32_Azad

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Das eine recht einfache Frage einen solchen Schwall an Emotionen bei ihm auslösen würde, hatte ich mehr als nur nicht erwartet. Auf offener Straße schrie er mich an wie ein beleidigtes Kind und bescherte sich über Sachen, die zwar vermutlich schlimm für ihn, waren, aber ich gleichzeitig mit meinen Erfahrungen vergleichen musste. Es erinnerte mich an Narben, die ich bis dahin schon vollkommen vergessen hatte. Richtige physische Narben und psychische. Auch an meine Mutter und meinen unbekannten Drekskerl von Vater, musste ich während seinem Monolog denken. Ich wusste wirklich nicht, was es war, aber irgendwas wollte ihm unbedingt von meinen Erfahrungen zu erzählen.

"Bleib sofort stehen, Idiot!" Es kam wirklich nicht of vor, dass ich meine Stimme erhob. Anstatt, dass er mir jedoch wirklich gehorchte, griff ich seinen Arm. Ich griff so stark zu, dass meine Knöchel weiß wurden. Ich beugte mich etwas um direkt in sein Ohr zu reden. Meine nun leisere Stimme war gefährlich kalt und schon eher ein Hauchen. "Du hast wirklich Probleme, oder? Was denkst du wie ich in meine Position gekommen bin? Nicht mit Händchen halten und Lieder singen. In der Rebellion findet man keine Freunde. Kameraden, ja, aber keine Freunde. Wenn du hier hin gekommen bist um verdammte Freunde zu finden, solltest du schnell in das Loch zurück krichen aus dem du gekrochen bist. Weißt du was passiert, wenn Kinder hier blindlinks versuchen Freunde zu finden? Glaub mir wenn ich sage, dass meine ersten Mecherstiche von vermeindlichen Freunden stammen, die mich nur ausgenutzt haben, also beschwer du dich nicht, dass die einzige Freundschaft, wie du es nennst von, mit irgendeinem verdammten Straßenköter war und sei lieber froh sicher auf einer Farm mit einer zumindest ansatzweise funktionierenden Familie aufgewachsen zu sein. Damit bist du vermutlich einer von sehr wenigen in unserem verdammten Teil dieser Stadt. Fang an zu erkennen, dass man wirklich niemanden trauen sollte- erst recht nicht welchen, die sich Freunde nennen. Ich kann dich schließlich nicht immer berschützen."

Apropt ließ ich ihn los und stamfte, noch immer verärgert und gleichzeitig irendwie verwirrt von meiner eigenen, ungewohnt heftigen Reaktion, wenige Schritte in die Richtung in die ich musste.
Ich atmete einmal tief ein und aus um mich etwas zu beruhigen, ehe ich mich wieder zu Mic umdrehte.

"Und ja, ich mag eigentlich keine Begleitung von Leuten die ich weder besonders gut kenne noch komplett vertrauen kann. Man könnte sogar sagen ich würde es hassen oder gar verabscheuen. Mir ist jedoch dennoch immer noch verdammt egal, was du jetzt machst. Ob du mit mir kommst oder in die Bücherei gehst, ist mir egal. Meinetwegen könntest du auch ins nächste Bordell verschwinden und dich mit dem billigsten Mädchen dort erfreuen. Mach was du willst, aber ich bin nicht derjenige, der zu dir kommst. Komm zu meiner Wohnung, wenn du fertig mit Selbstmitleid, und was auch immer du sonst machen möchtest, bist oder komm direkt mit mir."

Es war dank einem winzigen Teil von mir zwar eine Lüge, dass es mir egal war, aber das bezog sich vermutlich nur auf hier und jetzt. Normalerweise war es mir ja wirklich komplett egal.

Tatsächlich hatte ich wirklich keinen Hauch einer Ahnung was mit uns beiden gerade los war. Könnte zwar sein, dass er aus irgendeinem Grund Wut angesammelt und einfach irgendwann raus lassen musste, aber warum ich so überreagiert hatte, wusste ich selbst nicht. Wenn auch ich zugeben muss, dass ich als Kind öfters so reagiert hatte, soweit ich mich erinnern konnte. Nachdem ich der Rebellion beigetreten war, war es kaum noch vorgekommen. Damals musste ich aufwachsen um den nötigen Respekt zu bekommen und kindisches Verhalten wie das hier, war dafür nicht gerade hilfreich.

Nachdem ich mich dann wieder umgedreht und mich auf den Weg gemacht hatte, achtete ich noch weniger darauf ob mir Mic nun folgte oder nicht, als zuvor, auch wenn ich zugeben muss, zumindest etwas neugierig zu sein. Dennoch war ich zu stur um meine Neugier wirklich zu stillen.
Neugier und Sturheit. Zwei weiter Attribute, die ich doch eigentlich schon seit Jahren, insgesamt sogar erfolgreich, versucht habe los zu werden und dennoch, musste ich mich mit beiden gleichzeitig beschäftigen.
Was zum Teufel war los?
Schließlich kam auch noch dazu, dass ich überreagierte und irgendwie nicht komplett gegen seine Anwesenheit war.
Ich konnte wirklich etwas Entspannung gebrauchen. Ein warmes oder kaltes Bad - was davon war mir ziemlich schnuppe - brauchte ich momentan vermutlich genau so sehr wie ich einen stärkeren Drink wollte. Wer weiß, vielleicht hatten die ja sogar ne Bar im öffentlichen Badehaus, auch wenn ich es wirklich stark bezweifelte. Schließlich hatte ich dort nie eine gesehen.

Als ich nach wenigen Minuten schon wieder ruhig genug war um einfach gerade aus zu stampfen, begann ich die Umgebung zu beobachten, wie ich es eigentlich immer tat. Natürlich tat ich das ohne gleichzeitig darauf zu achten ob Mic mir folgte. Jedenfalls war die Straße recht gut gefüllt mit allen Arten von Leuten. Sie alle schienen, auf ihre eigene Art, den Tag zu genießen. Es schien friedlich und, wenn man es so nennen wollte, sogar wirklich nett. Es erinnerte mich daran wie er einmal gemeint hat, es wäre hier früher besser gewesen. Jedoch war es an schönen Tagen wie diesen kein Wunder, dass ein Kind, dass nichts über die Probleme dieser Welt wissen wollte, annahm, hier wäre ein guter Ort zum Leben. Momentan und in diesem kleinen Teil der Stadt, war es sogar tatsächlich ganz angenehm. Dennoch sollte man sich niemals von diesem Schein trügen lassen. Wie viele von den freundlich wirkenden Leuten hatten in ihrem Leben etwas verbrochen? Wie viele haben je anderen das Leben genommen? Wie viele haben wiederrum Dutzende Familienmitglieder oder Bekannte, ja sogar Freunde, durch irgendein Verbrechen verloren? Auf zumindest zwei der Fragen dürfte man vermutlich mit 'alle' antworten müssen.
Ich hasste diese Stadt dafür und das einzige, dass ich noch mehr hasste war die verdammte Elite, die nichts dagegen tat. Das war vermutlich auch der Grund weshalb ich vor so vielen Jahren der Rebellion beitrat. An den wirklichen Grund kann ich mich nämlich nicht mehr wirklich erinnern.

Lynx&Lion - The RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt