63_Lucien

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Mit - dieses Mal mitunter vor Angst- rasendem Herz wartete ich darauf, dass Azad sein Urteil über mich fällen würde, doch mein Kopf blieb hoch erhoben und ich war keinen Millimeter zurückgewichen. Dieses Mal zeigte ich Mut. Denn mutig waren nur diejenigen, die in einem Augenblick der Angst standhaft blieben. Ich war bereit für alles, was nun kommen würde, so sehr es mir auch Angst bereitete, denn ich wusste nicht, wie sehr ich die Mentor-Schüler-Beziehung und auch die beginnende Freundschaft zwischen uns geschädigt hatte.

Azad erhob seine Hände und ich wappnete mich innerlich bereits für den Schlag, während ich mein Kinn selbstbewusst noch etwas weiter nach vorne schob. Was dann kam, damit hatte ich nun gar nicht gerechnet. Seine Hände lagen an meinem Hinterkopf, seine Finger in meinen Haaren vergraben, welche diese hindurchgleiten ließen.

Es fühlte sich gut und richtig an und beinahe hätte ich einen sehnsüchtigen Laut von mir gegeben, konnte meinen Mund aber im letzten Moment daran hindern. Mit eben jener Sehnsucht erwartete ich dann aber auch seine Antwort, welche kurz darauf folgte.

Und mit jedem Wort verlor ich mich immer mehr in Azad und wusste, dass es nun keinen Rückweg mehr gab.

Nicht nur ich fühlte die Anziehungskraft wie von zwei Magneten, auch er tat es.

Alles in mir kribbelte erwartungsvoll- begierig nach noch mehr dieser Worte, nach denen ich mich so sehr gesehnt und niemals erträumt hatte. Schlief ich vielleicht nur? Doch sobald ich mich auf seine Hände konzentrierte, welche immer noch  sanft, fast schon liebevoll, durch meine Haare fuhren, konnte ich diese Befürchtung ausschließen. So etwas konnte man sich nicht im Traum einbilden- und auch nicht die Gefühle, welche seine sanften Berührungen in mir weckten, ebenso wie seine Worte.

Ich musste leicht lachen.

"Welche Charakterzüge sind es, die dir an mir gefallen, aber an anderen nicht? Meine Respektlosigkeit gegenüber allen, die sich meinen Respekt noch nicht verdient haben, mein Löwe?", fragte ich mit einem frechen Grinsen auf den Lippen nach. 

Ich war mir unsicher, wie ich darauf reagieren sollte. Zuerst hatte Azad all diese seine Gefühle vor mir ausgebreitet, nur um dann zu sagen, dass er nicht wusste, was er wollte. Ich wusste es dafür umso besser. Aber ich ließ dem Rebellen Zeit seine Gedanken zu ordnen- auch mir war erst über den Laufe des Tages klar geworden, was ich wirklich wolle. Meine Hände waren mittlerweile von der Wand auf seine Schultern gerutscht, wo ich sie einfach liegen ließ. Wir standen nun mit kaum noch Abstand zwischen uns da und hätte ich mich nur ein wenig vorgebeugt, hätte ich dadurch schon ohne weiteres Zutun seine Lippen berühren können, aber ich tat es nicht, denn auch wenn Azad meine Gefühle zu erwidern schien, würde ihm das vermutlich zu schnell gehen und ihn völlig überrumpeln.

Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich an einem einzigen Tag von einer einzigen Person so oft überrascht werden konnte, aber genau das passierte gerade erneut. Ohne mein weiteres Zutun breitete sich ein strahlendes Lächeln auf meinem Gesicht aus, als Azad verkündete, dass er mich beziehungsweise "uns" wollte.

"Ich denke damit kann ich mich ganz gut zufrieden geben ohne mehr von dem zu wissen, was du willst!", entgegnete ich grinsend.

Was dann geschah, geschah zu schnell für mich um es wirklich zu realisieren und war auch viel zu schnell wieder vorbei. Azad zog mich leicht zu sich und überbrückte damit den letzten Abstand, der zwischen uns lag. Und dann gab es nur noch Azad und mich und seine unglaublich weichen Lippen, die noch wunderbarer waren, als ich sie mir die ganzen Male zuvor ausgemalt hatte.

Mein Herz setzte zu Beginn des Kusses aus und schlug erst wieder, als Azad mich sanft von sich drückte. Aber dazwischen war da einfach nur die Ruhe, damit ich mich mit all meinen Sinnen auf diesen Kuss, welchen ich natürlich erwiderte, konzentrieren konnte.

Lynx&Lion - The RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt