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Der alte Bahnhof war wirklich unheimlich. Alte Strassenlaternen tauchten ihn in flackerndes Licht und liessen komische Schatten entstehen. Die Zugschienen sahen unglaublich verjährt und rostig aus. Das Gebäude hatte wahrscheinlich das gleiche Alter und es würde mich nicht wundern, bräche es bald zusammen. Dass fast alle Parkplätze besetzt waren und keine Menschenseele zu sehen war, machte es noch unheimlicher. Silas, Eleanor und ich warteten unter dem Vordach auf unsere Freunde.

„Wann kommen sie endlich?", fragte ich ungeduldig. Es war schon lange halb acht gewesen und ich wollte ungern hier mehr Zeit verbringen als nötig.

„Also ich bin hier", sagte plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich sofort um und konnte einen überraschten Aufschrei nicht unterdrücken. Natürlich war es Josh.

„Kannst du nicht einmal wie ein normaler Mensch von vorne kommen und dich nicht immer von hinten anschleichen?", meckerte ich.

„Weisst du, wenn jemand so schreckhaft ist wie du, dann muss ich diese Person einfach erschrecken", sagte er schulterzuckend. Ich verdrehte die Augen und verschränkte die Arme. Zum Glück kam endlich Ace' Auto quietschend zum Stehen und Kenzo und Ace stiegen hastig aus.

„Sorry, ich habe die Zeit vergessen", sagte dann Ace, als sie zu uns trafen.

„Okay, gehen wir rein", meinte Silas und betrat das Gebäude. Wir folgten ihm. Es ging sofort eine Rolltreppe runter, die natürlich nicht mehr funktionierte. Ich blieb kurz oben stehen. Sie sah genau so unheimlich aus wie alles hier. Was mir aber am meisten Angst machte, dass unten kein Licht brannte, weshalb man das Ende nicht sehen konnte und man praktisch ins Nichts lief.

„Keine Angst, wir sind schon tausend Mal hier durch gegangen", beruhigte mich Ace, der noch der Einzige hinter mir war. Ich warf ihm einen zweifelnden Blick zu, trat dann aber auch den Weg hinab an. Zum Glück tat sie ihre Funktion als Treppe noch ganz normal. Aber als ich meinen Fuss auf die nächste Stufe setzte, gab sie plötzlich unter mir nach. Ich schrie erschrocken auf und klammerte mich an Ace, der sofort da war. Mein Puls war in die Höhe geschossen und ich blickte nach unten. Ich sah nur noch ein schwarzes Loch, wo vorhin die Stufe gewesen war. Schnell wandte ich meinen Blick ab; ich hatte schon immer Höhenangst gehabt.

„Alles in Ordnung?", hörte ich Eleanors besorgte Stimme von weiter unten.

„Ja!", rief Ace zurück. „Hey, alles ist gut", meinte er dann sanft zu mir. Er streichelte über meinen Rücken und ich hatte gar nicht bemerkt gehabt, wie ich automatisch meinen Kopf in seine Halsbeuge gelegt hatte und mich an ihn gedrückt hatte. Ich hob meinen Blick und schaute tief in seine Augen. Obwohl es ziemlich dunkel geworden war, sah ich in seinem Ausdruck die Hoffnung und das Funkeln. Oh verdammt.

„Tut mir leid", murmelte ich und löste mich schnell von ihm.

„Du musst dich nicht entschuldigen", meinte er und ich wusste nicht, ob er wusste, für was ich mich gerade entschuldigt hatte.

„Danke." Ich schaute ihm ehrlich in die Augen, bevor ich vorsichtig über das Loch trat.

„Wir sind unten!", hörte ich Silas' Stimme von weit weg und ein Licht ging an. Da Licht den Weg erleuchtete, ging ich die Treppenstufen etwas sicherer hinab, obwohl das Ereignis von vorhin noch sehr präsent war.

„Was ist vorhin passiert?", fragte Kenzo nach, nachdem ich endlich wieder festen Boden unter meinen Füssen hatte.

„Die eine Stufe ist rausgefallen", antwortete Ace, zur gleichen Zeit, wie ich „Nichts" sagte. Wir schauten uns in die Augen und wir beide konnten die übertragene Bedeutung erkennen. Ich schluckte hart und wandte den Blick ab.

„Aber niemandem ist was passiert?", hakte Eleanor weiter nach.

„Nein, alles okay", meinte Ace und an seinem Tonfall erkannte ich, wie seine Laune gesunken war.

„Man musste es unheimlich gestalten, so dass sicher kein Menschlicher es je per Zufall entdecken würde. Man findet es nur, wenn man es von jemand anderem erfährt", erklärte mir Eleanor, als wir einen engen von Fackeln beleuchteten Weg weitergingen. Ich konnte langsam schon eine laute Menschenmenge hören. Kurz darauf endete der Gang und wir standen in einem Vorraum vor einem grossen Tor. Links und rechts gingen noch kleinere Korridore weiter, keine Ahnung wohin.

„Bist du immer noch sicher, dass du kämpfen willst?", fragte Ace. Wir standen alle vor diesem Tor und sie sahen mich gespannt an.

„Ja", sagte ich bestimmt.

„Dann nimm noch etwas Ambrosia", meinte Ace und hielt mir die Packung hin. In letzter Zeit hatte ich mich daran gewöhnt einmal in der Woche Ambrosia zu schlucken. Es war ganz okay. Ich hatte noch nie einen Mangel verspürt. Ich bemerkte zwar, dass ich mich nach langer Zeit müde und dauerhaft erschöpft fühlte, aber es war eigentlich normal. In der Blütezeit hatte ich mich immer voller Energie gefühlt und praktisch nie müde und jetzt war es einfach wie früher. Ich nahm ihm dankbar die Packung ab und drückte mir eine Tablette raus. Sie löste sich sofort in meinem Mund auf und ich schluckte es schnell runter. Ich wollte sie Ace schon zurückgeben, als Josh sie mir aus der Hand nahm. Er schaute mich herausfordernd an und tat dasselbe.

„Wirsollten reingehen, es fängt bald an", meinte dann Kenzo und öffnete die Türe. 

Die Tochter des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt