70_Azad

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Ich hörte ihm einfach nur zu. Während er erzählte wollte ich mich nicht damit ablenken indem ich über seine Geschichte nachdachte. Ich wollte seine Geschichte wirklich verstehen und hatte vor zu versuchen ihn nicht zu hassen. Jedoch musss ich gestehen, dass ich an keinem Punkt in seiner Geschichte wirklich dieses bittere Brennen vom Hass gefühlt habe. Natürlich war ich durchaus etwas schockiert, als er meinte bald vermutlich der einflussreichste Mann dieses Landes zu sein. Als wäre er ein Prinz und sein Vater, welchen ich schon zuvor hasste, aber nun dennoch begann ihn um einiges stärker zu verabscheuen, der strenge und grausame König. Ich, ein Rebell, hatte mich in denjenigen verliebt, der wohl das nächste zu einem Prinz war, was unser Land hatte. Fast hätte ich schmunzeln müssen, aber ich tat es natürlich nicht.

Zum ersten Mal war ich irgendwie auch noch froh, meinen Vater nie gekannt zu haben und hier aufgewachsen zu sein, denn vermutlich hätte ich, mit diesem Wissen, nie mit ihm tauschen wollen.

Die ganze Zeit hatte ich hinter ihm gestanden, ohne zu wissen warum. Hatte mein Körper irgendwie damit gerechnet, dass ich ihn doch von der Klippe stoßen? War aber jetzt auch egal.

Kaum hatte er geendet, setzte ich mich neben ihn. Ich wollte ihn umarmen, ihn küssen oder einfach nur berühren, tat es aber nicht. Mir war es egal, dass wir beide es vermutlich wollten. Erst wollte ich mir etwas Zeit geben. Ein paar wenige Sekunden oder Minuten, in denen ich auf die Landschaft vor und unter mir blickte und endlich wirklich darüber nachdachte, was ich mit diesen Wissen anfangen soll.

Eigentlich müsste ich ihn schließlich nicht weniger verabscheuen als seinen Vater, aber wenn er die Wahrheit erzählt hatte, ging es ihm in einigen Wegen noch schlechter als uns. Natürlich hatte er im Luxus gelebt und den besten Unterricht bekommen, den dieses Land bieten konnte, aber es war eher ein Gefängnis geworden. Sein Vater hatte ihm angeblich strenger und rücksichtsloser behandelt, als alles andere, und seine Gewalt hatte sich direkt auf meinen armen Prinzen gerichtet, während die unter ihm leidene Bevölkerung alles nur indirekt abbekommt.

Er hatte nicht weniger Grund zur Rebellion als jeder andere und das würde ich akzeptieren, zumal er, wie es sich herrausstellte, wirklich helfen konnte. Auf diesen Weg stände durchaus ein ganzer Haufen an Diplomatie und dieser wahre Mic vor uns, aber es war vermutlich näher an einen richtigen Plan, als das was die Rebellion seit Jahrzehnten hatte.
Ich konnte jedoch niemanden davon erzählen und wenn ich ehrlich war, bezweifelte ich sogar, dass der Anführer auch nur irgendwas in diese Richtung zulassen würde.
Irgendwie hatte sich in meinen Kopf eine Idee gebildet, die man wohl zu einen Plan umbauen konnte.
Es würde jedoch heißen, Lucien in Gefahr zu bringen und vielleicht auch, dass ich ihn nicht mehr sehen werde, je nach Situation. Leider heißt es auch, dass ich ihn ausnutzen würde.

Ich sagte ihm nichts von meiner Idee.

Als ich fertig damit war, seine Geschichte im Kopf nochmals durchzugehen, lehnte ich wieder vorsichtig meinen Kopf gegen seinen.
"Danke", meinte ich leise und um einiges sanfter als zuvor," und ich glaube, ich kann dich trotz allem aktzeptieren, mein Prinz."
Ich genoss seine Wärme, als wir wieder so nah aneinander saßen, dass wir uns berührten. Ich wollte ihn noch ein weiteres mal küssen, tat es jedoch nicht.

"Meinen Vater habe ich nie kennen gelernt. Teil meines Deals mit Victor war, dass er meinen Vater findet und ich glaube, dass er ihn gefunden hat, aber ich bezweifel, die Wahrheit über diesem von ihm bekommen zu haben. Er meinte er wäre ein verstorbener Soldtat, aber ich kannte das Klientel meiner Mutter zu gut um zu wissen, dass es kein einfacher Soldat gewesen sein konnte", begann ich dann selbst über mich zu reden. Es fühlte sich nur richtig an. Seine Geschichte gegen meine, oder zumindest ein Teil von meinen, denn die ganze Geschichte wäre zu lang.

"Meine Mutter war, wie du schon weißt, eine Prostituierte. Sie hat uns geliebt, wie eine Mutter es nun mal tun sollte, und hat alles für uns gemacht. Nach Sirins Geburt jedoch erkrankte sie und konnte nicht mehr abeiten. Sie hatte auch keine anderen Fertigkeiten, mit denen sie hätte Geld verdienen können, weshalb sie ganz aufhörte zu arbeiten und ihre Zeit nur mit uns verbrachte. Am Anfang hatten wir noch keine Probleme, besonders weil ich, als der kleine Dieb der ich damals war, immer mal wieder etwas Geld verdienen konnte. Aber mit der Zeit bemerkten wir, dass das kleine Vermögen, dass unsere Mutter gespart hat, langsam nicht mehr existierte. Helin und Sirin waren zu jung um es zu bemerken, aber ich tat es. Unsere Mutter verzichtete fast immer darauf selber was zu essen, nur damit wir uns noch immer satt essen konnten. Auch wenn die Ärzte immer meinten sie würde an ihrer Krankheit sterben, starb sie etwas früher. Der Arzt meinte sie wäre verhungert und ihre Krankheit hätte ihr nur einen letzten Stoß gegeben."

Es war schwer für mich über meine Mutter zu reden und vermutlich war es auch offensichtlich mit meiner etwas brüchigeren Stimme.

"Es hat nicht lange gedauert bis ich danach auf Victor getroffen bin. An dem Punkt habe ich aufgehört durch stehlen mein Geld zu verdienen und bin der Rebellion beigetreten, welche mich und meine Schwestern mit genug Essen versorgten. Wir haben einige Jahre trainiert, in denen eigentlich nicht viel passiert ist und das größte Ereignis von damals kennst du ja schon. Nur zwei Jahre danach habe ich mein Auge verloren."

Kaum hatte ich damit angefangen spührte ich schon ein schmerzhaftes ziehen unter meinem ehemaligen Auge. Unbewusst legte ich meine linke Hand auf das Narbengewebe, als würde das auch nur ansatzweise gegen den Schmerz helfen.

"Ich war damals für einen Job in die Stadt der Elite gegangen. Es war offensichtlich, dass ich nicht dorthin gehörte, weshalb es kein Wunder war, dass ich in einer Nebengasse von einer Wache angegriffen wurde. Er hat mich überrascht, weshalb ich nicht schnell genug reagieren konnte um mein Auge vor seinem Messer zu retten. Ich kann mich nicht mehr an viel erinnern, aber ich weiß noch, dass ich ihn nur Sekunden danach sein Messer entwendet hatte und ihm beide Augen und dann sein Leben nahm. Jedesmal wenn ich auch nur nah am Tor zu dem Teil der Stadt bin, erinnere ich mich automatisch daran ohne es zu wollen."

Ich ließ meine linke Hand wieder zu Boden sinken und hob meine rechte um diese in Luciens Haar zu legen. Wie schon vorher war es weich und gefühlt sogar noch ein bisschen weicher, als ich es in Erinnerung hatte. Ich hoffte wirklich, dass dieses uns nicht so schnell zerbricht wie es sich gebildet hat.

"Helin hat mich damals zusammen mit ihrem damaligen Mentor vor dem Tot bewahrt und Sirin hat mit alles andere besorgt, was ich in dem Moment brauchte. Ohne ihnen wäre ich jetzt tot. Für Wochen war es unmöglich für mich irgendwas zu machen. In der Zeit hat mir Sirin lesen beigebracht, was ich damals auch viel getan hatte. Als ich dann nach gut einem Jahr wieder fit genug war um wirklich zur Rebellion zurück zu kehren, wurde ich befördert.
Jahre danach und erst vor wenigen Tagen, habe ich dich dann aus dem Gefängnis befreit, weil du zufällig in der selben Zelle wie ein Rebell warst den ich befreien musste. Ich habe keine Ahnung wann ich wirklich angefangen habe dich als mehr zu sehen, als einen Schüler. Von Anfang an hast du mich durchaus etwas interessiert, da du mich zwischendurch ziemlich überrascht hast. Bemerkt habe ich mein Interesse eigentlich erst in den letzten paar Stunden und ich wusste nicht wie ich damit umgehen soll. Das alles hast du sicherlich bemerkt."

Ein weiteres mal machte ich eine kurze Pause ohne mich groß zu bewegen. Ausschließlich meine rechte Hand spielte noch immer mit seinem Haar.

"Dein Geschichte gegen meine", erklärte ich dann leicht grinsend, "und Fragen habe ich momentan keine, aber wenn du Fragen an mich hast, mein Lucien, kannst du sie mir gerne stellen."

Lynx&Lion - The RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt