33_Lucien

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Kann es in so einer grausamen Welt keine Freundschaften geben?


Ich vernahm Azads Stimme und war erstaunt, dass er überhaupt mit mir reden wollte und nicht einfach weitergezogen war. Was wollte er überhaupt noch von mir? Er hatte doch ganz klipp und klar gesagt, was er mit mir zu tun haben wollte, nämlich gar nichts... nur zum Training war ich gut, bei allem anderen nervte ich ihn nur. Und auch beim Training würde ich ihm wohl die ganze Zeit auf die Nerven gehen. Alles in mir brodelte und ich sah ganz und gar nicht ein auch nur eine Sekunde stehen zu bleiben oder mich nach dem Rebellen umzudrehen. Der würde mich schon in Ruhe lassen... dachte ich zumindest.

Ich spürte, wie ich mit einem Mal mit einem schmerzhaft festen Griff am Arm gepackt wurde. Mit einer einzigen Drehung meines Körpers befreite ich mich wieder und funkelte Azad wütend an.

Was bildete er sich ein?

Und wie konnte er es wagen so kalt und mit einem drohenden, gefährlichen Unterton zu sprechen?

Er war es doch gewesen, der nichts mit mir zu tun haben wollte, also sollte er mich einfach in Ruhe lassen. Natürlich hatte ich nicht erwartet, dass er durch "Händchen halten und Lieder singen" in seine Position gekommen war.

Ich ließ Azad zu Ende sprechen, während es in mir immer mehr brodelte und bald überzukochen drohte.

"Weißt du, was dein Problem ist? Du bist einsam und hast ein Vertrauensproblem. Jeder Mensch braucht jemanden, dem er völlig vertrauen kann. Mag sein, dass ich nicht die richtige Person dafür für dich bin, aber auch du benötigst so jemanden. Du bist verbittert und hasserfüllt, aber das ist, weil du die Wahrheit zwar kennst, aber nicht akzeptieren willst. Ich bin nicht hierhergekommen um Freunde zu finden, sondern die Wahrheit und endlich etwas zu verändern. Aber so etwas kann man weder alleine schaffen, noch mit Kameraden, denen man nicht völlig vertraut. Für so etwas braucht man Freunde, denen man vertrauen kann und auf die man sich verlassen kann und nicht welche, bei denen man immer befürchten muss, dass man mit einem Messer durch das Herz am nächsten Morgen aufwacht... oder eben nicht mehr aufwacht. Es tut mir leid, dass deine "Freunde" dich so behandelt haben- sie hatten es nie verdient, so bezeichnet zu werden. Trotzdem ist es jedem gegenüber unfair, dem du danach deswegen keine Chance mehr gegeben hast. Nicht jeder Mensch auf dieser Welt ist auf Anhieb schlecht und ich habe langsam verstanden, dass das Leben in dieser Stadt anders läuft als ich es gewohnt bin und ich vielleicht erwartet habe, aber braucht man nicht genau für solche schwierigen Situationen Freunde? Damit sie einem helfen, wenn man selber fast am Ende ist? Es sind wahre Freunde, wenn sie in schlechten Zeiten für einen da sind ohne Gegenleistung zu fordern, nicht in guten Zeiten..."

Zwar hatte ich das meiste daraus nur aus Büchern, aber ich glaubte aus vollem Herzen an meine eigenen Worte.

"Und mein bisheriges Leben war alles andere als sicher. Genauso wenig sicher, wie ich eine ansatzweise funktionierende Familie hatte... meine Mutter ist früh gestorben, mein Vater hatte mich seitdem eingesperrt und nirgendwo mehr hingehen lassen. Ich durfte den Bauernhof keine Sekunde mehr verlassen. Aber für mich da um sich meine Sorgen und Ängste anzuhören, war er nie... Weißt du warum ich in dieser Stadt bin? Weil ich mich davongeschlichen hatte, weil ich mein Leben nicht mehr ausgehalten habe..."

Das alles stimmte, bis auf die Tatsache mit dem Bauernhof. Ich wollte Azad nicht mehr anlügen als es unbedingt sein musste. Ich wollte immer noch ich selbst sein, auch wenn ich nicht wusste, warum mir das so wichtig war.

"Du kannst mich vielleicht nicht immer beschützen, aber das muss man als Freunde auch nicht. Was wichtig ist ist der Versuch und die Hilfe, falls man nicht alleine klar kommt. Dass man für den anderen da ist und ihm einfach vertrauen kann. Ich kann mich gut selbst beschützen, auch wenn das alles hier neu für mich ist. Und es ist mir egal, was du sagst. Ich vertraue dir, egal was für ein großer Idiot du auch bist. Du sagtest ja, dass man keinen Leuten trauen soll, die sich Freunde nennen... nun, du tust es nicht, also kann ich dir wohl vertrauen..."

Azad stampfte davon, aber er schien es sich nochmals anders zu überlegen und drehte sich wieder zu mir um.

"Nun, dann lerne mich kennen und frage mich mehr Dinge- aber du interessierst dich ja nicht für mich und versuchst gar nicht erst Vertrauen zu mir verfassen...", entgegnete ich, nachdem er geendet hatte.

"Aber keine Sorge... ich werde mir dein Vertrauen schon noch verdienen. Auch ich mag Geheimnisse haben, so wie auch du sie hast, aber ich werde dich niemals hintergehen. Ich meine meine Worte so, wie ich sie sage. Ich werde dafür sorgen, dass die Welt zu einem besseren Ort werden wird. Ich war mein ganzes Leben lang blind gewesen, was dies anging, aber nun, da ich zum ersten Mal gesehen habe, kann ich nicht wieder einfach so wegblicken. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht!"

Und das war mehr, als Azad jemals ahnen würde.

"Und Bordelle, Mädchen oder deine Schwester sind mir verdammt noch mal so was von scheiß egal... ich stehe auf keine Mädchen..."

Die Worte waren raus, ehe ich sie zurücknehmen konnte und ich wurde blass. Das hatte ich noch niemals jemandem verraten und das hätte auch so bleiben sollen. Vor allem gegenüber Azad- jetzt hatte er für sich vermutlich noch einen Grund mehr, mir nicht zu vertrauen.

Jedenfalls würde ich jetzt nicht hinter Azad dahergekrochen kommen. Und ich würde auch nicht zu seiner Wohnung kommen. Das konnte er so was von vergessen. Ich hatte einen großen Sturkopf und sollte Azad den ebenfalls besitzen, dann würde das hier wohl noch eine ganze Zeit lang so weitergehen. Ich drehte mich um und lief in die entgegengesetzte Richtung davon. Einen Tag in der Bibliothek zu verbringen, klang mittlerweile viel verlockender als den Tag mit Azad verbringen zu müssen.

Lynx&Lion - The RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt