Wie viel von meinem Vater trage ich in mir? Bestimmt mein Erbgut, wer ich bin?
Gedankenverloren ließ ich meine Gedanken zurück zu der Unterkunft wandern, in welcher ich heute genächtigt hatte. Ich hatte mir zuvor nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, weil es zu dunkel war und das Licht nicht zu funktionieren schien. Ich fragte mich, ob sie hier wohl jemals verlässlichen Strom hatten. Ich hatte mich irgendwann auf einer harten, unbequemen und schmalen Pritsche aus Holz wiedergefunden, mit einem Stück Stoff als Bettdecke und einem viel zu dünnen Kissen. Das Zimmer war eng gewesen und ich hatte mir den Platz mit drei anderen Jungen teilen müssen, welche alle allerdings tief und fest schliefen und auch noch nicht wieder wach waren, als ich aufbrach.
Lebten alle Menschen dieser Stadt in so einer großen Armut? Zuhause hatte ich mehrere Zimmer, alle für mich alleine- eines davon alleine zum Schlafen. Ich vermisste den Luxus weniger als ich erwartet hatte, aber es schockierte mich zu sehen, dass die Menschen hier so arm lebten. Natürlich wusste ich, dass nicht jeder so reich sein konnte wie meine Familie, aber dass so ein großer Unterschied zwischen unseren Welten herrschen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
Wie sah es hier mit Krankheiten aus? Gab es überhaupt Ärzte? Die Hygiene schien hier in der Stadt auch nicht gerade die Beste zu sein. Zum Glück hatte ich mehr als genug Impfungen erhalten, weswegen ich mir um meinen Arm keine Sorgen zu machen brauchte. Er würde sich trotz des Schmutzes hier nicht so leicht entzünden und dank der schnellen Regenerationsgabe, welche wir dank einer Veränderung unserer Zellen besaßen, auch keine Narbe hinterlassen- in ein, zwei Wochen durfte die Wunde schon wieder komplett verheilt sein.
In diesem Moment fiel mir auf, dass das vielleicht aber auch ein Problem darstellen konnte. Es würde auffallen, genauso wie mein Auge. Dieses hatte mich gestern schon in Bedrängnis gebracht und ich würde darauf achten müssen, dass mir nicht nochmals jemand so nahe kam. Vor allem keiner der Rebellen. Meine Kampffähigkeiten reichten vielleicht für ein paar von ihnen, aber bestimmt nicht gegen alle. Ich hatte das Gebäude gesehen, in welchem die Unterkünfte der Rebellen lagen. Dort mussten zahlreiche Betten sein und bestimmt wohnte auch nicht jeder dort.
Gab es hier wirklich so viele unzufriedene Menschen? War das nicht die einzige Stadt, welche in diesem Zustand war? Warum hatte mir mein Vater das immer verschwiegen? Ich dachte immer das Leben draußen wäre schön, bunt und lebendig. Ich hatte stets alle Menschen, die in dieser Stadt lebten, beneidet, aber vermutlich war es eher anders herum. Sie beneideten mein Leben. Aber so düster diese Welt auch zu sein schien- die Menschen waren immerhin frei. Sie konnten selbst entscheiden, wohin sie gehen wollten.
Ich schüttelte meine Gedanken ab- vielleicht würde mir Azad ein paar meiner offenen Fragen beantworten können. Hier zu sitzen und zu rätseln, brachte mich auch nicht weiter. Ich ließ meinen Blick erneut über den Marktplatz wandern und erkannte wenig später tatsächlich den Rebellen, welcher auf mich zuhielt. Als er bei mir ankam, wanderte sein Blick zu meiner Wunde und ich bemerkte, wie er sich anspannte.
Einen Moment überlegte ich zu lügen- um besser da zu stehen-, damit hatte ich bisher auch kein Problem gehat, aber zu viele Lügen konnten böse für mich enden. Irgendwann würde ich dadurch auffliegen.
"Ich hatte mich auf die Suche nach den Unterkünften gemacht und musste mich dabei viel herumfragen. Irgendwann meinte ein Mann, er könnte mir den Weg zeigen und so folgte ich ihm- wenn auch misstrauisch. Ich war einen Moment zu lange unaufmerksam, denn ehe ich mich versah, hatte ich auch schon ein Messer an meiner Kehle."
Ich fasste unbewusst an meinen Hals, wo man immer noch einen dünnen Kratzer von dem Messer sehen konnte.
"Nun, er wollte mein Geld, aber da ich ihm zu wenig dabei hatte, wollte er mich umbringen und meine Organe verkaufen. Ich war in einer etwas ungünstigen Position, aber dein Name hatte tatsächlich was bewirkt...", meinte ich und ein schiefes Grinsen huschte über mein Gesicht.
"Als ich meinte, dass du da stehen würdest, drehte er sich um- nun, den Moment nutzte ich um den Spieß umzudrehen, aber dabei erwischte er mich mit dem Messer am Arm. Ende der Geschichte: Er ist tot, ich lebe...", fasste ich zusammen und warf einen Blick auf meinen Arm, wobei es mir schwer viel meine Faszination zu unterdrücken und nicht auf meinem Gesicht zu zeigen.
Der T-Shirt Stoff war komplett blutdurchtränkt und ich fragte mich, wie wohl die Wunde darunter aussehen würde. Vermutlich besser, als sie eigentlich sollte. Ich fragte mich, warum mir der Tod des Mannes eigentlich so wenig ausmachte, aber er tat es. Ich hatte es nicht gewollt, aber als er sich selbst in mein Messer gestürzt hatte, hatte er mir gar keine andere Wahl gelassen. In dem Moment, als es passierte, war es mir vermutlich einfach zu viel gewesen, um wirklich darüber nachzudenken und nun... es spielte einfach keine Rolle mehr. Ein Schauder lief mir über den Rücken.
Hatte ich etwas von der Kaltblütigkeit meines Vaters geerbt?
"Irgendwann fand ich dann tatsächlich den Weg zur Unterkunft, legte mich schlafen und nun bin ich hier. Können wir dann endlich los? Du bist zu spät...", fuhr ich fort.
Ich war mittlerweile aufgestanden und blickte Azad abwartend an.
"Ach ja, und danke für deinen Namen. Vielleicht hat er tatsächlich mein Leben gerettet!", fügte ich hinzu und lächelte den Rebellen einen Moment an.
Ich wusste immer noch nicht wirklich, was ich von ihm halten sollte und wie ich ihn einschätzen sollte. Er war so viel komplizierter, als alle Menschen, denen ich jemals begegnet war. Ich fragte mich, wie sein Leben hier wohl aussah. Als Rebell.
"Woher kommt eigentlich dein Spitzname? Also Löwe?", fragte ich dann neugierig hinterher.
Vermutlich sollte mir Azad mehr Angst bereiten- mit seinen Narben, seinem fehlenden Auge und seiner Art, aber aus irgendeinem Grund tat er es nicht. Seine ehrliche, direkte Art faszinierte mich- so einem Menschen war ich noch nie begegnet. Ich wollte mehr über ihn erfahren, so wie ich mehr über diese Stadt und die Rebellen erfahren wollte.
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Lynx&Lion - The Rebellion
Teen FictionBand 1 der Lynx&Lion- Reihe ________________________ Eigentlich ist die Welt der Wissenschaft schon sehr fortgeschritten, doch davon bekommen nur die Wenigsten etwas mit. Die Reichen werden immer reicher und leben ein Leben im Luxus- ohne je Hunger...