45_Lucien

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Um ehrlich zu sein, war ich mir etwas unsicher, ob Azad wirklich wach war, da ich aus seinem Zimmer geflohen war, ehe er sein Auge geöffnet hatte, aber da ich wenig später Geräusche aus dem Nebenzimmer wahrnahm, war er wohl tatsächlich aufgewacht.

Gedankenverloren blickte ich auf die dampfenden Teller vor mir, während ich darauf wartete, dass der Rebell zu mir stieß. Wie er sich mir heute gegenüber wohl verhalten würde? Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass er gestern nur wegen dem Alkohol in seinem Blut meine Nähe akzeptiert und sogar gesucht hatte.

Ich hoffte nur, dass er sich an ein paar Kleinigigkeiten nicht mehr würde erinnern können- so zum Beispiel den Moment als ich über seine Augenklappe gestrichen hatte. Ich war zu weit gegangen und ich glaubte nicht, dass Azad davon sonderlich begeistert war. Mein Herzschlag erhöhte sich ein bisschen und ich versuchte mich auf meine Atmung zu konzentrieren und mich wieder zu beruhigen. Was auch immer das war, dass sich da gerade bei mir anbahnte... ich musste die Gefühle so bald wie möglich wieder loswerden.

Die Tür öffnete sich und mein Blick fiel auf Azad- seine Haare waren vom Schlaf leicht durchwuschelt, was ihm irgendwie ein niedliches Aussehen verlieh.

Ich senkte meinen Blick und fokussierte mich auf den Tisch um mein Lächeln zu verbergen.

Nachdem ich mein dämliches Lächeln wieder unter Kontrolle gebracht hatte, blickte ich wieder auf und stellte fest, dass Azad bereits zu essen begonnen hatte und ich war erleichtert zu sehen, dass es ihm zu schmecken schien. Ich begann ebenfalls hungrig zu essen und hatte wie er schnell meine Portion aufgegessen.

Mein Blick fiel wieder auf den Rebellen und irgendwie hatte er den Anschein, dass er noch hungrig war- zumindest wenn ich seine Blicke richtig deutete. Ich stand auf, schnappte mir seinen Teller um mit diesem in der Küche zu verschwinden und ihn dort wieder aufzufüllen.

Anschließend stellte ich den vollen Teller wieder vor dem Löwen ab und grinste ihn an.

"Die Reste mussten ohnehin weg, weil sie sonst schlecht geworden wären und kalter Eintopf schmeckt nicht so gut- deine Schwestern haben dann wohl einfach Pech gehabt, wenn sie nicht da sind- ich hatte für sie mitgekocht!"

Ich ließ mich wieder auf meinem Platz nieder.

"Die anderen? Meinst du andere Rekruten oder allgemein Personen der Rebellion?", fragte ich dann neugierig nach.

Ich war schon gespannt darauf mehr von den Rebellen kennenzulernen- vielleicht würde ich ja auch unter ihnen Leute antreffen, welche mir betreffend der Sache mit dem obersten Anführer weiterhelfen konnten. Zudem war es vermutlich nicht schlecht, wenn ich allgemein weitere Kontakte knüpfte- so misstrauisch ich allen fremden Personen gegenüber auch bleiben würde.

Ich wusste nicht, welche Menschen hinter ihnen steckten. Gut- bei Azad wusste ich auch einiges immer noch nicht, aber ich vertraute ihm einfach. Vielleicht war es ein Fehler und meine aufsteigenden Gefühle machten mich blind, aber ich hatte es einfach im Gefühl, dass ich mich auf ihn verlassen konnte- vor allem, nachdem er seine Schwäche mir gegenüber gestern so offen gezeigt hatte.

"Und aufs Mögen kommt es nicht an. Ich will nicht mit ihnen befreundet sein so wie mit dir. Es geht darum, dass ich sie und ihre Stärke respektieren und mich auf sie verlassen kann. Sind sie zu schwach, will ich nichts mit ihnen zu tun haben, denn auf Schwächere kann ich mich nicht verlassen. Zumindest werde ich mir nichts von Schwächeren befehlen lassen, damit ich das jetzt schon einmal klarstelle, mein Löwe!", meinte ich grinsend.

Mit Schwächeren wollte ich vor allem deswegen nichts zu tun haben, weil sie ein zu großes Risiko in dieser Welt darstellten- wenn möglich würde ich eines Tages gerne lebend nach Hause zurückkehren und ich zweifelte stark, dass diese fremde Welt Fehler so einfach verzieh.

Außerdem konnten mich nur Starke, die einen genügend hohen Rang hatten, näher zum Anführer bringen, keine einfachen Rekruten. Ich hatte schon früh von meinem Vater gelernt, dass nur die Stärksten überlebten. Sie waren es, die am Ende die Macht in den Händen hielten.

Dass er das ganze so stark auf die Welt angewandt hatte, damit hatte ich nicht gerechnet. Er sah wohl nur die Elite als stark an, aber in meinen Augen war Azad stärker als alle von ihnen.

Bei Azads Frage nach Shirts musste ich einen Moment überlegen- hatte Mic noch irgendwelche in seinem Zimmer gehabt? Ich konnte mich nicht daran erinnern, welche gesehen zu haben. Ich schüttelte also leicht den Kopf.

"Ich habe keine mehr, aber ich denke ich sollte noch genügend von meinem angesparten Geld haben um mir ein oder zwei kaufen zu könnnen...", meinte ich, während ich keinen blassen Schimmer davon hatte, wie viel so ein Shirt wohl kosten mochte und ob ich mir wirklich einfach so zwei davon leisten konnte.

"Weißt du denn, wo ich welche kostengünstig bekomme? Und ja, ich würde das Hauptquartier gerne einmal sehen!"

Bei seinem letzten Kommentar musste ich lachen und mir fiel auf, dass er recht hatte. Seit meiner Ankunft in der Stadt hatte ich nie mehr als eine grobe Katzenwäsche betrieben. Zwar waren unsere Körper mittlerweile so sehr modifiziert, dass unangenehme Körpergerüche nicht auftraten, aber als ich auf meine Hände hinabblickte, stellte ich fest, dass Schmutz unter meinen normalerweise immer sauberen Fingernägeln war. Auch meine Haare waren strähniger als normalerweise, wenn auch vermutlich noch vergleichsweise sauber zu normalen Personen, die sich so lange nicht richtig gewaschen hatten.

"Ja, das sollte ich vielleicht wirklich...", meinte ich mit einem schiefen Grinsen.

"Ich weiß, dass du erst gestern dort warst, aber begleitest du mich ins Badehaus? Ich habe wenig Lust dort alleine hinzugehen. Ich war noch nie in einem- das gab es bei uns auf dem Land nicht und ich habe wirklich Angst etwas falsch zu machen...", gestand ich, auch wenn das nicht der ganze Grund war.

Um ehrlich zu sein wollte ich wirklich Azad zu gerne einmal ohne seine Augenklappe sehen und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er diese auch beim Baden trug.

"Ach, weißt du was, ich stelle es nicht als Bitte, sondern als Aufforderung, denn als mein Mentor ist es doch deine Pflicht mir neue Dinge beizubringen...", meinte ich mit einem frechen Grinsen und erhob mich dann um das Geschirr wieder zurück in die Küche zu räumen.

Anschließend kehrte ich zu Azad zurück und zog mir das Shirt über, auch wenn es noch nicht wirklich vollständig getrocknet war.

"Na los, worauf wartest du noch- ich will mehr lernen...", forderte ich ihn strahlend auf und verschwand dann auch schon aus der Haustür ohne auf ihn zu erwarten.

Mich hatte der Unternehmungsdrang gepackt und ich war wirklich neugierig auf das Badehaus. Zuhause hatten wir nur gewöhnliche Badezimmer und einen großen Pool. Von diesen öffentlichen Badehäusern hatte ich immer nur gehört.

Auf der Straße angekommen, lehnte ich mich leicht gegen die Wand und beobachtete die Menschen, während ich auf Azad wartete. Es war mehr los, als zu dem Zeitpunkt, wo ich zu Azads Haus aufgebrochen war und ich war fasziniert von all diesen Menschen.

So viele unbekannte Menschen mit unbekannten Geschichten- wie gerne würde ich mehr über sie alle erfahren.

Lynx&Lion - The RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt