„Von wo hast du eigentlich die Narbe neben deinen Auge?", fragte ich ihn aus dem Nichts. Das hatte ich mich schon so oft gefragt. Er schaute mich überrascht an und hob die davon betroffene Augenbraue, als könnte er nicht glauben, dass ich ihn das fragte. Er wandte seinen Blick wieder ab und seine Kiefermuskeln spannten sich an.
Oh verdammt. Wahrscheinlich kam diese Narbe vom gleichen Ereignis wie die an seinem Rücken. Ich holte schon Luft, um ihm zu versichern, dass er mir nicht antworten musste, aber er kam mir zuvor.
„Bin als Kind in einen Tisch gerannt", antwortete er knapp. Mir war klar, dass das eine Lüge war, aber ich war mir nicht mehr sicher, ob ich die Wahrheit wissen sollte; es ging mich nichts an. Dass er daraufhin eine Packung Zigaretten und ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche kramte, bestätigte meine Vermutung nur noch mehr. Er nahm sich eine raus und zündete sie an.
„Und von wo hast du deine an deinem Unterarm?" Er nahm einen Zug und sah mich interessiert an. Die Frage traf mich vollkommen unerwartet. Es wunderte mich nur schon, dass er sie bemerkt hatte. Es war bloss eine feine, weisse Linie zurückgeblieben. Und es hatte mich noch nie jemand darauf angesprochen. Ich schluckte schwer. „Fahrradunfall." Er warf mir einen zweifelnden Blick zu, als würde er mir nicht glauben, aber er wusste, wenn er nachhakte, würde ich es auch tun.
Rauch blies mir ins Gesicht und alte Erinnerungen kamen hoch. Wie ich in der Nische hinter dem Schulhaus meine erste Zigarette geraucht hatte, um nicht von den Lehrern erwischt zu werden. Wie er mir lachend den Rauch ins Gesicht geblasen hatte.
Ich schüttelte den Kopf und wollte diese Erinnerungen am liebsten für immer aus meinem Gehirn verbannen. Ich nahm ihm die Zigarette aus der Hand und zog selber daran. Ich schloss kurz die Augen und genoss das berauschende Gefühl.
„Du rauchst?!", kam sekundenspäter die überraschte Frage von Josh. Ich grinste und blies es in seine Richtung aus.
„Hättest du nicht erwartet, was?", fragte ich spöttisch zurück. Er schaute mich immer noch überrascht an und nahm mir wortlos seine Zigarette wieder aus der Hand.
„Nein. Ich dachte, du würdest nur so krass tun, aber eigentlich ganz unschuldig sein."
„Eigentlich habe ich aufgehört. Ich habe sicher ein halbes Jahr keine mehr gehabt. Du möchtest nicht wissen, was ich in New York alles getan habe", sagte ich rauchig. Ich war es mir nicht mehr gewöhnt. Er hob eine Augenbraue und sah mich fragend an.
„Ich dachte eher, du erlebst deine Abenteuer in Büchern", meinte er trocken. Ich schnaubte belustigt auf.
„Eine Zeit lang war das wirklich so gewesen, aber seit..." Ich stockte. „ab einem gewissen Moment in meinem Leben fing ich an Bücher zu hassen."
„Wieso?", hakte er nach und nahm einen weiteren Zug.
„In Büchern ist alles immer so perfekt. Irgendwie wird immer alles gut. Es gibt immer ein Happy End, und naja, zu dieser Zeit habe ich nicht mehr daran geglaubt, dass es auch im echten Leben ein Happy End gibt." Ich beschloss nichts weiter zu sagen, sonst würde es nicht gut enden. Das bemerkte er zum Glück auch.
Eine Weile lang liefen wir beide schweigend nebeneinander her. Wir wechselten uns mit der Zigarette ab und er zündete dann noch eine zweite an. Ich konzentrierte mich einfach auf das beruhigende Gefühl des Nikotin und schaltete meine Gedanken ab. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir so lange gelaufen waren, aber schon bald standen wir wieder vor meinem Haus.
„Wieder über den Balkon?", wunderte er sich.
„Ja. Obwohl meine Eltern noch wegfahren wollten, möchte ich nicht riskieren, dass ich durch die Türe spaziere und sie im Wohnzimmer sitzen."
„Viel Spass dabei", sagte er spöttisch.
„Danke", grummelte ich ironisch.
„Hey, Collins", rief ich ihm nach, da er schon ein paar Schritte weitergegangen war. „Was?"
„Hör auf mit dem Rauchen. Es tut deinem Körper nicht gut." Er schaute mich lange an, dann ging er ohne eine Antwort weiter.
Ich setzte einfach darauf, dass meine Eltern gerade nicht da waren und nahm einen guten, einfachen Baum ziemlich in der Nähe eines Fensters. Schnell kletterte ich ihn hinauf, schwang mich auf meinen Balkon und ging in mein Zimmer rein. Es sah zum Glück alles noch genau gleich aus, wie als ich gegangen war. Das hiess hoffentlich, dass meine Eltern nicht hineingepatzt waren. Ich sah auf die Uhr auf meinem Nachttischchen neben meinem Bett und stellte erschrocken fest, dass schon sieben Uhr abends war.
Ich wollte gerade mein Handy abchecken, als es unten klingelte. Wer konnte das sein? Meine Eltern klingelten nie.
Also ging ich schnell die Treppen runter und öffnete die Türe. Kaum hatte ich sie einen Spalt geöffnet, quetschte sich Jason hinein.
„Jason? Alles Okay?", fragte ich sofort nach. Seine Arme waren verkratzt, er hatte ein blaues Auge und sah wirklich fertig aus. Als er mir auch in die Augen blickte, sah ich etwas in seinem Blick, was ich vorher definitiv noch nie gesehen hatte. Furcht.
Ich schaute ihn verwirrt an und hob die Augenbrauen. Er musterte mich fast schon panisch und holte dann endlich Luft, um etwas zu sagen.
„Wenn du ihnen etwas von dem erzählst, sag ich ihnen, dass du rauchen warst", drohte er mir und seine Stimme klang kratzig, als hätte er geschrien. Ich war zu verwirrt gewesen, um schnell etwas zu antworten, weshalb er sich an mir vorbeidrückte und die Treppen hoch stürmte.
„Hey! Jason!", rief ich ihm nach und rannte auch die Treppen hoch. Er stand in seinem Türrahmen und blickte zu mir nach hinten.
„Klar sag ich ihnen nichts. Aber was ist passiert? Du weisst, du kannst mir alles erzählen", versuchte ich es nochmals.
„Ich sollte dir alles erzählen? So wie du mir alles erzählst, ja?", sagte er und sah mich zweifelnd an. Dann schletzte er seine Türe vor meiner Nase zu.
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Die Tochter des Todes
FantasySeit ich in Kinnetyville lebte, hatte sich mein ganzes Leben verändert. Am Anfang dachte ich, ich würde einfach mein ganz normales Teenager-Leben weiterleben. Doch dann erfuhr ich, dass ich von einem griechischen Gott abstammte. Also hatte ich neben...