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„Leute, könnt ihr euch an die Prophezeiung von Mrs Higgins von diesem Sommer erinnern?", fragte Kenzo plötzlich.

„Ja...", meinte Ace unheilvoll.

„Die Zeit ist verronnen, nun wird sie wiederkommen.

Sie, mächtiger und böse als je zuvor, tritt aus den Schatten empor.

Die Augen dunkler als die Nacht und heller als die Sonne,

bringt Unglück übers ganze Lande, vernichtet gehört sie, eine Schande."

Jetzt schwiegen wieder alle und starrten mich an. Konnte diese Prophezeiung wirklich mich meinen? Wie sollte ich wiederkommen? Und ich glaubte immer noch nicht, dass ich so böse und mächtig war.

„Wir sollten nicht zu viel darein interpretieren, es muss gar nichts bedeuten", meinte Kenzo.

„Zumindest heute nicht mehr. Es ist schon richtig spät", sah Ace ein.

„Du hast Recht, wir sollten schlafen gehen. Es gibt jetzt sowieso nichts mehr, was wir tun können." Ace schaltete die Lampe wieder aus und stellte das Buch zurück. Wir standen langsam schweigend auf.

Rums.

Das war das Geräusch eines zu Boden fallenden Buches gewesen. Sofort waren wir alle wieder wach. Es war aus dem ersten Stock gekommen. Wir schauten uns alarmiert an. Kenzo legte einen Finger an seine Lippen, um zu signalisieren – falls es jemand noch nicht gecheckt hatte – dass wir ruhig sein sollten. Josh ging lautlos voraus. Wir folgten ihm angespannt. Im ersten Stock aber war nichts zu sehen.

„Verschwinden wir lieber", schlug Eleanor vor.

„Besser nicht, sonst folgt uns diese Person nur", wandte Kenzo ein.

„Leute", sagte Silas leise und nickte in die Richtung hinter uns. Wir drehten uns sofort um. Dort stand ein grosser Mann um die sechzig. Das Mondlicht schien ihm unheimlich in das Gesicht und liess ihn fürchterlich aussehen. Er starrte mich so intensiv an, dass ich das Gefühl hatte ich müsste gleich anfangen zu brennen.

„Gebt mir das Hadeskind, oder ich werde euch alle umbringen müssen", forderte er mit tiefer Stimme. Er kam langsam auf uns zu und liess mich immer noch nicht aus den Augen.

„Kommst du auch nur einen Schritt näher, werden wir dich umbringen müssen", knurrte Josh zurück. Der Mann blieb stehen und sein Blick wanderte zu Josh.

„Süss", sagte er abfällig und im einen Moment legte er noch seinen Kopf schief. Im nächsten Moment stand er plötzlich hinter mir und drückte mir einen Dolch gegen meine Kehle. Ich schnappte erschrocken nach Luft. Seine andere Hand umschloss mit eisernem Griff mein Handgelenk. Mein Herz klopfte so schnell, ich fürchtete es würde mir gleich aus der Brust springen. Das kühle Metall ruhte ruhig an meiner Kehle. Ich spürte wie ein Tropfen Blut über meinen Hals rollte. Ich war wie gelähmt und wagte keine Bewegung in der Angst, den Dolch weiter in meine Kehle reinzudrücken. Meine Freunde drehten sich überrascht zu mir um. Eleanor schaute ängstlich rein, während die Jungs wütend aussahen. Sie funkelten den alten, nach rauch stinkenden Mann an. Ich sah wie Ace sich anspannte und konnte seine Energie fast spüren.

„Ja, los, schiess deinen Blitz, Zeuskind. Du wirst sie treffen", spuckte er. Vom Geruch nach Alkohol und Schweiss wurde mir fast schlecht. Aber er hatte Recht, meine Freunde konnten mir nicht helfen, es wäre ein zu grosses Risiko, dass sie mich treffen würden. Also musste ich selber handeln. Ich legte schnell meine Hand auf seine raue Pranke am Dolch und kickte nach hinten. Er stöhnte schmerzerfüllt auf und sank in die Knie. Ich drehte mich um und schlug ihm mit meinem Handrücken ins Gesicht. Mit meinem Fuss kickte ich ihm den Dolch aus der schlaffen Hand. Er krümmte sich auf dem Boden und seine Hände ruhten seinem Geschlechtsteil.

„Amber, alles okay?", fragte Eleanor besorgt und kam auf mich zugeeilt.

„Ja... denke schon", sagte ich, aber meine Stimme zitterte noch. Sie zog mich in eine Umarmung.

„Hauen wir besser schnell ab, bevor er wieder zu sich kommt", meinte Kenzo. Wir stimmten ihm zu und eilten aus dem Schulgebäude. Erst bei Ace' Auto hielten wir an. Der Mond schien hell und beleuchtete die Strassen. Die Nacht war klar und man konnte tausende Sterne am Himmel sehen. Es war eiskalt und erfrischend zugleich. Keine Menschenseele war noch unterwegs und es war mucksmäuschenstill. Dieser schöne Geruch nach Schnee lag immer noch in der Luft, obwohl es schon längere Zeit nicht mehr geschneit hatte.

„Wow, das ging wirklich schnell", sagte Ace. „dass es jemand so schnell realisiert hat und uns gefolgt ist."

„Ja, wirklich beängstigend", sah auch Eleanor ein.

„Aber was wollte er von mir? Hätte er mich umbringen wollen, hätte er es getan", dachte ich laut nach.

„Vielleicht wollte er deine Kräfte ausnutzen. Manche würden gerne jemanden in die Unterwelt verbannen oder zurückholen", schlug Ace vor.

„Also könnte es jeder auf mich abgesehen haben?", fragte ich nach

„Wahrscheinlich schon", bejahte Kenzo.

„Na toll." Jetzt konnte es wenigstens nicht mehr schlimmer werden.

„Im Moment ist es gerade sehr gefährlich für dich. Du solltest heute Nacht auf jeden Fall nicht alleine sein", meinte Silas.

„Ich konnte mich vorhin ganz gut selber verteidigen", hielt ich dagegen. Ich wollte niemanden von ihnen in Gefahr bringen. 

„Und wie wirst du dich verteidigen, wenn du schläfst und dich jemand entführt?", konterte Josh. Er hatte Recht.

„Aber ich kann nicht von euch verlangen, dass ihr mich die ganze Zeit beschützt."

„Natürlich beschützen wir dich! Wir halten alle zusammen, egal was kommt. Auch der Fakt, dass du von Hades abstammst und viele dich deswegen tot sehen wollen, ändert nichts daran", sagte Eleanor und die Jungs nickten zustimmend.

„Das ist so lieb von euch", meinte ich gerührt und mir wurde es warm ums Herz. Ich kannte sie erst seit vier Monaten, aber trotzdem würden sie ihr Leben für mich riskieren.

„Also am besten schläfst du am besten bei jemanden von uns. Sonst gerät höchstens noch deine Familie in Gefahr", meinte Ace. Oh nein, an das hatte ich noch gar nicht gedacht. Wenn es so viele Leute gab, die es auf mich abgesehen haben, dann war automatisch auch meine Familie ins Gefahrenfenster gerückt. Oh Gott, ich hoffte so sehr, dass niemand auf die Idee kam, mich mit ihnen zu erpressen.

„Du hast Recht", antwortete ich ihm. „Und zu wem genau?"

„Du kannst zu mir kommen", schlug Josh vor. Ich schaute überrascht zu ihm. Zu Josh wäre ich als letztes gegangen. Ich hatte letzte Nacht noch zu gut präsent. Ich hob eine Augenbraue. Meine er das ernst?

„Bei mir würde dich kein Mensch vermuten. Und ausserdem, ich brauche nicht viel Schlaf", erklärte er. Ich schaute zu den anderen und sie sahen alle gleich überrascht aus. Es war nun wirklich kein Geheimnis, dass wir uns nicht ganz so gut verstanden. Mein Blick blieb länger bei Eleanor hängen, die mich wissend anschaute.

„Okay, wenn das gut für dich ist, Amber?", fragte Silas nach.

„Ja... ja, klar, wieso nicht", meinte ich dann schnell. Und im nächsten Moment wusste ich nicht, ob ich diese Worte noch bereuen würde.

„Okay, dann bis morgen", sagte Kenzo und zog mich in eine Umarmung. „Keine Straße ist zu lang an der Seite eines Freundes." Ich fragte mich wirklich, wie er es schaffte, immer einen passenden Spruch auf Lager zu haben. „Danke", murmelte ich. Ich war diesen fünf Menschen wirklich unglaublich dankbar, dass sie auf meiner Seite standen. Ich umarmte Silas, Ace und zum Schluss auch noch Eleanor.

„Sollte er irgendetwas von letzter Nacht wieder versuchen, schlage ihn dorthin, wo du diesen Typ vorhin auch gekickt hast und komm zu mir, okay?", flüsterte sie mir noch ins Ohr.

„Geht klar, Schwester", meinte ich dankbar lächelnd. 

Die Tochter des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt