Ich hatte so ein Talent dafür, immer das Falsche zu sagen. Und auch deswegen stand ich jetzt irgendwo ganz alleine ohne eine Ahnung, wie ich nach Hause kommen sollte. Wenigstens war mir so die Entscheidung abgenommen geworden, ob ich mich nochmals auf diese Teufelsmaschine sitzen würde. Zum Glück hatte er meine Sachen nicht mitgenommen.
Schnell griff ich in meinen Rucksack und holte mein Handy heraus. Na toll, kein Akku mehr.
Also hatte ich keine andere Wahl als zu Fuss nach Hause zu kommen. Hätte ich noch Batterie auf meinem IPhone gehabt, hätte ich einfach Eleanor anrufen können und sie hätte mich sicher abgeholt.
Ich beschloss, dem Waldrand nachzugehen, da sich unser Haus ja auch am Waldrand befand und ich so irgendwann da ankommen musste. Ich schulterte meinen Rucksack und ging sofort los, da es jetzt ziemlich schnell dunkel wurde. Und auch kalt.
Als hätte das Schicksal meine Gedanken gehört, kam ein kalter Windstoss auf und löste ganzkörper Gänsehaut bei mir aus.
Es war Mitte September, ich hätte daran denken sollen, dass es nicht mehr so warm war wie im Hochsommer.
Etwa erst nach fünf Minuten fiel mir wieder ein, dass ich immer noch Joshs T-Shirt an der Hand trug. Ich versicherte mich, dass niemand mich sah, dann blieb ich stehen und zog es über mein dünnes Top an. Es war mir viel zu gross und ging mir fast über meine Hose. Ich versuchte zu vergessen, dass es Josh gehörte, was aber gar nicht so einfach war, da ich mich am liebsten darin eingekuschelt hätte. Weil es kalt war und wirklich gut roch. Wäre es nicht dunkel gewesen und ich nicht alleine gewesen, hätte ich das nie gemacht, aber wenigstens einmal war meine Vernunft grösser als mein Stolz. Niemand würde je erfahren, dass ich Josh Collins Shirt anhatte. Vor allem nicht er selber. Obwohl das schwarze Oberteil schon ziemlich verwaschen und alt aussah, tat es immer noch seinen Zweck und gab mir erstaunlich warm.
Und es machte es mir unmöglich, nicht an Josh zu denken und den Grund, warum er mich stehen gelassen hatte. Ich sah diese schrecklichen Narben immer noch bildlich vor mir und es war wahrscheinlich kein Anblick, den ich so schnell vergessen konnte. Dieser Blick war zuerst voller Emotionen gewesen, bevor er schnell seine unzerbrechbare Mauer hochgefahren hatte. Mir kam wieder in den Sinn, dass Eleanor mal erwähnt hatte, dass er eine schwere Kindheit gehabt hatte. Ich wollte mir gar nicht mehr vorstellen, wie diese Narben entstanden waren. Ich sollte meine Nase nicht in fremde Angelegenheiten reinstecken. Ich war einfach viel zu neugierig.
Ich folgte weiter dem Waldrand. Ich hatte inzwischen jegliches Zeitgefühl verloren. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich hier draussen schon herumirrte, als ich endlich bekannte Häuser sah. Die Sonne war untergegangen und nur noch die Strassenlaternen erleuchteten mir den Weg. In der Dunkelheit bemerkte ich noch besser meine immer grösser werdende Müdigkeit. Die Trainingseinheit steckte mir in den Knochen und ich wollte nur noch in mein Bett.
Als ich dann tatsächlich zu meinem Haus gefunden hatte, ohne irgendwelche Vorfälle, bereitete ich mich innerlich schon auf die nächste Anstrengung vor. Ich wollte mir das T-Shirt schon wieder über den Kopf ziehen, als ich Inne hielt. Vielleicht würde es sie ein bisschen von den Schürfungen auf meinen Beinen ablenken. Ich musste es versuchen. Ich drückte die Türklinke hinunter und trat ein. Ich bemühte mich um einen möglichst schuldbewussten Ausdruck. Meine Eltern kuschelten auf dem Sofa und diskutierten leise. Als sie hörten, wie die Türe ins Schloss fiel, schauten sie sofort auf.
„Es tut mir leid, ich habe die Zeit vergessen und mein Handy hat kein Akku mehr", fing ich an, bevor sie etwas sagen konnten.
„So kann es nicht weiter gehen", begann Dad und sie standen auf. „Wenn wir dir so viele Freiheiten lassen, könntest du dich wenigstens an diese einzige Voraussetzung halten, die wir von dir erwarten."
„Was hast du da überhaupt an?", unterbrach Mom ihn und musterte Joshs T-Shirt. Ich tat so, als wäre es mir peinlich, dass sie das sahen. War es mir eigentlich ja auch, aber aus einem anderen Grund.
„Oh, ein Junge", sagte meine Mutter erkennend und wirkte schon viel weniger aufgebracht. Sie hatte mich schon immer in Sachen Jungs unterstützt, während Dad mehr kritisch diesem Thema gegenüber war. „Name?"
„Ace Hunter", log ich sie an. Obwohl Mom schon älter war, verstand sie vom Thema Social Media ziemlich viel und so wie ich sie kannte, würde sie morgen alles über ihn wissen. Deswegen war es viel besser Ace' Namen zu nennen, da Joshs Ruf nicht der Beste war. Und vor allem wollte ich nicht, dass irgendjemand auf dieser ganzen Welt glaubte, dass etwas zwischen mir und Josh lief.
„Aha", sagte sie lächelnd. „Aber das ist jetzt nicht das Thema".
„Wir haben einen nicht sehr erfreulichen Anruf von einem Mister Miller bekommen", sagte Dad und er klang wütend. Oh nein.
„Zuerst, dass du Nachsitzen bekommen hattest, was schon genug schlimm wäre und dann, dass du davon abgehauen bist. Das auch noch!"
Ich schaute bloss zu Boden und liess es über mich ergehen. Ich hoffte, dass ich nicht zu genervt aussah. Mom schnaubte genervt auf, da ich nichts dazu sagte.
„Ich denke zwei Wochen Hausarrest würden dir gut tun", meinte Mom und schaute zu Dad.
„Nein, bitte nicht!" Hausarrest war gerade wirklich ungünstig. „Bitte gebt mir noch eine Chance. Ich sage euch auch immer Bescheid, wo ich bin und wann ich nach Hause komme. Und..."
„Amber, lass es, oder es werden drei Wochen." Ich schaute verzweifelt zwischen meinen Eltern hin und her. Es hatte keinen Sinn mehr zu diskutieren. Ich drehte mich ohne ein weiteres Wort um und stampfte die Treppe hoch. Endlich in meinem Zimmer angekommen, schlug ich die Türe zu und warf mich auf mein Bett. Zwei Sekunden später ertönte ein vorsichtiges Klopfen an meiner Tür. Bevor ich genervt antworten konnte, öffnete sich die Türe und Jason schlüpfte hinein.
„Hey", sagte er sanft.
„Hey", murmelte ich und schloss die Augen.
„Alles okay?", fragte er nach.
„Jaja", antwortete ich. Ich wollte nicht so genervt klingen, aber ich hatte heute zu viel erlebt. Es war wirklich süss von ihm, dass er nach mir sah. Als wir drei noch klein waren, gaben wir uns schon das Versprechen immer aufeinander auf zu passen.
„Was ist passiert?", fragte er. Ich öffnete die Augen und sah ihn fragend an. „Mit deinen Beinen. Und Armen", fügte er hinzu.
„Nichts wichtiges", antwortete ich ausweichend.
„Du musst es mir nicht erzählen, aber wenn du jemand zum Reden brauchst, kannst du immer zu mir kommen, okay?", meinte er.
„Ja klar. Sorry, ich bin einfach nur todmüde", sagte ich darauf und fühlte mich ein bisschen schuldig, da er so süss war.
„Gute Nacht", sagte er. Sein Blick blieb an meinem Oberteil hängen, bevor er mein Zimmer verliess. Ich war ihm so dankbar, dass er nichts dazu gefragt hatte.
Dieser Blick hatte mich wieder daran erinnert, dass ich immer noch sein T-Shirt anhatte. Schnell und energisch riss ich es mir über den Kopf und schleuderte es gegen meinen Schrank. Ich holte mein Handy aus meinem Rucksack und schloss es an den Strom an. Ich musste noch Ace schreiben, dass er von meiner Ausrede Bescheid wusste. Sobald es wieder funktionierte, tippte ich schnell eine Nachricht an ihn. Heyy (: Du bist für heute Abend gerade mein Alibi geworden. Ich war den ganzen Abend bei dir, okay? Sobald ich die Nachricht abgeschickt hatte und wieder auf mein Bett gelegt hatte, fielen mir sofort die Augen zu und ich schlief noch in meinen Sachen ein.
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Die Tochter des Todes
FantasíaSeit ich in Kinnetyville lebte, hatte sich mein ganzes Leben verändert. Am Anfang dachte ich, ich würde einfach mein ganz normales Teenager-Leben weiterleben. Doch dann erfuhr ich, dass ich von einem griechischen Gott abstammte. Also hatte ich neben...