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Deswegen fand ich mich also um vier Uhr nochmal in diesem Zimmer wieder. Miller kam gerade und schloss die Türe auf. Er wirkte immer noch empört wegen unserer direkten Frechheit. Josh war auch schon da, ignorierte mich aber, da er anscheinend immer noch sauer war.

„Wie lange?", fragte Josh, als wir ins Zimmer gingen.

„Mister Collins, Sie sollten das doch wissen. Eineinhalb Stunden", schmunzelte Miller. Eineinhalb Stunden?! In New York war es immer nur eine Lektion gewesen. Wir gingen automatisch nach hinten. Er fischte zwei Stapel Blätter aus seiner Tasche uns klatschte sie auf unsere Tische.

„Alles auf morgen und Sie werden zusammen eine Aufgabe vorlösen", sagte er böse grinsend. Ich nahm die Blätter in die Hände und blätterte sie durch.

„Aber das sind zwanzig Aufgaben", protestierte ich mit meiner letzten Hoffnung.

„Deshalb schlage ich vor, dass sie besser anfangen", sagte er und ich hätte ihm am liebsten sein blödes Grinsen aus dem Gesicht geschlagen. Ich blickte zu Josh, doch der zuckte nur mit den Schultern.

„Selber Schuld", zischte er. Miller sass wieder an seinem Tisch vorne und studierte irgendein Blatt. Ich überwand meinen Stolz und sagte: „Ich verstehe diese Aufgaben nicht, Mister Miller." Er schaute langsam von seinem Blatt auf und lächelte.

„Hätten Sie besser in der Stunde aufpassen sollen", sagte er darauf und schrieb irgendetwas auf sein Blatt.

„Und wenn ich die Aufgaben morgen nicht fertig habe?", fragte ich der Verzweiflung nahe.

„Dann wird es mir sehr viel Vergnügen bereiten, eine viel schönere Bestrafung für Sie beide zu finden", meinte er schadenfreudig.

Also sass ich einfach dort vor diesen Aufgaben, von denen ich keine Ahnung hatte und wartete darauf, dass die Zeit ablief. Ich würde sie sowieso nicht lösen können. Als ich mal zu Josh blickte, sah ich, dass es ihm genauso ging.

Nach zwanzig Minuten kam unsere Möglichkeit; Miller verliess das Zimmer und sagte zu uns, dass wir genau an unseren Plätzen bleiben sollten. Wir sahen uns an und hatten genau den gleichen Gedanken. Wir sagten sogar gleichzeitig: „Hauen wir ab". Schnell stopfte ich die Blätter in meinen Rucksack (Josh liess alles stehen und liegen) und hasteten aus dem Zimmer.

Mit schnellen Schritten verliessen wir das Schulgebäude. Ich schaute alle fünf Sekunden paranoid über meinen Rücken und erwartete schon, dass Miller mit hochrotem Kopf auf uns zu gerannt kam. Was zum Glück aber nicht passierte. 

„War das eine gute Idee?" fragte ich Josh vorsichtig, da er anscheinend schon Erfahrungen mit Miller gemacht hatte.

„Ja, wirklich super Idee vom Nachsitzen abzuhauen, obwohl der Lehrer schon mit schlimmeren Bestrafungen gedroht hatte", antwortete er und seine Stimme triefte vor Sarkasmus. „Aber ich hätte es nicht mehr länger ausgehalten und er ist selber Schuld, wenn er uns alleine lässt."

Er stieg auf sein Motorrad und hielt mir seinen Helm hin. Oh nein.

„Auf gar keinen Fall", sagte ich kopfschüttelnd und wollte schon zu meinem Fahrrad gehen.

„Oh doch. So geht's schneller", sagte er stur.

„Oh nein. Ich habe schon gesehen wie du damit fährst", beharrte ich.

„Hast du etwa Angst?", spottete er. Ich wollte gerade etwas zurückzischen, als mir meine Entscheidung abgenommen wurde.

Miller stürmte aus dem Gebäude und schrie unsere Namen.

Wir schauten uns für einen Moment panisch an. Dann nahm ich ihm den Helm ab und schwang mich hinter ihm auf die Maschine. Kaum hatte ich meine Arme um ihn geschlungen (und darauf geachtet hatte, genug Abstand zu halten), raste er los. Josh beschleunigte immer mehr und lehnte sich scharf in die Kurven rein. Ich klammerte mich fester um ihn und versuchte zu vergessen, dass es Josh war.  Auch den verdammt guten, männlichen Geruch, der von ihm aus ging und die Muskeln, die sich unter meinen Armen anspannten, ignorierte ich so gut, wie es nur ging. Genau deswegen wollte ich nicht mitfahren und ich werde es garantiert nicht nochmals tun. Ich schloss meine Augen und wollte einfach nur, dass er endlich anhielt.

Als er das nach einer gefühlten Ewigkeit dann auch tat, sprang ich sofort auf. Fast wäre ich umgefallen, da ich über irgendetwas blind stolperte. Ich hörte, wie Josh mich auslachte. Ich wettete, er war extra noch schlimmer gefahren als sonst. Ich nahm den Helm ab und schüttelte meine Haare aus.

„Nie wieder. Du bist extra so schnell gefahren", klagte ich ihn an.

„Ich hätte dich auch einfach bei Miller lassen können", sagte er besserwisserisch. Ich schaute ihn nur eingeschnappt an und verschränkte meine Arme. Ich erkannte diesen Ort, als den gleichen Parkplatz wie gestern wieder.

„Und normalerweise betteln Weiber darum mitfahren zu dürfen", sagte er arrogant und stieg ebenfalls von seinem Motorrad ab. Nur schon, dass er Weiber sagte, nervte mich. Ich verdrehte bloss die Augen. Ich hatte gerade keine Lust auf eine Diskussion mit ihm.

„Können wir einfach anfangen?", fragte ich genervt.

„Okay, okay", sagte er darauf und kam auf mich zu, „du hast deine Kräfte genutzt, als du gerannt bist. Also renn."

„Dein Ernst?", fragte ich ungläubig. Ich hätte es mir irgendwie anders vorgestellt.

„Ja, konzentriere dich auf dieses Gefühl. Wenn du die Energie in dir spürst. Versuche herauszufinden, von wo es kommt, dass du es später einfach so hervorrufen kannst." Ich warf ihm einen letzten skeptischen Blick zu, bevor ich losrannte. Ich sah noch wie Josh die Verfolgung aufnahm, dann versuchte ich alles auszublenden und konzentrierte mich auf meinen Körper. Etwa nach fünfzig Metern spürte ich es wieder.

Ich versuchte – wie Josh es mir gesagt hatte – herauszufinden, von wo es kam. Es war schwierig, es zu orten, da es ein so berauschendes Gefühl war. Aber ich glaubte, es kam direkt von Herzen aus. Mit jedem Pulsschlag spürte ich immer mehr göttliches Blut in meinen Adern. Gut, ich hatte herausgefunden, was ich sollte, also wurde ich langsamer, bis ich stehen blieb.

„Spürst du es?", fragte Josh mich neben mir.

„Ja..."

„Konzentriere dich weiter drauf. So dass es nicht verschwindet", unterbrach er mich.

„Okay", sagte ich dazu und schloss die Augen.

Also fokussierte ich mich auf die Energie in mir. Doch wie sollte ich verhindern, dass es verschwindet?!

„Und wie?!", fragte ich leicht panisch. Noch bevor er etwas antworten konnte, spürte ich kein Kribbeln mehr und öffnete die Augen.

„Es ist weg", teilte ich ihm mit. Er verdrehte cholerisch die Augen.

„Ich hab doch gesagt, du musst dich darauf konzentrieren. Greife danach, lass es brennen", erklärte er mir.

„Das hättest du mir auch früher sagen können", meckerte ich ihn an.

„Das ist doch logisch", sagte er schnippisch darauf.

„Für mich ist hier überhaupt nichts logisch, okay?!", schrie ich ihn verzweifelt an. Der Hass auf meine echten Eltern wuchs. Hätten sie mich nicht einfach wie ein Stück Ware weggeben, hätte ich jetzt all diese Probleme nicht.

„Okay, beruhige dich. Hast du etwa deine monatlichen Probleme oder was?", fragte er spöttisch. Logisch, dass er es wieder ins Lächerliche zog. Ich schenkte ihm nur einen vernichtenden Blick.

Die Tochter des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt