40_Azad

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Soviel wollte ich ihm sagen.

Ich wollte ihm sagen, dass er es nicht machen sollte. Es war mehr als nur ein Risiko sich mit Victor einzulassen.

Ich wollte ihm sagen, dass ich ihn nicht loswerden wollte. Sein Mentor zu sein war meine freie Entscheidung gewesen und ich wusste, dass es nichts für mich sein würde. Dennoch hatte ich mich freiwillig dazu entschieden ihn zu unterrichten.

Ich wollte ihm sagen, dass Gefallen bei Victor mehr als nur einfache Gefallen waren. Damals hatte ich jemanden umbringen müssen. Es war mein erster von vielen Morden, aber der einzige, der nicht im Namen der Rebellion stattgefunden hatte. Es war jemand gewesen der mir was bedeutet hatte und hätte ich ihn damals nicht getötet, hätte Victor meine Schwestern getötet. Ich sollte ihn aus drei Gründen töten. Erstens sollte ich lernen ein Leben zu nehmen, zweitens hatte er mich damals zu sehr abgelenkt und drittens war er, wie ich später erfuhr, jemand der Victor etwas geklaut hatte. Die letzte Person, die ich ohne schlechtes Gewissen Freund nennen konnte, ist wegen Victor durch meine Hand gestorben.

Ich wollte ihm sagen, dass er Victor unterschätzte. Er zeigte nicht immer so deutlich, wie hinterhältig er war und wann er gerade mit jemanden spielte.

Ich wollte ihm sagen, dass ich sicherlich eine Möglichkeit finden würde mit dem Anführer zu sprechen. Schließlich war ich noch immer ein Unteroffizier. Es sollte mir doch gestattet werden, mit ihm zu sprechen.

Tatsächlich hatte ich mich irgendwie gefreut, als er tatsächlich etwas gutes über mich heraus gebracht hat, als er mit Sirin geredet hatte. Es hatte mich für einen Moment lang denken lassen, dass er mir zumindest genug vergeben hatte um auf mich zu hören, was Victor anging. Doch ich hatte mich getäuscht.

Ich stand einfach nur da, als er verkündet hatte, Victors Angebot anzunehmen. Ich konnte mich nicht bewegen. Es erinnerte mich an mich selbst vor so vielen Jahren. Auch ich hatte von Victor gehört und davon mich nicht mit ihm ein zu lassen. Auch ich hatte gedacht, dass er mich nicht überlisten würde. Auch ich hatte ein Wunsch gehabt, den Victor mir erfüllt hatte.

Kein Wunsch ist es jemals wert einen Deal mit Victor zu schließen. Schon gar keine zwei.

Nicht ich war es also, der Mic daran hinderte, uns drei alleine zu lassen um zu Victor zu gehen. Es war Sirin. Sie mischte sich nie in die Geschäfte der Rebellion ein, aber das hieß nicht, dass sie mir nicht helfen würde. Auch Helin hatte sich unbemerkt vor die Eingangstür gestellt.

Ich stand einfach da und mein Kopf begann zu schmerzen.

"Jetzt hör mir mal zu, Mic! Du kennst Victor nicht." Sirins normalerweise so kindlich verspielte Stimme war ernst. "Du hast doch keine Ahnung, was er für ein Mensch ist. Du hast doch keine Ahnug, was er uns angetan hat." Ihr Stimmer wurde langsam brüchig. Sie war gerade mal fünf gewesen, als er sie beide entführt hatte um ihnen das Leben zu nehmen, wenn ich ihm nicht gehorchen würden. Sie hasste ihn seit damals noch immer und verstand es nicht, wie ich ihm verzeihen konnte. Ich hatte ihn danach gehasst, und mittlerweile verstand ich zumindest zwei der drei Punkte, warum ich es machen sollte. Er hat mir nur etwas beigebracht, aber in meine Schwestern hat er etwas zerstört.

Sirin ließ Mic daraufhin los und nahm das unberührte Glas Wasser. Sie nahm einen Schluck, den sie offensichtlich genoss. Den Rest jedoch schmiss sie regelrecht in Mics Gesicht, wenn auch sie dank ihrer Größe nur seinen Oberkörper traf.
"Er wird dir nicht helfen. Er wird dich benutzen, mit dir spielen und wenn er dich nicht mehr will, wird er dich zerstören. Du hast gesagt, dass du Azads Freund sein möchtest und - ganz unter uns - Azad der einzige, der nicht kapiert, dass er einen richtigen Freund braucht." Ihre Stimme wurde langsam etwas lauter und auch wieder fester. "Dann tu dir doch bitte selbst einen Gefallen und bleib bei diesem Idioten." Sie zeigte auf mich, auch wenn es auch sonst schon klar genug gewesen ist, wen sie gemeint hatte.

Kaum hatte Sirin das gesagt, blickte sie noch ein letztes mal zwischen Mic und mir hin und her. Danach verließ sie die Wohnung durch die Tür, welche Helin ihr aufgehalten hatte.
Diese hatte bisher die ganze Zeit, wie ich selbst, geschwiegen und das ganze beobachtet. Auch ihr Blick schweifte kurz zwischen uns hin und her.

Warum musste alles auf ein mal passieren?

"Ich habe zwar keine Ahnung was zwischen euch passiert ist, aber ich will es auch nicht wissen." Ihr kühler Blick blieb auf Mic liegen, der noch immer nass von dem Wasser war, dass Sirin ihn auf die Brust geschmissen hatte. Man konnte ihr ansehen, dass sie von der Wasserverschwendung nicht gerade begeistert war, wenn auch es momentan wichtigeres gab.

"Du solltest wirklich gut darüber nachdenken, was es dir wert ist, deinen Wunsch erfüllen zu lassen. Sirin und Azad haben fast recht. Kaum ein Wunsch ist es je Wert einen Deal mit Victor einzugehen. Wenn du aber bereit bist dein Leben und das Leben derer, die dir auch nur ansatzweise nahe stehen - was in diesem Fall wohl uns mit einschließt - in Gefahr zu bringen, dann kannst du drüber nachdenken. Nicht nur Azad hat sich auf einen Deal mit Victor eigelassen und jeder musste dafür bezahlen. Nicht gerade wenige mussten mit einem, wenn auch nicht unbedingt ihrem, Leben bezahlen, Azad eingeschlossen."

Sie machte ein paar Schritte auf Mic zu, bis sie schlussendlich vor ihm stand.
"Und verdammt noch mal, es hilft rein gar niemanden, wenn ihr beide", sie blickte mich daraufhin kurz an," euch nicht langsam mal verträgt. Ihr seid doch keine Kleinkinder mehr! Redet doch verdammt noch mal miteinander! Ich will dir ", sie zeigte vorwurfsvoll mit ihren Zeigefinger auf Mic, ohne ihn zu berühren," zwar nicht sagen, was du tun sollst, aber denk doch bitte noch mal ganz genau darüber nach, ob es dir wert ist und rede doch bitte mit meinem Bruder. Er ist nun mal manchmal ein ziemlicher Idiot, aber das ist doch jeder mal."
Daraufhin verließ auch sie die Wohnung, offensichtlich wütent auf uns beide.

Langsam befreite ich mich aus meiner kleinen Starre und blickte Mic an. Ich war nie gut darin gewesen Leute zu beruhigen oder gar mit welchen zu reden. Die meisten hörten einfach auf mich, wenn ich was von ihnen wollte, egal wie wütent sie auf mich waren. Ansonsten hielt ich mich eigentlich immer aus etwas raus wenn jemand irgendwie emotional wurde und ich mich nun mal raushalten konnte.
"Tut mir leid", sagte ich ehe ich es verhindern konnte. Ich musste verdammt schwach klingen. Erbärmlich. Dennoch hatte ich mich vermutlich schon seit Jahren nicht mehr so ernsthaft für etwas entschuldigt, selbst wenn ich mich eigentlich nicht hätte entschuldigen wollen. Der Alkohol hatte wohl vermutlich trotz allen noch immer etwas Einfluss auf mich. Sonst hätte ich mich nie selbststänig für etwas entschuldigt. Victor würde mich auslachen. Er war es schließlich der mir beigebracht hat, dass eine Entschuldigung das letzte war, dass überhaupt irgendwo helfen konnte.

Gott, ich brauchte einen weiteren Drink. Die ganze Situation gerade war einfach zu viel für mich.

Anstatt aber wie gehofft wieder gewohnt ernst und normal zu werden, setzte sich ein Teil von mir durch, den mittlerweile nur die verherende Mischung von Alkohol und Schuldgefühlen hervor bringen konnte.
"Du hättest Victor nie kennen lernen sollen. Ich hätte nicht mit dir Sreiten sollen. Verdammt! Ich muss ein scheiß Mentor sein. Ich kann dir noch nicht mal bei der einen Sachen helfen, bei der du Hilfe brauchst..."
Ich stoppte für vermutlich nicht mal eine Sekunde.
"Scheiße! Es ist meine Schuld, wenn du... wenn du... wie ich endest." Beim letzten Satz war meine Stimme kaum noch ein Flüstern gewesen.

Ich würde vermutlich über mich selbst lachen, wenn ich mein noch immer ziemlich betrunkenes und von der Situation überfordertes Ich sehen könnte. Was zum Teufel war nur mit mir los?

Ich trank das ganze restliche Wasser in meinen Glas in einen großen Schluck ehe ich mich auf den Boden fallen ließ.
"Geh doch, wenn du wirklich sein Schüler sein willst! Ist mir doch egal, ob du dich selbst zerstörst!" Eine - vermutlich nicht nur halb - geschriehene Lüge. Ich griff mir an den Kopf. Er brummte und schmerzte.

"Ich hatte wohl etwas zu viel. Tut mir Leid. Ich bin nicht schwach."

Vorsichtig lehnte ich mich an die Wand hinter mir.

"Geh! Ich bin nicht..." schwach! Das letzte Wort sprach ich gar nicht erst aus. Es war einfach zu viel.
Mic. Der Streit. Victor. Mein Versagen. Mein Versagen. Mein Versagen.

Ich bin nicht schwach! Ich bin stark! Ich habe mir Respekt verdient. Ich bin nicht schwach! Ich versage nicht!
Doch. Anscheinend tu ich das. Momentan bin ich schwach. Ich darf nicht schwach sein. Nein.

"Bitte, geh nicht zu Victor..."

Ein Löwe sollte nicht bitten müssen.

Lynx&Lion - The RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt