69_Lucien

43 6 0
                                    


Es waren mittlerweile vermutlich zu viele Puzzleteile geworden. Azad konnte sich zusammenreimen, wer ich wirklich war- zumindest, dass ich nicht von einem Bauernhof kam- das war mir bewusst.

Vielleicht hätte ich es ihm auch direkt sagen sollen, aber dazu hatte mir der Mut gefehlt. Es hatte mich schon ziemlich viel Überwindung gekostet überhaupt zu verraten, wie mein wirklicher Name lautete.

Ich konnte Azads Reaktion nicht abschätzen. Bestimmt würde er mindestens enttäuscht sein, wenn er danach überhaupt jemals wieder etwas mit mir zu tun haben wollte. Während ich so vor ihm kniete, spürte ich, dass Azads Blick auf mir lag, aber weder er noch ich rührten uns.

Er hatte vermutlich gerade einiges zu verarbeiten und einzuordnen. Vielleicht ging er gerade all unsere Gespräche durch, in welchen ich von mir erzählt hatte um herauszufinden, ob ich auch wo anders gelogen hatte. Hatte ich nicht. Meine schlimmste Lüge war die gewesen, dass ich ihn niemals anlügen würde, denn genau das hatte ich im Bezug auf meinen Namen und meine Herkunft getan.

Hätte ich Azad von Anfang an verraten, wer ich war, wäre ich vermutlich augenblicklich tot gewesen, noch jetzt konnte ich mir nicht völlig sicher sein, ob er mich nicht ausliefern würde. Er liebte mich, aber war diese Liebe wirklich stärker als seine Abneigung und sein Hass auf die Elite- wenn er es denn herausgefunden hatte?

Was würde für ihn überwiegen?

Sein Pflichtgefühl?

Sein Hass?

Seine Wut?

Seine Enttäuschung?

Seine Liebe?

Ich wusste es nicht.

Ich wünschte ich hätte Aazd niemals anlügen müssen- ich wäre wirklich einfach ein Junge vom Bauernhof gewesen, denn ich wollte Azad niemals so verletzen, wie ich es gerade bestimmt getan hatte.

Ich hörte wie Azad aufstand, richtete meinen Blick aber nicht auf, sondern blickte immer noch auf den Boden. Mein Kopf flog mit einem Mal auf die Seite und meine Wange begann augenblicklich wie Feuer zu brennen.

Azad hatte mir eine Ohrfeige verpasst und die hatte ich auch verdient. Aber eine noch schlimmere Ohrfeige war es, als Azad seine Hand an mein Kinn legte und mich zwang ihn anzublicken.

Sein Auge blickte mir kühl entgegen und ich glaubte darin Wut aufglimmen zu sehen. Bei seinen Worten zuckte ich zusammen. Er wusste also wirklich, dass ich Teil der Elite war. Er hatte es sich zusammenreimen können. Die Art wie er meinen Namen aussprach, so hatte ich mir das erste Mal nicht vorgestellt, aber vermutlich wäre es immer dazu gekommen- egal wann ich es ihm verraten hätte. Und um ehrlich zu sein war ich einfach froh, dass ich Azad nicht mehr länger anlügen musste, denn viel länger hätte ich das einfach nicht gekonnt. Egal wie Azad mich nun weiterhin behandeln würde und ob er mich ausliefern würde, was wohl sein gutes Recht war. Ich erwiderte seinen Blick voller Schmerz, weil ich ihn hatte anlügen müssen.

Es überraschte mich, als eine Hand von meinem Kinn zu meiner Wange wanderte und sein Gesichtsausdruck sich etwas milderte und sanfter wurde.

Ich musste gegen den Reflex ankämpfen meine Wange an seine Hand zu schmiegen- das war der falsche Augenblick für so etwas. Ich wusste immerhin immer noch nicht, was Azad weiter machen würde und was genau sich zwischen uns gewandelt hatte.

Seine Worte, so kalt sie am Anfang auch ausgesprochen waren, berührten mich bis in mein tiefestes Innere und ich hatte erneut mit meinen Tränen zu kämpfen.

Lynx&Lion - The RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt