Ich zog meine Jacke enger um mich. Es windete mir eiskalt entgegen und ich suchte Schutz in meinem grossen Schal. Ich hasste Josh immer noch dafür, dass er darauf beharrte, dass wir weiterhin draussen trainierten. Dieser Verrückte fror nie. Und dann liess er mich auch immer noch mindestens zehn Minuten warten. Der Schnee knirschte unter meinen Schuhen, als ich von einem Fuss auf den anderen wippte. Ich liess mein Blick über die beschneiten Bäume gleiten. Der Wald sah wunderschön aus. Grosse Schneehäufen hatten sich unter manchen Bäumen angehäuft aber da es so kalt war, unterdrückte ich den Drang reinzuspringen. Es war eigentlich noch gar nicht spät, aber da es Winter war, wurde es schon richtig früh dunkel. Die letzten Sonnenstrahlen schienen in den Wald rein, in einer halben Stunde war es sicher schon stockdunkel. Ich wäre so gerne einfach nach Hause gegangen. Ich war vorhin lange mit Eleanor über den Weihnachtsmarkt geschlendert und wir hatten beide zu viel Glühwein getrunken. Ich hatte schon so lange keinen Alkohol mehr getrunken, so dass ich schon zwei Glühweine spürte. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich keine Fortschritte machen würde, wenn Alkohol durch mein Blut rauschte.
Ich seufzte und schaute auf mein Handy. Wann kam er endlich? In letzter Zeit sah ich den Sinn in unserem Training sowieso nicht mehr. Ich hatte wirklich gut gelernt, die Luft zu beherrschen. Sogar Josh hatte zugegeben, dass ich es gut konnte. Aber mein Problem lag bei der Schnelligkeit. ‚Lass die Teilchen nicht aus dir raus. Entzünde sie in dir drinnen und nutze die Kraft', hatte er gesagt. Egal wie oft ich es probierte, ich schaffte es nie. Er insistierte trotzdem darauf, dass ich es immer wieder versuchte. Ich könnte es auch gut alleine machen, aber er meinte, es wäre zu gefährlich, falls ich es wirklich mal schaffen sollte und dann mit dieser neuen Kraft alleine wäre.
Die letzten drei Monate verliefen ziemlich ruhig. Naja, was sollte ruhig heissen. Mein Bruder war immer noch sauer auf mich. In der Schule hatten wir so viel Stress, da alle Lehrer bemerkt hatten, dass sie im Stoff hintendrein waren und wollten deswegen noch viel zu viel in uns reinstopfen. Und Ace... naja mit Ace war es immer noch kompliziert. Aber ich war mir auf eine merkwürdige Art und Weise immer noch sicher, dass ich keine weiteren Gefühle für ihn hegte. Aber wie abgemacht hatten wir beide es niemandem erzählt und wenn wir alle sechs gemeinsam unterwegs waren, war es so wie eh und je.
Durch einen Windstoss, der mir meinen Schal direkt ins Gesicht wehte, bemerkte ich, dass Josh endlich hier war. Ich faltete ihn wieder runter, seufzte und drehte mich zu ihm um. Und dort stand er, mit den Händen in der Bauchtasche seines Hoodies und sein typisches überhebliches Grinsen auf dem Gesicht.
„Fällt dir nicht mal was neues ein?", fragte ich gelangweilt.
Er zog die Augenbrauen hoch, als würde er nicht glauben, dass ich das wirklich gefragt habe. Und ich wünschte, ich hätte es nicht gesagt. Im nächsten Moment fiel mir Schnee direkt in mein Gesicht und lief sofort an meinem Hals runter. Ich zog scharf die Luft ein und schrie überrascht auf. Es war eiskalt und zerstörte jedes Fünkchen Wärme. Schnell versuchte ich ihn so gut, wie es ging, zu entfernen, aber er schmolz schon.
„Du hast das gewollt", lachte Josh. Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Das konnte ich auch. Er stand nämlich ebenfalls unter einem Baum. Ich bewegte meine Hände blitzschnell und im nächsten Moment fiel eine riesige Ladung Schnee auf ihn. Oder bessergesagt dorthin, wo er vor einer Sekunde noch gestanden hatte, denn er beherrschte diese blöde Schnelligkeitsgabe. Er schnalzte abschätzig mit der Zunge.
„Jämmerlicher Versuch."
Ich bemerkte, dass es sein nächstes Ziel war, den ganzen Baum über mir auszuschütten. Aber dieses Mal war ich vorbereitet. Sobald der Schnee auf mich zufiel, lenkte ich ihn ab, sodass er blitzschnell auf ihn zuflog. Das hatte er nicht erwartet und im nächsten Moment war er voll mit Schnee.
Nun grinste ich.
Er schüttelte sich wie ein Hund und dank der Luft war sekundenspäter der ganze Schnee wieder weg.
„Du willst also spielen?", meinte er grinsend. Und noch bevor ich etwas darauf erwidern konnte, prallte die nächste Ladung Schnee auf mich. Mithilfe der Luft hatte er den Schnee auf dem Boden aufgeweht. Oh Gott, was hatte ich bloss angestellt? Das würde jetzt Ewigkeiten so weiter gehen. Er wollte gerade noch mehr Schnee auf mich werfen, als ich mit meinem Wind seinen verdrängte und der Schnee einfach auf den Boden fiel. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich. Ich liess sie aus mir raus und führte die Kraft weiter. Ich formte einen kleinen Tornado, der uns zwei umschloss und der ganze Schnee mit sich trug. Ich grinste, als ich sein panisches Gesicht sah. Tja, hätte er sich halt nicht mit mir anlegen solle, er wusste eigentlich, dass ich es liebte Tornados zu formen. Ich liess ihn weiter hoch steigen und liess dann alles ganz schnell auf ihn fallen. Dieses Mal war er nicht genug schnell, um auszuweichen. Ich liess mir nichts anmerken, da er noch nicht bemerkt hatte, dass ich angetrunken war, aber es war unglaublich anstrengend. Ich hatte noch nie so viel Kraft und Konzentration aufbringen müssen, um meine Energie zu lenken. Der Alkohol stand wie auf der klaren Verbindung zu meinem göttlichen Blut. Es fühlte sich wirklich komisch an.
Er schüttelte den Schnee ab und grinste aber auch. Oh nein, was hatte er als nächstes geplant? Ich sah es nicht kommen, da er nicht mit dem Schnee arbeitete. Ein so starker Windstoss kam auf, so dass ich nach hinten stolperte und in einen riesigen Schneehaufen fiel. Er war so gross, dass ich ganz darin versank.
Der Schnee durchnässte sofort meine Sachen und mir wurde nur noch viel kälter. Ich wollte aufstehen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Meine Beine schauten oben raus und nur mein Arsch war fast am Boden. Ich sass fest. Ich hörte Joshs tiefes Lachen. Mein Hass auf ihn wurde noch viel grösser. Wahrscheinlich lachte er über meine lächerlichen Versuche. Er trat in mein sehr kleines Blickfeld und ich wollte ihm am liebsten sein dämliches Grinsen aus dem Gesicht schlagen.
„Leg dich nicht mit mir an, Kleine", sagte er und seine Stimme klang rau. Ich hasste mich dafür, dass sich meine Gänsehaut deswegen nochmals schauderte. Und ich hasste ihn noch mehr dafür, dass er mich Kleine nannte. Als er mich einmal so genannt hatte und ich ein bisschen zu energisch darauf reagiert hatte, hatte er natürlich angefangen mich immer so zu nennen. Als er dann aber wieder aus meinem Blickfeld verschwand, stieg leichte Panik in mir auf. Ohne ihn würde ich es nie wieder hier raus schaffen.
„Hey! Hilf mir wenigstens raus!", schrie ich so gut es ging.
„Und wieso sollte ich?", hörte ich seine Stimme von weit weg.
„Wegen dir sitz ich hier fest!"
„Und du hast mich vorhin ja nicht mit Schnee fast erdrückt?"
„Josh!" Wir nannten uns praktisch nie beim Vornamen, keine Ahnung warum. Aber wenn wir ihn mal benutzten, war es wirklich ernst. Und langsam fror mir wirklich mein Arsch ab. Ich hatte schon vorher gefroren und in einem Schneehaufen wurde das auch nicht besser.
Zum Glück aber hielt er mir endlich wortlos seine Hand hin. Ich ergriff sie sofort. Er zog stark daran und ich flog wirklich fast raus. Als ich wieder auf meinen eigenen Füssen stand, ärgerte ich mich wieder einmal über mich selber. Wieso hatte ich nicht einfach schnell den Schneehaufen weggewindet? Es war nicht das erste Mal, dass ich meine Kräfte in einer Paniksituation vergass. Er grinste immer noch, als er sah, dass ganz viel Schnee an mir klebte. Ich schüttelte mich auch, aber ich hatte keine Ahnung, wie er das vorhin gemacht hatte, so dass der ganze Schnee verschwand. Ich fing richtig an zu zittern. Es war wirklich eiskalt. Ich hatte keine Ahnung, wie es mir wieder wärmer werden sollte.
„Es ist arschkalt", sprach ich meine Gedanken aus. „Ich kann so unmöglich üben." Ich zitterte immer noch heftig und meine Zähne wollten auch nicht aufhören zu klappern.
„Dann geh besser nach Hause, wenn dich so ein bisschen Schnee schon ausser Gefecht setzt."
„Ich kann so unmöglich nach Hause gehen! Meine Eltern denken, dass ich bei Eleanor bin und wir uns Filme reinziehen, wie sollte ich dabei so nass werden?" Es brauchte meine ganze Energie diese zwei Sätze richtig rauszubringen. Ich nieste. Einmal, zweimal, dreimal. Oh nein, ich hatte wirklich keine Zeit krank zu sein.
„Hm okay, ich habe eine Idee."
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Die Tochter des Todes
FantasySeit ich in Kinnetyville lebte, hatte sich mein ganzes Leben verändert. Am Anfang dachte ich, ich würde einfach mein ganz normales Teenager-Leben weiterleben. Doch dann erfuhr ich, dass ich von einem griechischen Gott abstammte. Also hatte ich neben...