht vertraue, steht außer Frage. Hier also eine Warnung: Wenn du Alice auch nur ein Haar krümmst oder sie hintergehst, dann bin ich das Letzte, was du siehst." Ich zische leise aus. Na super, jetzt sind wir schon zu den Drohungen übergegangen. „Das selbe könnte ich dir sagen, Luzifer, immerhin bist du es doch, der sie überhaupt erst in diesen Krieg mit reinzieht.", sagt Jonathan, wobei aufkochende Wut in seiner Stimme mitschwingt. Stille legt sich für einige Momente über den Tisch.
„Ihre Bestellung." Erschrocken blicke ich mich zu der Kellnerin hinter mir um. Dankend nimmt jeder sein Gericht entgegen. Auch Luzifer, der damit endlich, oder doch eher leider, seine Hand von meinem Bein nimmt. Die Stelle wird auf einmal unsagbar kalt und am liebsten hätte ich nach seiner Hand gegriffen und sie wieder auf mein Bein gelegt.

Hello Devil, nice to meet you!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt