73_Lucien

36 6 0
                                    


Ich schmiegte mich leicht an Azad, als er seine Hand um meine Taille legte und mich somit unbewusst ein wenig näher zu sich zog. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich einfach nur noch auf seine Nähe und Wärme, die er ausstrahlte.

Ich wünschte alles wäre weniger kompliziert. Aber das war es nicht und vielleicht war es sogar gut so- unter anderen Umständen hätten wir uns vermutlich niemals kennen und lieben gelernt. Ich wünschte nur wir hätten wenigstens eine Situation erwischt, in der ich ihn niemals hätte anlügen müssen. Aber es war nun mal so gelaufen und so sehr ich es auch bereute, ich konnte es nicht ändern. Darum würde ich nun das beste aus der Situation machen müssen und dafür sorgen, dass ich Azad niemals wieder so sehr verletzte.

Bei seinen Worten über sein Auge wusste ich nicht wirklich, wie ich darauf reagieren sollte. Natürlich freute es mich zum Einen, dass er seine Narben behalten wollte, aber ich hatte mich schon so sehr daran gewöhnt, dass Azad nur ein richtiges Auge hatte, dass es bestimmt komisch sein würde ihn mit einem Mal mit zwei Augen zu sehen.

"Ich liebe dich und dein jetziges Aussehen, aber wenn du dir so sehr dein zweites Auge zurückwünschst, dann werde ich dafür sorgen, dass du ein neues Auge bekommst!", versprach ich Azad mit sanfter Stimme.

"Immerhin kann ich nicht zulassen, dass du einen Nachteil im Kampf hast und deswegen gegen mich verlierst, ich möchte dich im Staub kriechen sehen, ohne dass du im Nachteil warst!", fügte ich grinsend hinzu.

Ich würde mich an den neuen Azad, sein neues Aussehen gewöhnen müssen, aber ich war mir sicher, dass meine Liebe deswegen nicht geringer zu ihm werden würde natürlich liebte ich sein Äußeres, aber noch mehr als das liebte ich sein Inneres.

Seine Worte zu meiner zweiten Frage zerbrachen mir das Herz- mit jedem Satz aufs Neue. Und mit jedem Satz liebte ich diesen jungen Mann noch ein bisschen mehr. Ich konnte nichts dagegen machen und Tränen stiegen in meine Augen. Azad machte mich verletzlich, aber ich wusste, dass das nichts schlechtes war. Ich konnte vor ihm auch schwach sein und trotzdem würde er mich immer respektieren und lieben. Bei ihm konnte ich immer ich sein ohne das Gefühl zu haben dafür verurteilt zu werden.

"Dann lass uns hoffen, dass es niemals überhaupt so weit kommen wird!", meinte ich leise, auch wenn ich befürchtete, dass genau das der Fall sein würde.

Ich wollte nicht, dass Azad sein Leben wegen mir riskierte, dass er daran zerbrach bei dem Versuch mich zu retten.

Dann schwiegen wir beide und schließlich antwortete Azad auf die Frage, welche mir persönlich am wichtigsten gewesen war. Zu Beginn fühlte ich einfach nur Scham, Schmerz und Angst, aber desto länger er fortfuhr, desto erleichterter war ich. Ein Kribbeln breitete sich auf meinem Handrücken aus, wo Azads weiche Lippen die Haut berührt hatten.

Seine Worte berührten mich erneut bis tief in mein Innersten und erwärmten mein Herz. Womit hatte ich diesen Mann nur verdient? Wie hatte ich es verdient in diesem Augenblick so glücklich zu sein? Alles in mir vibrierte vor Freude.

"Ich werde es nicht mehr vergessen, ich verspreche es dir....", wisperte ich sanft.

"Und ich will, dass du folgendes ebenfalls nicht vergisst: Ich liebe dich und ich werde dich immer lieben, mein einäugiger Löwe, egal, was die Zukunft uns auch bringen mag! Und ich möchte, dass du weißt, dass ich dir keinen Vorwurf mache, wenn du eines Tages doch anders denken solltest. Wenn du die Rebellion über mich stellen solltest. Ich vertraue dir, aber wir wissen nicht, wie sich alles ergeben wird und welche Umstände dich vielleicht dazu zwingen könnten dich zu entscheiden. Du hast dein ganzes Leben lang für diese Rebellion gekämpft und wir kennen uns erst einige Tage...so sehr du mich auch liebst, vielleicht wirst du dich eines Tages gegen mich entscheiden müssen und ich werde dich trotzdem weiter lieben, denn das wärst immer noch du: mein mutiger, tapferer, starker Löwe!"

Ich lächelte ihn liebevoll an und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Wange- Azad hatte mich schon seit längerem nicht mehr geküsst und ich war mir nicht sicher, ob er es im Moment wirklich wollte, darum hatte ich mich dazu entschlossen mich ebenfalls von seinen Lippen fernzuhalten- so schwer es mir auch viel, weil mich alles in meinem Inneren dazu drängte.

"Ich habe keine Geheimnisse mehr vor dir mein Löwe!", entgegnete ich sanft, ehe er seine Frage stellen konnte, dann nickte ich leicht und wartete auf seine Frage.

Was wohl kommen würde. Irgendwie hatte ich wohl damit gerechnet und ich blickte Azad nachdenklich an und schwieg eine ganze Weile, während ich mir Gedanken darüber machte, was mein Plan gewesen war. Es war kein unausgereifter Plan und er klang fast schon kindisch. Ich hatte einfach irgendetwas tun wollen und sofort handeln wollen, als ich von der Situation erfuhr, in welcher das einfache Volk steckte- von ihrer Armut, ihrem Leid, ihrem Hunger, der Gewalt, welche in der Stadt herrschte.

"Ich weiß nicht wirklich, ob es eine gute Idee ist...", begann ich verlegen.

"... vermutlich ist die Idee sogar ziemlich dumm und unausgereift... ob ich das ganze überleben würde, wäre fraglich und ob wir allgemein etwas erreichen wohl ebenfalls. Aber ich hatte einfach unbedingt handeln wollen und mir ist nichts besseres eingefallen... Ich wollte zum obersten Anführer der Rebellion gehen und mich erstmal zu erkennen geben. Und dann würde ich ihm klarmachen, wie wichtig mein Rolle als einziger Sohn des obersten Ratsmitgliedes war. Mein Plan war eine Verhandlung, ein Tauschgeschäft: Mein Leben dafür, dass der Rat einen Teil seiner Macht aufgibt... dafür, dass auch Männer außerhalb der Elite diesem beiwohnen und entscheiden dürfen... dafür, dass Medikamente, Essen und Wasser an die Ärmeren verteilt werden. Ich hoffte und hoffe noch immer, dass meinem Vater mein Leben wichtig genug ist um auf diesen Handel einzugehen... wenn nicht, müssten die Rebellen mich töten, denn ansonsten wäre das alles nicht mehr als eine leere Drohung gewesen...", meinte ich leise.

"Ich werde an der Seite der Rebellion kämpfen und wenn es keine andere Möglichkeit gibt, werde ich diese Idee wohl in die Tat umsetzen. Es sei denn du hast eine bessere Idee, mein Löwe?"

Ich blickte ihn fragend an. Gab es überhaupt eine für mich weniger gefährliche Option? Mein Leben würde vermutlich so oder so immer in die Schussbahn geraten, denn als Sohn meines Vaters spielte ich eine zu wichtige Rolle in dieser Geschichte. Ich hatte schon jetzt im Gefühl, dass man Azads und meinen Namen eines Tages in Geschichtsbüchern finden würde, die Frage war nur, wie diese Geschichte enden würde.

Mein Blick schweifte zum Horizont, wo der Himmel bereits langsam begonn seine orangene Färbung zu verlieren. Es würde bald Zeit für unseren Kampf sein, doch weder Azad noch ich hatten in dieser Nacht Schlaf gefunden. Ich mochte zwar weniger Schlaf als der Rebell brauchen, aber dennoch benötigte ich meine drei Stunden am Tag.

"Wie sieht es mit unserem Kampf aus? Ich gehe doch davon aus, dass er immer noch stattfinden wird? Auch zu dem Zweck, dass du deine Wut und Enttäuschung mir gegenüber rauslassen kannst, mein Löwe!"

Ich grinste ihn leicht an.

"Wann und wo soll er stattfinden?"


Lynx&Lion - The RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt