31_Lucien

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Ist dieses Leben wirklich für mich gemacht? Oder sollte ich lieber das Leben leben, was meine Herkunft für mich bestimmt hat?


Ich hatte befürchtet, dass mir Azad nicht auf die Frage mit den Offizieren antworten würde und die Befürchtung war tatsächlich eingetreten. Er hatte sie einfach ignoriert, als hätte ich sie nie gestellt. Aber da konnte er sich noch auf einiges bei mir gefasst machen- ich hatte einen durchaus dickköpfigen Vater und hatte eben diesen Starrsinn auch selbst geerbt. Ich konnte durchaus beharrlich und hartnäckig bleiben um irgendwann doch meinen Willen zu bekommen. Ich würde Azad so lange bedrängen, bis er mir irgendwann doch einen Namen verriet oder ich würde auf eigene Faust etwas herausfinden müssen- ohne die Hilfe des Löwen.

Vielleicht würde es mir ja auch möglich sein, mich in kürzester Zeit hochzuarbeiten und so die Aufmerksamkeit des Anführers zu gewinnen. Ich musste mich um jeden Preis mit ihm unterhalten, um herauszufinden, wie die Rebellen etwas verändern wollten und mitzuhelfen für mehr Gerechtigkeit und Gleichheit zu sorgen, sodass diese Stadt eines Tages jeden Tag so bunt und fröhlich werden würde, wie ich sie in Erinnerung hatte. Als Rekrut würde ich das jedenfalls nicht schaffen. Ich musste an mehr Informationen gelangen und der Einzige, der über alles informiert war, war nun mal der Anführer- dass so wenige seine Identität kannten, machte das Ganze noch einmal geheimnisvoller und reizvoller. 

Da ich nicht länger auf eine Antwort zu diesem Thema hoffte, lauschte ich stattdessen seinen Ausführungen betreffend des Rekruten-Trainings. Bei einer Vermutung hatte er definitiv recht: Das Kampftraining mit den anderen Neulingen benötigte ich auf keinen Fall. Ich war ihnen vermutlich weit voraus- immerhin trainierte ich seit meiner Kindheit. Aber vielleicht würde es mir möglich sein Kampftraining mit erfahreneren Mitgliedern der Rebellen zu bekommen- die mussten doch bestimmt ebenfalls trainieren, um in der Übung zu bleiben und ich wollte gerne neue Kniffe und Tricks lernen und endlich mal gegen jemanden kämpfen, der keine Rücksicht auf mich nahm, nur weil ich der Sohn des Ratsvorsitzenden war.

"In Ordnung, dann warte ich wohl ab, was du sonst noch für mich geplant hast. Aber mal eine generelle Frage: Hast du ebenfalls noch Kampftraining? Auch Rebellen deines Standes müssen doch in Form und Übung bleiben. Ich möchte, wenn es dieses überhaupt gibt- bei deinem Kampftraining mitmachen. Ich bin gut, aber vermutlich nicht gut genug, um es wirklich mit jedem aufnehmen zu können!", meinte ich und folgte ihm mit meinen Augen während er aufstand.

Er wollte seine langweiligen Sachen also tatsächlich jetzt gleich verrichten. Na gut, ich hatte ohnehin nichts besseres zu tun und hoffte darauf, vielleicht ein paar mehr Informationen aus Azad herauszubekommen. Auch war seine Gesellschaft gar nicht so schlimm, wie ich es am Anfang noch befürchtet hatte.

Ich nahm das restliche Brot mit, als ich nun ebenfalls aufstand, und riss mir noch ein Stück davon ab, welches ich mir in den Mund steckte und darauf herumkaute. Ich hatte keinen wirklichen Hunger mehr, wusste aber auch nicht wirklich etwas damit anzufangen.

Als wir die Kneipe verließen, entdeckte ich ein kleines, viel zu dünnes Kind, welches am Straßenrand saß und auf einem sehr vertrocknet aussehendem Stück Brot herumkaute. Ich lief zu ihm hinüber und drückte ihm das komplette restliche Brot von Azad und mir in die Hand. Die Augen des Kindes leuchteten auf, was mich umso beklommener machte. So etwas wäre bei uns zuhause einfach im Müll gelandet, beziehungsweise aufgrund der schlechten Qualität gar nicht erst auf dem Tisch gelandet und dieses Kind verhielt sich, als wäre es das größte Geschenk seines Lebens.

Es bedankte sich mehrfach und schob sich dann ein riesiges Stück nach dem nächsten in den Mund. Ich lächelte ihn an und verabschiedete mich, dann schloss ich wieder zu dem Rebellen auf.

Lynx&Lion - The RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt