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Als ich endlich durch meine Haustüre torkelte, war ich wirklich froh, dass meine beiden Elternteile so viel arbeiteten und deswegen nicht zu Hause sein waren. Sie wären sicher misstrauisch geworden. Vor allem weil ich die letzten Tage immer so fit war.

„Hi Amber." Jasons Stimme erschreckte mich.

„Hi Jason", sagte ich müde zu ihm. Er lümmelte auf dem Sofa und hängte an seinem Handy. Er sah überrascht auf, als er meine erschöpfte Stimme hörte. „Alles okay?", fragte er nach meinem Wohlbefinden. Mist, sah man es mir so sehr an?

„Ja klar", antwortete ich und bemühte mich um einen normalen Ausdruck. Ich ging die Treppen hoch und war erleichtert, dass Jason mich nicht nochmals aufhielt. Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu meinen Brüdern gehabt. Wir verstanden uns wirklich gut, da wir alle in der gleichen Situation waren. Wir alle kannten unsere leiblichen Eltern nicht. Und manchmal war es nicht immer ganz einfach damit umzugehen. Ich schüttelte diese Gedanken ab und sprang unter die kalte Dusche. Ich spürte, wie langsam meine Energie wieder zurückkam.

>>><<<

Diesen Morgen verzichtete ich auf mein Fahrrad und machte mich zu Fuss auf den Weg in die Schule. Keine Ahnung, was heute nach Schulschluss passieren würde, aber es wäre praktischer, wenn ich nicht mein Fahrrad dort stehen hätte. Ausserdem fühlte ich mich wieder total fit, wie die Tage zuvor.

Die Schulstunden zogen sich nur langsam dahin. Ace und die anderen verhielten sich so wie immer und auch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Wir verbrachten den Tag genauso wie gestern. Ich fragte mich, ob Eleanor auch etwas damit zu tun hatte. Sie war schliesslich Silas' Schwester und hing auch immer mit den Jungs ab, die ein gemeinsames Geheimnis hatten. In der letzten Stunde fing ich an, die Minuten zu zählen. Ich war schon immer neugieriger Natur gewesen und es machte mich fast verrückt nicht zu wissen, was Kenzo meinte. Als die Schulklingel mein Leiden endlich erlöste, konnte ich nicht genug schnell aufstehen. Ich wartete auf Josh und Ace, bis sie auch ihre Sachen zusammen gepackt hatten und sah sie erwartungsvoll an. Josh seufzte.

„Komm mit", meinte er an mich gewandt. Er ging aus dem Zimmer, Ace schenkte mir ein entschuldigendes Lächeln und folgte ihm. Ich musste mir das nicht zweimal sagen lassen und folgte Josh ebenfalls. Wir verliessen das Schulgebäude und gingen auf Silas' Auto zu, wo sie auch schon auf uns drei warteten. Kenzo, Silas und Eleanor. Als ich meine Freundin erblickte, machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit. ‚Vielleicht will Silas sie ja nur nach Hause fahren und hat gar nichts damit zu tun', versuchte ich mir einzureden, doch irgendetwas sagte mir, dass das nicht der Fall war. Sie hatte die Arme verschränkt und sah ziemlich genervt aus. Als sie mich bemerkte, wechselte ihr Ausdruck von wütend zu traurig. „Okay wir sehen uns dort", meinte Josh zu uns und wollte schon gehen, als Silas ihm zurief: „Denk daran, beim anderen Eingang." Josh nickte nur und ging dann weg.

„Amber", hörte ich Ace Stimme. Ich schaute zu ihm. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sie ins Auto eingestiegen waren, denn er hielt mir die Autotür auf. Wahrscheinlich hatte ich Josh hinterhergeschaut und mich gefragt, was er machte. Schnell stieg ich ein. Kurz darauf fand ich mich auf der Rückbank zwischen Ace und Kenzo wieder. Silas fuhr los, noch ehe ich mich anschnallen konnte. Jetzt da wir unter uns waren, bemerkte ich die angespannte Stimmung. Die Luft war zum Schneiden dick. Niemand sagte etwas. Nicht einmal das Autoradio lief. Irgendwie fühlte ich mich wie eine Schwerverbrecherin, wie ich hinten in der Mitte zwischen Ace und Kenzo sass.

„Wo fahren wir hin?", fragte ich in die Runde und unterbrach das Schweigen.

„In den Wald", beantwortete mir Ace wieder einmal meine Frage. Er musste diesen Wald meinen, der gerade an mein Zuhause grenzte. Ich beschloss nichts Weiteres zu fragen und zu warten, bis wir angekommen waren, gerade als Eleanor anfing zu sprechen.

„Silas, du weisst, dass ich nichts mehr damit zu tun haben wollte. Ich verstehe nicht, für was braucht ihr mich überhaupt?", fragte sie ihren Zwillingsbruder. Sie seufzte erbittert aus und ich schwörte, ich konnte spüren, wie sie die Augen verdrehte.

„Das hab ich dir doch schon gesagt. Wenn wir sie nicht überzeugen können, wirst du das tun. Dir wird sie garantiert glauben", antwortete Silas ihr ebenfalls genervt. Daraufhin erwiderte sie auch nicht mehr, sie schnaubte nur schlecht gelaunt. Ich erkannte die Strasse, die ich jeden Tag entlanglief und wenn wir nur nach links abgebogen wären, wären wir fast schon bei mir zu Hause gewesen. Das bedeutete der Wald war auch nicht mehr weit weg. Silas fuhr auf einen Kiesplatz, der wahrscheinlich als Parkplatz gedacht war und schaltete den Motor aus. Vor uns erstreckten sich die riesigen Bäume hoch in den Himmel. Wir stiegen aus und schon erblickte ich Josh, wie er am Waldrand auf uns wartete. Wie war er so schnell gewesen? Als auch Josh uns bemerkte, drehte er sich um und verschwand zwischen den Bäumen. Ace, Eleanor und die anderen gingen ebenfalls in den Wald und ich folgte schnell Kenzo, der zu hinterst lief. Umso tiefer wir in den Wald gingen, desto unheimlicher und dunkler wurde es. Ich war wirklich froh, als wir auf einer grossen Lichtung anhielten.

„Wieso sind wir hier?", fragte ich um anzufangen. Ich verschränkte die Arme. Ich wollte endlich Antworten. Ich war ihnen ohne zu meckern fünfzehn Minuten lang in einen Wald nachgelaufen.

„Wir brauchten irgendeinen Ort, wo uns niemand hören kann", sagte Ace schulterzuckend.

„Wo niemand deine Schreie hören wird", meinte Josh emotionslos und ich riss erschrocken meine Augen auf.

„Josh!", riefen Ace und Kenzo empört.

Diese Sache fing an mir Angst zu machen.

„Er meint das nicht ernst. Hör nicht auf ihn", meinte Ace, der neben mir stand, beruhigend zu mir. Wahrscheinlich hat man mir die Panik schon in meinen Augen angesehen. Mein Bauchgefühl sagte mir aber, dass sich ein Funken Wahrheit in Joshs Worten befanden.

„Okay, dann erklärt mir, warum wir hier sind? Oder an einem Ort wo uns niemand hören kann. Was ist hier los?", fragte ich Ace. Er gab mir meistens die besten Antworten. Ich wollte eigentlich nur noch so schnell wie möglich von hier weg.

„Naja, es ist etwas kompliziert", meinte Ace und schaute hilfesuchend zu den anderen.

„Was ist daran so kompliziert, Mann?", meinte Josh. Er schaute wie immer gelangweilt und uninteressiert aus.

„Wir stammen von Göttern ab und haben Superkräfte, so schwierig zu erklären?"

Die Tochter des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt